“Wenn nötig, verhandle ich mit dem Teufel”

Jenseits von Sepp Blatter: Schweizer Emissäre geben Einblick in die Prinzipien ihres Handelns.

Von Peter Hossli

manuel_besslerMitte Mai 2015: Burundis Präsident Pierre Nkurunziza (52) schlägt gerade einen Putsch nieder. Beim EDA, dem Schweizer Aussenamt, fürchtet man Tumulte und Tote. Staats­sekretär Yves Rossier (56) greift zum Telefon. Washington ist besorgt. Die US-Regierung befindet: Nkurunziza muss weg.

Helfen soll Sepp Blatter (80), beliebt bei afrikanischen Herrschern. Er könnte, so der Plan, Nkurunziza mit einem Fifa-Job aus dem Amt ködern. Doch der wittert eine Falle, schlägt die Bestechung aus.

Blatters Mission, letzte Woche bekannt geworden, eröffnet den Blick in die unorthodoxe Welt der Diplomatie. Wo der Zweck oft die Mittel heiligt, wo stille Vermittler ein Geschacher mit der Fifa in Kauf nehmen. Obwohl Blatter und der Fussball deswegen in Verruf geraten. «Die Entscheidung war einfach», sagt ein EDA-Diplomat, der wie viele andere anonym bleiben will. «Wir stuften das Leben der Burundier höher ein als allfällig moralische Fragen rund um Blatter.» Der Fall zeige: «Die Diplomatie beschäftigt sich ständig mit einer Frage: Was darf sie?»

Denn sie verfolgt stets ein konkretes Ziel. Die UBS vor dem Kollaps retten. Blutvergiessen verhindern. Zugang für Helfer in Syrien. US-Geiseln aus dem Iran, Schweizer aus Pakistan befreien.

Jüngst ging es um das Kind eines Korrespondenten. Es kam in einem fremden Land zur Welt. Was zum Problem wurde. Da es nie eingereist war, durfte es nicht ausreisen. Das EDA half, das Kind durfte das Land verlassen. Wohl weil die Schweiz einem Bürger jenes Staates ein Visum erteilte. Personen und Land bleiben hier ungenannt. Wird eine solche Aktion publik, gefährdet dies künf­tige Operationen. Blatter aber redete, «damit einmal positiv über mich berichtet wird – und nicht immer nur negativ». Was ihn von echten Diplomaten unterscheidet. Denen geht es einzig um die Arbeit, Blatter geht es ausschliesslich um sich selbst.

Die vielleicht spektakulärste Aktion der Schweizer Diplomatie fand nie statt. Weil Libyen davon erfuhr. Schweizer Grenadiere sollten von Muammar al-Gaddafi (1942–2011) in Tripolis festgehaltene Geiseln befreien – mithilfe von Beduinen. Im letzten Moment brach der Bundesrat die Sache ab. Es ging nicht ohne direkte Begegnungen mit Gaddafi.

Um Syrien vollführen Schweizer Diplomaten wahre Eiertänze. Sie organisieren in Genf Friedensgespräche, an denen die syrische Opposition teilnimmt. IKRK-Präsident Peter Maurer (59) trifft Präsident Bashar al-Assad (50). Und Schweizer Diplomaten reisen nach Damaskus, um mit der syrischen Regierung über humani­täre Hilfe zu verhandeln. «Es braucht Fingerspitzengefühl, alle Parteien von unserer Neutralität zu überzeugen», sagt Manual Bessler (57), Delegierter des Bundesrats für humanitäre Hilfe. «Neutralität ist unverhandelbar.»

Dubiose Partner
Entscheidend sei in der Diplomatie, mit wem man sich an einen Tisch setze, sagt der humanitäre Dip­lomat. Bessler geht es einzig darum, Menschen in Not zu helfen. Damit Helfer in belagerte syrische Gebiete fahren dürfen, trifft er sich mit der syrischen und iranischen Regierung. «Wir setzen uns mit denen zusammen, die etwas bewegen», so Bessler. Um humanitäre Hilfe leisten zu können, gelte generell: «Wenn nötig, verhandle ich mit dem Teufel.»

Mit Schergen redet er und mit Radikalen. Was heikel ist, er tritt ja im Namen der Schweiz auf. Es könnte heissen, die Schweiz rede mit Schergen und Radikalen. Bessler: «Bei solchen Treffen darf es nur um humanitäre Anliegen gehen, nie um politische.»
Gespräche passieren nicht einfach so. Es gibt keine Telefonnummern, die man wählen kann. Nötig sind Kontakte im Feld, hergestellt von Mittelsmännern. Das braucht Zeit. «Es ist unmöglich, morgens einzufliegen und nachmittags zu verhandeln», sagt Bessler. Er trinkt viel Tee – unter vier Augen, um Vertrauen zu schaffen. «Oft ist ein Gespräch schon erfolgreich, wenn wir darlegen können, wer wir sind.» Auf dubiose Deals verzichtet er. Auf dubiose Gesprächspartner nicht. «Die Frage lautet stets: Was ist ethisch vertretbar?»

Ein früherer Diplomat erklärt: «Ein Deal mit dem Teufel ist absolut legitim», solange man die Normen einhalte. «Ein Friedensabkommen mit Hitler muss man abschliessen.» Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die im Gazastreifen mit der palästinensischen Terrororganisation Hamas sprechen. Zur Hisbollah hat sie ebenfalls Kontakte.

Diplomaten denken zuweilen philosophisch. Darf man einen Menschen foltern, um Tausende Leben zu retten? Immanuel Kant sagt: Nein. Jeremy Bentham sagt: Der Zweck ist wichtiger, die Mittel werden geheiligt.

Doch darf man zahlen, um Geiseln zu befreien? «Kurzfristig ja, es rettet Leben», so ein Diplomat. «Langfristig schafft man Anreize für weitere Entführungen.» Offiziell zahlt die Schweiz nie. Von «alternativen Wegen» erzählen andere.

Alles dürfen Schweizer Diplomaten nicht. Sie halten sich an geltendes Recht und informelle Normen. Und an die Ziele der Schweizer Aussenpolitik. Schwammiger wird es bei den Mitteln: «Vertretbar» müssen sie sein. Vertretbar wie die Villa-Lösung für Burundis Präsident. «Villa-Lösung», auch Parkplatzlösung genannt, ist Diplomatenjargon für «Exil».

Eine solche Lösung sucht die Dip­lomatie für den syrischen Präsidenten Assad. Alle sind sich einig: Er muss weg. Um jeden Preis. Freiwillig tritt er nicht ab. Es wäre sein Todesurteil. «Der Krieg ist seine Überlebenslösung», sagt ein Diplomat. «Jetzt braucht Assad eine andere Lösung, die ihn am Leben hält.» Nach der suchen die Dip­lomaten. Was sie finden, kann durchaus schmutzig sein.

«Er wollte mich bestechen»
Der Präsident von Burundi, Pierre Nkurunziza (Bild, links), kommentiert Sepp Blatters geheime Mis­sion. Der Fifa-Präsident hatte ihm einen Job bei der Fifa angeboten – falls er abtrete. «Er glaubte, Blatter wolle ihn bestechen und in eine Falle locken», sagte gestern Burundis Regierungssprecher ­Willy Nyamitwe. «Deshalb lehnte er ab.» Nkurunzizas Instinkt war richtig: Wenige Wochen nach Blatters Angebot musste der Fussballboss selbst zurücktreten. Burundi versinkt im Chaos. Streitereien um Nkurunzizas Wiederwahl kosteten 400 Menschen­leben. Seither sollen seine Folterer 600 Opfer malträtiert haben.