Von Peter Hossli
Amerika feiert den Tag der Arbeit am ersten Montag im September. Alle vier Jahre ist dies der Auftakt zur Schlussphase des US-Wahlkampfs.
Gänzlich missglückt ist er nun Hillary Clinton (68). Statt ihren Vorsprung auf Widersacher Donald Trump (70) auszubauen, stürzte sie ab, und er fliegt davon.
Hustend hielt sie am Tag der Arbeit in Cleveland, Ohio, eine fade Rede. «Was ist nur los mit ihr?», fragten sich manche Zuhörer.
Vier Tage später beleidigte Clinton während eines Nachtessens für Spender «die Hälfte» der Fans von Trump als «erbärmlicher Haufen» von Rassisten und Sexisten. Was mehr als ein Fauxpas war. Amerika reagierte perplex über den Bruch einer eisernen Regel: Du sollst Wähler nie beschimpfen.
Letzten Sonntag verliess Clinton vorzeitig die Gedenkfeiern für die Opfer von 9/11. Zu heiss sei es ihr geworden, hiess es zuerst. Bald aber tauchte ein Video auf, dass Clinton wankend zeigte. Ohne Hilfe konnte sie nicht mehr gehen. Zugeben musste sie nun, seit Tagen an einer Lungenentzündung zu leiden.
Seither brechen Clintons Werte bei Umfragen regelrecht weg. Bei 40 Prozent liegen nun Trumps Chancen, nächster US-Präsident zu werden, rechnen die Statistiker vor. Ende August waren es unter zwanzig Prozent. Bei landesweiten Umfragen sind beide gleichauf. In zwei der drei entscheidenden Swing-States – in Ohio und Florida – führt Trump. Im dritten – in Pennsylvania – schrumpft Clintons Vorsprung täglich. Gewinnt Trump in Pennsylvania, ist er Präsident.
Nicht Clintons Gesundheit setzt ihr zu. Viel eher bestätigt ihr Verhalten die Vorurteile, die Amerikaner verinnerlicht haben. Man könne ihr nicht trauen. Sie sei elitär. Sie verschweige die Wahrheit. Sie sei manipulativ.
Fass- und sichtbar ist für alle geworden, was sonst Verfechter von Verschwörungstheorien über Clinton sagen. Wenige begreifen den Skandal über Mails, die sie als US-Aussenministerin über private Server abwickelte. Undurchsichtig wirken die Vorwürfe rund um die Familienstiftung der Clintons. Dass sie eine potenziell gefährliche Erkrankung verheimlicht, das aber sehen nun alle.
Folgenreich ist dies für Clinton, da bei der Vergabe des Wohnrechts im Weissen Haus der Bauch bei vielen Wählern eine grössere Rolle spielt als der Kopf. Amerikaner wollen sich wohlfühlen mit einem Kandidaten. Deshalb siegten die hemdsärmeligen Ronald Reagan († 93) und George W. Bush (70), verloren kluge Köpfe wie Jimmy Carter (91) und Al Gore (68).
Hillary Clinton fehlen das Charisma, der Humor und den Charme einer Siegerin. Bleibt das Stigma der Schwindlerin an ihr haften, dürfte sie am 8. November verlieren.
Zumal längst nicht mehr Fakten den politischen Diskurs bestimmen, sondern die Gefühle. Trump hat da wenig zu verlieren. Er gilt als Fabulierer, als Rüpel, der entgleistet und beleidigt. Sagt er völlig Abwegiges – «Barack Obama hat den IS gegründet» –, wird das als ulkige Politshow kleingeredet. Typisch Trump, halt.
Verhält er sich aber besonnen wie jetzt, steigt sein Ansehen: Oh, der kann ja anders, denkt mancher, wenn Trump ruhig spricht. Oder Clinton gute Besserung wünscht. Jüngst hat er das Wahlkampfteam ausgewechselt, spricht mit Bedacht, ist diszipliniert – und wirkt, als sei er ein normaler Präsidentschaftskandidat.
Was brandgefährlich ist für Hillary Clinton.