Von Peter Hossli (Text), Stefan Falke (Fotos) und Stephanie Seliner (Video)
Ballone und Konfetti fallen von der Decke, Vulkane versprühen Funken, satter Rock ertönt.
Es ist 23 Uhr 27 in Philadelphia. Hillary Clinton (68) und Tim Kaine (57) stehen auf der Bühne. Halten Hände, recken sie zusammen in die Höhe. Das Bild soll zeigen: «Hallo Welt, so sieht das neue Team an der Spitze der USA aus.»
Es folgen Bill Clinton (69), der seine Gattin umarmt, Chelsea (36), ihre Tochter, die beide herzt.
Kitschig-amerikanisch, rot-weiss-blau und perfekt inszeniert endet in der Nacht auf Freitag der Parteikonvent der Demokraten – mit einer Rede von Hillary Clinton, die typischer nicht hätte sein können.
Solide, keine grandiose Rede
Grandios ist sie nicht, sie ist gut, solide, reich an Details, ernsthaft. Sie bringt niemanden zum Weinen.
Hillary weiss, sie redet nicht so gut wie Bill – oder wie Barack Obama (54). Aber alle im Saal glauben: Niemand kennt die Probleme Amerikas so gut wie sie.
Sie ist keine brillante Rednerin, sie ist eine Macherin.
Kurz nach halb elf tritt sie auf die Bühne, trägt einen blütenweissen Hosenanzug – eine vorzügliche Anspielung an das Klischee, das an ihr haftet. Letzte Woche machten sich die Republikaner noch lustig über Clintons Hose und Jacke.
Das Publikum tobt, tanzt zu Katy Perry (31), johlt, schwenkt kleine und grosse Sternenbanner. «Hillary, Hillary, Hillary»-Rufe hallen durch den Saal.
Linksrutsch
Zuallererst erwidert sie die Liebeserklärung ihres Gatten vom Dienstag.
Dann bedankt sie sich bei Widersacher Bernie Sanders (74). Der – noch immer der schlechte Verlierer – sitzt stoisch da ohne zu applaudieren. Obwohl Hillary dessen Anhänger einlädt mit ihr zu kämpfen. Sie verspricht, auf sie zu hören. Sie rückt nach links, was die wohl grösste Überraschung ihrer Rede ist.
Grosse Konzerne und wohlhabende Amerikaner werde sie stärker besteuern. Mit diesem Geld werde sie die Infrastruktur Amerikas stärken, endlich bezahlte Ferien für neue Eltern einführen, die amerikanischen Kinderhorte günstiger machen.
Buhrufe von Sanders-Anhängern
Trotzdem hallen Buhrufe durch die Wells Fargo Arena. Clinton kann die verbitterten Sanders-Anhänger nicht für sich gewinnen. Obwohl sie höhere Mindestlöhne und Lohngleichheit für alle fordert, die Exzesse an der Wall Street beenden will.
Wie Sanders – und auch Trump – wettert sie gegen unfaire Handelsverträge und China. Das Land manipuliere den globalen Handel
Rasch ist sie beim Kern ihrer Kampagnen. Beim Grund, warum sie Präsidentin werden will. «Stronger together», lautet ihr Slogan. Zusammen sei Amerika stärker als allein.
Ein Ideal, so Clinton, das auf die Zeit der Gründerväter zurückgehe. Diese seien damals zusammen gestanden und konnten deshalb gegen die Brite rebellieren.
Amerika am Wendepunkt
Erneut stünden die USA an einem Wendepunkt. «Amerika hat die Wahl», sagt sie. Sie vereine Amerika. Trump wolle das Land spalten, die USA von der Welt abnabeln. «Er will, das wir uns vor der Zukunft fürchten und vor einander Angst haben», sagt Clinton – und zitiert Franklin D. Roosevelt (1882 – 1945), der einst sagte: «Angst haben müssen wir nur vor der Angst.»
Sie blickt in die Kamera, als wolle sie Trump und allen Amerikanern sagen: «Wir haben keine Angst.»
«Wir machen alles zusammen»
Als Schwindler zeichnet sie den New Yorker Baulöwen. «Glaubt ja keinem, der euch sagt, er könne alles alleine machen.» Trump vergesse die Soldaten, die Ärzte, die Krankenschwestern, die Lehrer, die Polizisten und Unternehmer. «Wir machen alles zusammen.»
Wenig nur redet sie von sich selbst, betont einzig ihre Erfahrung, als First Lady, als Senatorin, später als Aussenministerin. «Diese Titel sagen, was ich gemacht habe, aber nicht, wer ich bin.»
Ihr sei schon klar, nicht alle könnten etwas mit ihr anfangen. «Mir fällt es einfacher zu dienen als darüber zu reden», sagt sie.
Und versucht zu erzählen, wer sie ist. Dass sie aus einer Familie komme, «deren Name nicht auf grossen Gebäude steht» – eine Anspielung an die goldenen Trump-Buchstaben auf den Trump-Gebäuden.
Das ist gut gemeint und aufrichtig. Herzen erobert sie damit nicht. Niemand weint, wenn sie rede. Dafür kennt sie jedes Gesetz, jede Vorschrift für sauberes Wasser. Das klinge zwar neunmalklug. «Aber es ist wirklich wichtig zu verstehen, wie sauber Wasser ist.»
Eine Präsidentin für alle
Sie werde eine Präsidentin der Republikaner, der Demokraten und der Unabhängigen sein. «Von allen, die mich wählen – und für alle, die es nicht tun.»
Geschichte hätten die Demokraten diese Woche geschrieben, erstmals eine Frau als Kandidatin fürs höchste Amt im Land nominiert. Nicht nur Mädchen und Frauen seien überglücklich, sondern auch Männer und Knaben.«Sie wissen: Fällt eine Schranke in Amerika, öffnet sich der Weg für alle.»
Wer mit Tweets zeuselt
Donald Trump sei ein Choleriker, was viel zu gefährlich sei für das Weisse Haus. «Einem, der mit Tweets zeuselt, darf man nicht die nuklearen Waffen anvertrauen.»
Trump verstehe nicht, wie grossartig die USA seien. «Er offeriert keine Veränderungen, er offeriert leere Versprechen.»
Sie hingegen habe einen klaren Plan, lege offen, was sie tue.
Sie schliesst mit einer Anekdote. Ihre Mutter habe einst die Türe vor ihr abgeschlossen, als Hillary vor einem Rüpel davonrennen wollte. Das kleine Mädchen musste zurück und den Buben zurechtweisen.
Gelernt habe sie: «Wir müssen immer aufstehen und uns gegen Rüpel wehren.»
Leise Chelsea
Vor ihr spricht ihre Tochter Chelsea (36). «Ich bin hier als stolze Amerikanerin, als stolze Mutter. Vor allem bin ich hier als stolze Tochter.»
Sie spricht leise. Die sonst so laute Halle verstummt, horcht der fast zerbrechlichen Stimme. Das wirkt zärtlich und aufrichtig – und unterscheidet sich vom aufgedonnerten Pomp der Trump-Kinder.
Sie schildert ein Zuhause, in dem sie sich entfalten konnte. «Meine Eltern fragten mich zuerst, was ich erlebt habe, was meine Meinung war – und sprachen erst danach von sich selbst.»
Sie bewundere ihre Mutter vor allem dafür, dass sie immer wieder aufstehen könne. «Mich fragen immer alle, warum sie das kann», sagt Chelsea. «Weil sie genau weiss, für wen sie kämpft.»
Ein Abend für Hillary
Der Abend gehört Hillary Clinton. Zwei verschiedene Schilder nur verteilen Freiwillige im Saal: «USA», steht auf dem eine, «HILLARY» auf dem anderen. Kein Hollywood-Star spricht. Die Ex-Präsidenten sprachen in den Tagen zuvor, ebenso die Hoffnungsträger der Partei.
Zu Wort kommen Mütter gefallener Polizisten und Soldaten; Arbeiterinnen, die drei Jobs und trotzdem nicht genug Geld haben. Muslime, die so patriotisch sind wie alle anderen Amerikaner. Soldaten und Generäle, die sich in den Dienst des Landes stellen, die Clinton zur Wahl empfehlen und vor Trump warnen. Eine Zwanzigjährige ruft die anderen Millienals auf zu wählen.
Zeigen soll die letzte Nacht des Parteikonvents: Die Demokraten sind fürsorglich, aufrichtig, ernsthaft, sie haben einen Plan. Diese Partei gehört nun Hillary Clinton. Zumindest bis zum Wahltag am 8. November – gewinnt sie noch viele Jahre mehr.