Von Peter Hossli
Seit Monaten liegt Hillary Clinton (68) in den Umfragen klar vor Donald Trump (70). Der Wettlauf um das Weisse Haus schien gelaufen.
Das hat sich geändert. Videokameras zeichneten gestern auf, dass Clinton zeitweise nicht mehr selbstständig gehen konnte, wie Beamte des Secret Service sie stützen und ins gepanzerte Auto begleiten mussten.
Vorzeitig verliess Clinton am Sonntagmorgen die New Yorker Trauerfeier für die Opfer der Terrorattacken vom 11. September 2001.
Es sei ihr zu heiss und zu schwül, hiess es zuerst, sie ziehe sich in die Wohnung ihrer Tochter Chelsea (36) zurück.
Abgeschirmt von der Presse
Auf den Sozialen Medien und auf Newsportalen jagten sich Gerüchte zur Gesundheit der ehemaligen US-Aussenministerin.
Klar schien: Ein normaler Schwindel ist das nicht. Zumal die mit Clinton reisenden Journalisten, sonst stets dabei und informiert, 90 Minuten lang keinen Zugang zu ihr hatten.
Später war Clinton kurz zu sehen. Sie winkte und sagte: «Es geht mir grossartig, es ist ein wunderschöner Tag in New York.»
Doch die Gerüchte ebbten nicht ab. Sie sah sich gezwungen, Klarheit zu schaffen. Clinton werde wegen einer Lungenentzündung behandelt, werde mit Antibiotika behandelt, sagte ihre Ärztin Lisa Bardack um 17 Uhr Lokalzeit. Zudem sei sie dehydriert.
Es ist eine Wende im Wahlkampf um das Weisse Haus.
Nicht mehr der Mail-Skandal, nicht mehr die Clinton-Stiftung – ihre Gesundheit bietet Clintons Gegnern nun die grosse Angriffsfläche. Und ihre Ehrlichkeit darüber.
Zwei Fragen werden die nächsten acht Wochen bis zum Wahltag dominieren: Ist Clinton fit genug, um den härtesten Job der Welt zu machen? Und wie ehrlich redet sie über ihre Gesundheit?
Enge Mitarbeiter Clintons seien nicht über die Lungenentzündung im Bild gewesen, berichtet die «New York Times». Sie seien erst gestern Abend per Mail informiert worden.
Ist sie wieder fit für die TV-Debatte?
Hillary habe sich ausgeruht und erhole sich prächtig, sagte Ärztin Bardack. Sie habe die Lungenentzündung bereits am Freitag diagnostiziert, nachdem Clinton stark gehustet habe. Welche Form der akuten oder chronische Entzündung des Lungengewebes sie habe, sagte die Ärztin nicht.
Eine erste Hustenattacke erlitt Clinton am Montag. Damals witzelte sie, an einer Trump-Allergie zu leiden.
Nun sagt die Kandidatin eine für heute Montag geplante Reise nach Kalifornien ab. Clinton dürfte sich länger ausruhen wollen. Denn spätestens am 26. September muss sie wieder topfit sein, dann findet die erste TV-Debatte statt.
Muss sie absagen oder erleidet sie am TV einen Schwächeanfall, wäre sie bei der Wahl wohl chancenlos. Bei den TV-Debatten erst machen sich die meisten Amerikaner ein Bild der Kandidaten.
Es ist mittlerweile wohl zu spät für die Demokraten, Clinton zu ersetzen. In zwanzig der 50 US-Bundesstaaten mussten die offiziellen Kandidaten bis Ende August gemeldet werden. Bis Ende September kommen zwanzig weitere Staaten hinzu. Allerdings, glauben Juristen, könnte man vor Gericht eine Änderung dieser Regel erzwingen.
Blutgerinnsel im Hirn
Seit Monaten versuchen die Republikaner den Gesundheitszustand von Clinton zu thematisieren. Immer wieder sprachen sie über ihre Hirnerschütterung von 2012. Damals fiel sie in Ohnmacht – wegen eines Blutgerinnsels im Hirn.
Bis anhin weigerte sich Clinton, ihre Gesundheitsdaten öffentlich zu machen. Das wird sie nun tun müssen. Sonst bleiben Gerüchte, sie verheimliche etwas.
Trump schweigt
Still verhält sich der Republikaner Trump. Mit keinem Wort hat er bisher die gesundheitliche Schwäche Clintons erwähnt. Was taktisch klug ist. Trump weiss: die Bilder der hinkenden Widersacherin sprechen für sich.