Ganz nah dran

Die US-Präsidentschaftswahlen sind das aufregendste Ereignis des Jahres. Ringier-Journalisten erleben es aus nächster Nähe.

Von Peter Hossli (Text) und Stefan Falke (Fotos)

aufmacherDer Fotograf packt mich am Arm. Schlecht und wenig geschlafen hat er. Wach hielten ihn Bettwanzen, im überteuerten, aber heruntergekommenen Hotel am Stadtrand von Philadelphia. Nun ist ihm heiss. Es geht weder vor- noch rückwärts. Vor jedem Eingang zur Halle harrt ein Bodyguard mit dickem Hals und dunkler Brille. «No», sagen sie alle. Nein, hier kommt keiner mehr rein.

«Du», sagt Stefan, der Fotograf, der hinter mir geht, kein Bild machen kann, weil er umzingelt ist von Menschen, die er nicht fotografieren will, der mich am Arm hält, «nie wieder machen wir das». Ich schaue zurück. «Nein, nie wieder.» Journalismus ist unmöglich, wenn einem Bodyguards die Wege dorthin versperren, wo das passiert, das man zeigen sollte.

Auf der Bühne spricht gerade US-Präsident Barack Obama (54). Schiefgehen darf da nichts, wissen Bodyguards. Wir müssen auf die Tribüne.

Es ist Wahlkampf in Amerika, und das ist wahrlich ein Kampf. Für die Kandidaten wie für die vielen Reporter, die ihnen nachstellen.

Über 15 000 Journalisten zwängen sich in die Wells Fargo Arena in Philadelphia, nochmals so viele Delegierte, Politikerinnen und Helfer – und eben Bodyguards. Es ist Ende Juli, die Demokraten halten hier ­ihren Parteikonvent ab, nominieren zu satter Rockmusik, fallenden Ballonen und Konfetti mit Hillary Clinton (68) erstmals eine Frau als Kandidatin fürs höchste Amt im Land.

trump1Eine Woche zuvor kürten die Republikaner in Cleveland, Ohio, den New Yorker Tycoon Donald Trump (70) zu ihrem Kandidaten. Ebenfalls mit Rock, Ballonen und Konfetti und fast so vielen Menschen.

Es sind die beiden lautesten Momente eines lauten und sehr teuren Spektakels, das sich alle vier Jahre wiederholt: die Präsidentschaftswahlen der USA. Je eine Milliarde Dollar ­geben die Demokraten und die Republikaner für den Wahlkampf aus.
Er beginnt mit Spekulationen über mögliche Kandidaten. Mal pompöser, mal armseliger künden sie ihre Kandidaturen an. Sie sammeln Geld für die Vorwahlen. Und geben dann auf, wenn ihre Werte bei den Umfragen mies oder die Kassen leer sind. Zuletzt bleiben zwei übrig, heuer eben die Demokratin Clinton und der Republikaner Trump.

hillaryReportage ohne Filter
Die Medien schauen früh und immer hin. Nie so intensiv wie während den Parteitagen. Der Weg dorthin ist für Reporter lange. Er beginnt im Januar. Videojournalistin, Fotograf und ­Autor der Blick-Gruppe melden sich bei verschiedenen Stellen an. Die Veranstalter weisen ihnen Hotelzimmer zu. Zuletzt überprüfen noch Beamte des Secret Service jede Anmeldung, also jene Bundespolizisten, die sonst Leib und Leben des Präsidenten schützen. Bis in der Woche vor dem Start des ersten Konvents in Cleveland ist noch unklar, ob es wirklich klappt mit dem Akkreditieren. Dann der Entscheid: Angenommen. Aber: Die Akkreditierungen müssen zu einer fixen Stunde abgeholt werden. Wer das nicht schafft, verliert den Zugang.

Der journalistische Ansatz ist klar: Wir sind zu dritt vor Ort, berichten über das, was wir selber sehen, ­hören, erleben, gehen so nahe ran wie möglich, berichten ohne Filter.

Dabei gilt es alle vier Blick-Kanäle zu bedienen. Was bei sechs Stunden Zeitdifferenz zwischen Ort der Ereignisse und der Schweiz nicht ganz einfach ist. Zumal am Parteikonvent jeweils weit nach Redaktionsschluss das passiert, was wirklich packt – der skurrile Auftritt von Trump-Gattin Melania (46), der eloquente Nachruf auf die eigene Amtszeit von Präsident Barack Obama, die Liebeserklärung von Bill Clinton (70) an Hillary. Die Tageszeitung aber soll doch ­aktuell sein, hintergründig, überraschend – und sich vom Meer der Nachrichten abheben. Genau wie der SonntagsBlick, der mit latent aktuellen Reportagen brillieren soll.

trump2Es gibt nur eine Möglichkeit: nahezu rund um die Uhr zu produzieren, abends Reden zu hören, darüber zu schreiben. Stefan Falke fotografiert, Stephanie Seliner dreht Videos. Jeder Tag beginnt früh und endet lange nach Mitternacht. Vor- und nachmittags treffen wir in Cleveland Töfffahrer, die Trump schützen; Waffen­narren, die Clinton ins Gefängnis stecken wollen; Demonstranten, die Trump verteufeln. Ohnehin schlafen wir kaum, zumal in Philadelphia uns die Bettwanzen die Ruhe rauben.

Wir befragen republikanische Delegierte in Cleveland, was sie von ­Donald Trump halten. Und lernen: Es ist den meisten wichtiger, Hillary Clinton zu verhindern, als Trump ins Weisse Haus zu bringen.

Wir befragen demokratische Frauen in Philadelphia, wie wichtig es denn sei, dass nun erstmals eine Frau als Kandidatin nominiert wird – und lernen, dass vor allem die älteren Frauen stolz darauf sind, die jüngeren aber Hillary nicht für die richtige Frau halten.

hillary2Perfekte Politik-Shows
Die Parteitage? Es sind perfekte Politik-Shows. Die Präsidenten Clinton und Obama reden bei den Demokraten, ein dritter, Jimmy Carter (91), meldet sich per Video. Mit den Händen greifen lässt sich die aufgekratzte Stimmung im Saal. Feste Plätze haben die Reporter nur auf der Tribüne. Um in den Saal zu gelangen, braucht es eine spezielle Bewilligung. Gültig: eine Stunde. Wer sie bis dann nicht zurückbringt, verliert den Zugang zur Halle.

Der Aufwand lohnt sich. Im Saal trifft man zum kurzen Schwatz und zum Interview: den Watergate-Enthüller Carl Bernstein (72), den holländischen Rechtspopulisten Geert Wilders (52). Senator Carl Levin (82) erzählt, wie er das Schweizer Bankgeheimnis zu Fall brachte.

Wer viel arbeitet, muss Spass haben. Wir testen für ein Video die Fan-­Artikel von Hillary und Trump, die Mützen und Leibchen, Poster, Tassen und Schlüsselanhänger. Trump, so das Verdikt, bietet seinen republikanischen Anhängern eine grellere und vielfältigere Auswahl. Wohingegen sich Demokraten dezenter und edler kleiden. Pikantes Detail: Viele Trump-Souvenirs sind in Asien und Lateinamerika fabriziert – obwohl Trump doch verspricht, die Arbeitsplätze aus China und Mexiko zurück in die USA zu bringen.

Vier Tage feiern sich die Republi­kaner bei Hummer und Zigarren in Cleveland. Rund 300 Millionen Dollar bringt der Parteikonvent der Stadt. Zehn Minuten von der Arena entfernt finden wir East Cleveland, eine der ärmsten und gefährlichsten Gegenden der USA. Fast jeder Einwohner ist schwarz. Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei 12 600 Dollar. Häuser zerfallen, Autos verrosten. Ein Barbier erzählt uns, dass kein müder Cent der Republikaner zu ihnen fliesse: eine perfekte Geschichte, um Amerika aus­serhalb der Arena zu schildern.

konfettiEs ist Donnerstag. Noch fehlt etwas für Sonntag. Eine Stunde von Cleveland entfernt liegt Warren, die Hauptstadt jenes Bezirks in Ohio mit der höchsten Anteil an Trump-Wählern in den Vorwahlen. Noch vor vier Jahren gewann hier Obama – es ist dieser perfekte kleine Ort für ­Reporter, um zu zeigen, warum Trump so viele Stimmen holt.

Late Night Snack
Donnerstagnacht in Philadelphia, eigentlich schon Freitagmorgen. Die letzten Ballone fallen. Satter Rock tönt aus den Lautsprechern. Eine letzte Einschätzung auf Video, ein letzter Text, dann geht es zu Fuss rund drei Kilometer zum Hotel. Die Arbeit ist gemacht, der Hunger kommt. Zeit zu essen, blieb in den letzten 14 Tagen wenig. Morgens um 3 sitzen wir bei Hamburgern und Pommes bei Checkers. Es duftet nach schlechtem Frittier-Öl, wirkt wie in einem Gemälde von Edward Hopper.

Ja, es war toll, intensiv zu arbeiten, ungefiltert Politik zu konsumieren. Dann fällt der Satz: «Vielleicht gehen wir in vier Jahren wieder hin. Vielleicht.» 