Und plötzlich ist Trump lieb

Analyse zu den Vorwahlen in New York: Hillary Clinton geht ohne Schramme hervor, Donald Trump gibt sich staatmännsich.

Von Peter Hossli

«The Bern» verglüht. Clinton gestählt. Trump staatsmännisch. Cruz verstummt.   So lauten die Schlagzeilen der Wahlnacht von New York.

Hillary Clinton (68) hob gestern Abend sanft die Hand, sie war fröhlich: «Die Nomination ist in Sichtweite», strahlte sie. Die Ex-First-Lady schlug ihren demokratischen Widersacher Bernie Sanders (74) bei den gestrigen Vorwahlen deutlicher als erwartet, obwohl sie weit weniger Geld einsetzte. «Es ist nirgends so schön wie zu Hause», beschrieb sie den Triumph in ihrem Heimatstaat New York.

Sanders hingegen kündigt an, einen Tag Pause einzulegen – vielleicht, um danach auszusteigen.

Clinton geht gestärkt aus diesen Vorwahlen heraus. Sanders forderte sie, gewann in vielen kleinen Staaten, schärfte Clintons Auftritte, trieb sie zur Kämpferin – und das ist sein grosser Verdienst.

Sanders machte   Clinton für den Wahlkampf fit, der im Hochsommer beginnt und bis am 8. November dauert. Vor allem: Clinton geht ohne Schramme als Siegerin hervor, die Demokraten agierten zivilisiert und sachbezogen. Sie haben ihren Gegnern kaum Material überlassen, um später in fiesen Werbespots einzusetzen.

Anders die Republikaner, die sich im Zug der Vorwahlen einen regelrechten Abnützungskampf lieferten. Die eine zerrissene Partei hinterlassen.

Geblieben sind etliche Momente grosser Gehässigkeit und Peinlichkeiten, welche die Demokraten genüsslich in ihrer Wahlwerbung einsetzen werden.

Höchstwahrscheinlich gegen Donald Trump (69).

Er gewann in New York mit 60 Prozent der Stimmen, holte in seiner Heimat erstmals eine klare Mehrheit. Seine verbliebenen republikanischen Widersacher John Kasich (63) und Ted Cruz (45)? Chancenlos.

Nach etlichen Niederlagen kann   Trump seinen   Wahlkampf nun stabilisieren. Er erhält die meisten in New York vergebenen Delegierten-Stimmen, während Cruz leer ausgeht. Ein herber Rückschlag für den texanischen Senator.

Plötzlich scheint wieder möglich, dass Trump die nötige Anzahl Delegierter vor dem Parteitag im Juli holt.

Beachtlich Trumps Triumph-Rede: er tönte staatsmännisch, und nicht wie ein Halbstarker auf dem Pausenplatz, vermied Ausdrücke wie «Lyin’ Ted» – Lügen-Ted – oder «Crooked Hillary» – hintertriebene Hillary. Stattdessen sprach er über die angeschlagene Wirtschaft in Bundesstaaten, die demnächst wählen.

Trump ist klug genug um zu wissen: jetzt ist es Zeit, die Wut abzulegen und den Choleriker abzustreiben. Sonst hat er gegen die Gegenseite   im November keine Chance. Denn die setzt auf Vernunft.

Fazit nach New York: Es kommt wohl zum Duell «Trump gegen Clinton». Für die ach so stolzen New Yorker hiesse   das: Einer von ihnen zieht   sicher nach Washington. Oder in Anlehnung an Frank Sinatra: «Start spreading the news, I’m leaving today.»