Die First Lady rührt zu Tränen

Michelle Obama ist der Star in Philadelphia. Die First Lady begeisterte am Parteikonvent mit einer aufwühlenden Rede. Und Bernie Sanders scheitert kläglich.

Von Peter Hossli (Text), Stefan Falke (Fotos) und Stephanie Seliner (Video)

michelle_1Es ist kurz vor zehn Uhr nachts im Wells Fargo Center in Philadelphia. Jeder Platz ist besetzt, die Stimmung aufgekratzt am ersten Abend des Parteikonvents der Demokraten. Anhänger von Hillary Clinton (68) und Bernie Sanders (74) schreien einander an.

Plötzlich verstummen sie. Frauen in gelben Westen tragen Schilder mit der Aufschrift «Michelle» in die Halle, verteile sie an Delegierte und Gäste. In wenigen Minuten redet die First Lady. «Gebt mir ein Schild!» – «Hier, bitte!» – «Hey, ich will auch eines», rufen die Besucher des Konvents. Jeder will ein Michelle-Schild.

Über den Bildschirm flimmern Videobilder, die Michelle Obama (52) als First Lady zeigen. Erstmals kreischt die gesamte Halle. Obama schafft, was die Demokraten dringend brauchen: sie vereint eine gespaltene Partei.

michelle_2Vorbild Hillary Clinton

Strahlend tritt sie im königsblauen Kleid auf die Bühne, stiehlt allen die Show. Jeder im Saal steht auf, applaudiert. «Michelle, Michelle»-Rufe durchdringen die Arena.

Berührend erzählt sie, wie sie vor acht Jahren mit zwei kleinen Mädchen ins Weisse Haus eingezogen war, dass ihre Töchter mittlerweile junge Frauen seien.

Einnehmend schildert sie, wie Malia (18) und Sasha (15) damals von bewaffneten Männern des Secret Services zur Schule gefahren worden seien. «Da fragte ich mich: was haben wir nur getan?»

Zumal nur etwas zähle: «Was wir unseren Kindern auf den Weg geben», sagt sie. «Kinder sehen alles, was wir Eltern tun, wir sind ihre wichtigsten Vorbilder.»

michelle3Mancher Mutter, manchem Vater im Saal kullern Tränen über die Wangen. Nur einer Person traue sie zu, im Weissen Haus das Richtige für die Kinder Amerikas zu tun: «Unserer Freundin Hillary Clinton.»

Eloquent schlägt sie die Brücken zwischen ihrem Mann Barack Obama (54), der als erster schwarzer Präsident Geschichte schrieb – und Clinton. «Jeden Tag erwache ich in einem Haus, das Sklaven gebaut haben», so die First Lady. «An meiner Seite sind zwei wunderschöne, gescheite schwarze Mädchen. Dank Hillary finden sie es normal, dass eine Frau amerikanische Präsidentin werden kann.»

Vor acht Jahren unterlag Hillary Clinton noch Barack Obama. «Sie wandte sich damals nicht wütend ab», lobt First Lady Obama die Ex-First Lady Clinton: «Sie diente ihrem Land und wurde Aussenministerin.»

Michelle Obama enttäuscht jene, die einen Melania-Trump-Witz erwarteten. Sie steht über der Sache, mokiert Trump nicht, weil sie Teile ihrer Rede kopiert hatte.

michelle4Einzig Donald Trump (70) greift sie an, und dessen Slogan «Make America Great Again» an. «Lasst euch von niemandem sagen, dieses Land sei nicht grossartig, dieses Land ist grossartig.»

Bulldoge der Demokraten

Nach der First Lady spricht Elizabeth Warren (67), Senatorin aus Massachusetts und Bulldogge der Demokraten. Niemand greift Trump unbarmherziger an als sie – auf Twitter und in Reden. «Amerika hat die Wahl», sagt Warren. «Zwischen einem Mann, der noch nie etwas geopfert hat, der sich nonstop nur um sich selber kümmert.»

Auf der anderen Seite stünde eine ausgesprochen kluge Frau, «die für euch arbeitet.» Trump stehe für das hässliche Amerika. «Er will Stimmen gewinnen durch Hass und durch Angst.»

Hochmut statt Demut

michelle5Kurz vor elf tritt Bernie Sanders (74) auf die Bühne. Tosender Applaus schlägt ihm entgegen. Minutenlang erschallen «Bernie, Bernie, Bernie»-Rufe. Der Senator aus Vermont nimmt einen Zettel aus der Hose – und liest als einziger nicht vom Teleprompter ab.

Seine Aufgabe ist schwierig. Sanders ist verbittert. Seine Anhänger sind verbittert. Sanders müsste die Partei einen, ohne seine Anhänger und sein Ego zu vergrämen.

Eine Aufgabe, der er nicht gewachsen ist. Er erweist sich als schlechter Verlierer, spricht mit mehr Hochmut als Demut.

Sanders redet über sich und seine Erfolge, statt über Clinton. Er kann sich nicht zu einer bedingungslosen Unterstützung durchringen, nimmt stattdessen die Vogelperspektive ein. «Ein objektiver Beobachter» müsse zum Schluss kommen: «Hillary Clinton muss die nächste Präsidentin der USA werden.»

Leicht fällt ihm nicht einmal diese Aussage. Doch er weiss: Die Demokraten haben im November nur dann eine Chance gegen Trump, wenn sie geeint sind. Er schliesst: «Hillary Clinton wird eine grossartige Präsidentin werden, und ich bin stolz, neben ihr zu stehen.»