Von Peter Hossli (Text) und Stefan Falke (Foto)
Es ist 23:40 Uhr in Philadelphia, kurz vor sechs Uhr in der Schweiz. Tausende johlen in der Wells Fargo Arena. Auf der Bühne tänzelt Barack Obama (54), strahlt, reckt die Arme zum Stadiondach. Lange hat er gesprochen. Mit einem Wunsch hört er auf: «Weist die Angst zurück, wählt Hillary!»
Wenige Sekunden nur geniesst Obama das Bad in die Menge – plötzlich steht Hillary Clinton (68) neben ihm. Die beiden umarmen sich herzlich. Lassen einander nicht mehr los, halten Hände, er legt seinen Arm auf ihren Rücken. Gemeinsam gehen sie zum Publikum, schauen sich in die Augen, winken zusammen.
Es ist ein Bild für die Geschichtsbücher: Der abtretende Präsident und die Frau, die seine Arbeit fortführen soll.
Die Herzlichkeit, die beide verbindet, ist auf der Bühne zu sehen und im ganzen Saal zu spüren.
Fast eine Stunde lang lobt Obama Hillary Clinton. Sagt, sie habe Fehler gemacht, wie er auch, «wie alle, die sich engagieren».
Aber, betont er, «nie zuvor war eine Person besser auf das Weisse Haus vorbereitet als Hillary, nicht ich, nicht Bill, niemand».
Scharfschützen in Position
Fünzig Minuten früher. Prall gefüllt ist die Arena, viele können nicht rein. Alle wollen die letzte grosse Rede Obamas live erleben. Beamte des Secret Service kontrollieren das Podium. Fleissige Helfer verteilen blaue Schilder mit weissen Buchstaben: «Obama». Die Scharfschützen sind in Position.
Auf dem Bildschirm flimmert ein Video, das Obama als Präsident zeigt. Der Osama bin Laden tötete. Der mit Müttern weinte, die ihre Kinder durch Waffengewalt verloren. Der Kuba besuchte. Sich erfolgreich für die Homo-Ehe und die Krankenkasse für alle einsetzte. Soldaten abzog. Der die Wirtschaft wieder auf Kurs brachte.
Cool, nicht arrogant, demütig
Dann, um 22 Uhr 53, tritt er auf die Bühne, wirkt cool, bewegt sich wie ein Sportler, der eben einen grossen Titel gewonnen hat, nicht arrogant, aber demütigt.
Minutenlang applaudieren die Demokraten. «Danke euch», sind die ersten Worte. «Yes we can, yes we can», hallt es durch den Saal. Es ist der Slogan, mit dem Obama vor acht Jahren gewählt worden war.
Er witzelt. Seine Frau Michelle sehe acht Jahre später «keinen Tag älter aus» als damals. Seine beiden Töchter aber würden sich über ihn lustig machen. «Ich habe mich verändert, sagen sie mir, nicht schlechter sehe ich aus, einfach reifer.»
Was nicht falsch sei. Voller Hoffnung sei er gewesen, als er sich vor zwölf Jahren der Welt vorstellte, vielleicht sogar etwas naiv. «Die Hoffnung für Amerika habe ich nie aufgegeben.»
«Buht nicht, wählt»
Obama ist ein hervorragender Redner, nicht so gut wie Bill Clinton am Vortag. Aber doch einnehmend, packend.
Er redet über das, was er erreicht hat. Und das, was Hillary noch erreichen soll. Der Saal buht, wenn Obama den Namen Donald Trump (70) erstmals erwähnt. Cool feuert der Präsident zurück. «Buht ihn nicht aus – geht wählen.»
«Mein Amerika ist anständig»
Es sei gut, dass sich Demokraten und Republikaner unterscheiden, sagt Obama. Aber was letzte Woche am Parteikonvent der Republikaner in Cleveland passiert sei, «ist nicht republikanisch, es ist nicht konservativ», sagt Obama. Trump verbreite eine «pessimistische Vision – in der wir uns gegen einander stellen, und gegen den Rest der Welt».
Hass, Wut und Anschuldigungen – so sehe die Welt Trumps aus. «Das ist nicht das Amerika, das ich kenne», sagt Obama, «mein Amerika ist anständig.»
«Sie gibt nie auf»
Der Saal tobt, wenn Obama sagt: «Die nächste Präsidentin der USA ist Hillary Clinton.»
Er spricht darüber, wie hart es 2008 gewesen sei, sie in den Vorwahlen zu schlagen. «Sie gibt nie auf». Obama zeichnet Clinton als klug, fleissig und leidenschaftlich.
Die ganze Welt würde Hillary Clinton respektieren. «Aber die Menschen ausserhalb der USA verstehen nicht, was in diesen Wahlen los ist», sagt Obama.
Trump verachte Amerika, verstehe die amerikanische Demokratie nicht. Der Tycoon gebe vor, das Land retten zu müssen, zeichne die USA als schwach. «Wir sind nicht schwach, wir haben keine Angst, wir brauchen keinen Retter», entgegnet Obama. «Wir Amerikaner brauchen keinen Führer, wir nehmen das Schicksal in unsere eigenen Hände.»
«Wer Amerika angreift, scheitert»
Die Amerikaner hätten das Herz auf dem rechten Flecken. «Egal, wer uns angreift – er wird scheitern», sagt Obama. «Egal ob es ein Dschihadist ist – oder ein amerikanischer Demagoge.»
Es ist ein aufgekratzter Abend, mit vielen Stars. Lenny Kravitz singt, die Schauspielerinnen Angela Bassett und Sigourney Weaver reden, dazu ein Astronaut und ein General.
Vor Obama spricht Tim Kaine (58), der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten. «Ehrlich gesagt habe ich nicht erwartet, hier zu sein», sagt der Senator aus Virginia. Er redet über seinen Sohn, der eben als Grenadier entsandt worden ist. «Um jene Nato-Länder zu verteidigen, die Donald Trump im Stich lassen will.»
Kaine, den viele als Langweiler kritisieren, beginnt langweilig. Rattert seine Biografie runter, lobt Hillary.
Hochstapler Trump
Aber dann holt er aus und attackiert Trump. Er fordert den Baulöwen auf, endlich seine Steuererklärung offen zu legen.
Zuletzt entlarvt er ihn als Hochstapler, und zwar aggressiver als alle anderen Redner am Parteikonvent der Demokraten. Trump sage nie, wie er etwas machen werde. «Er sagt nur: vertraut mir, dabei kann ihm keiner vertrauen.»
Im Publikum sitzt Kaines Schwiegervater, ein Republikaner, weit über 90 Jahre alt. «Er wählt immer mehr Demokraten», sagt Kaine. «Denn ein Partei, die einen wie Trump nominiert, hat sich entfernt von der Partei von Lincoln.»
Rocky Joe Biden
Zur Hymne des «Rocky»-Films steigt Vizepräsident Joe Biden (73) auf die Bühne. Liebevoll beschreibt er die Obamas als Freunde, nennt Obama den «anmutigsten Präsidenten, den wir je hatten». Und zur First Lady: «Michelle, du bist unglaublich».
Klug und leidenschaftlich preist er Hillary. Trump hingen sei zynisch, denke nur an sich, verunglimpfe Amerika als «einen Haufen Dreck». Keine Ahnung habe der Milliardär von der Mittelklasse. «Trump ist kein Republikaner», sagt Biden. «Er betrügt die amerikanischen Werte, er ist für Folter, für religiöse Intoleranz – wir können seine Wahl nicht geschehen lassen.»
Die Demokraten im Saal sind sich einig – und rufen: «USA! USA! USA!»
«Trump ist ein Schwindler»
Für Aufsehen sorgt Michael Bloomberg (74), der Medienunternehmer, Milliardär und Ex-Bürgermeister von New York. «Es ist zwingend, dass Hillary Clinton gewählt wird», sagt er. Er sei einmal Republikaner gewesen, später Demokrat. Heute ist er unabhängig. «Weil niemand ein Monopol hat auf gute Ideen hat», sagt Bloomberg. «Ich wähle die Person, nicht die Partei.»
Für ihn sei klar: «Wir müssen zusammen stehen und einen gefährlichen Demagogen schlagen.»
Als New Yorker erkenne er einen Schwindler wie Trump. «Ihn zu wählen wäre riskant und radikal – dieses Risiko können wir nicht eingehen.»