“Alles andere als Frieden wäre katastrophal”

Bundesrat Didier Burkhalter über Syrien, Flüchtlinge und die humanitäre Hilfe der Schweiz.

Interview: Peter Hossli Fotos: Philippe Rossier

burkhalter_hossliHerr Bundesrat Burkhalter, wie gut kennen Sie Syrien? 
Didier Burkhalter: Leider war ich noch nie in diesem Land.

Seit fünf Jahren herrscht dort Krieg. Was braucht das Land dringend?
Frieden. Und dafür ist eine politische Lösung nötig. Frieden allein reicht aber nicht. Es wird eine sehr lange Phase geben, in der das Land aufgebaut werden muss. In dieser Zeit bleibt humanitäre Hilfe unabdingbar.

Derzeit ruhen die Waffen. Hält der Waffenstillstand?
Nicht perfekt, das ist in solchen Situationen nicht ungewöhnlich. Aber er hält gut genug, um die nächste Etappe des Friedensprozesses zu schaffen.

Russland zieht seine Truppen aus Syrien ab. Wie erklären Sie das?
Die positive Theorie lautet: So wird der Druck auf die syrische Regierung erhöht. Es gibt auch andere Interpretationen. Aber ich glaube an das Positive.

Ist eine militärische Entscheidung noch möglich?
Nein, sicher nicht. Keine Partei kann diesen Krieg gewinnen. Eine Zukunft hat Syrien nur mit einem politischen Prozess. Sonst explodiert das Land.

Wie sieht Ihre Lösung für Syrien aus?
Die Waffen müssen ruhen, dann braucht es eine Übergangsregierung und möglichst schnell Neuwahlen.

Wie sieht der Weg dorthin aus?
Es gibt drei Etappen. Zuerst braucht es besseren Zugang für die humanitären Helfer in den belagerten Regionen. Das ist teilweise erreicht. Dann kommt der Waffenstillstand. Auch hier gibt es Fortschritte. Jetzt nehmen wir die Friedensverhandlungen wieder auf.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass diese in einen dauernden Frieden münden?
Das muss jetzt passieren. Bisher waren die internationale Gemeinschaft und die regionalen Mächte nicht an einer friedlichen Lösung interessiert. Das hat sich verändert. Der Druck ist für alle zu gross geworden. Jeder weiss: Alles andere als Frieden wäre katastrophal.

Kann der syrische Präsident Bashar al-Assad Teil dieser Lösung sein?
Er muss mitmachen, damit die Verhandlungen vorankommen. Die aktuelle Regierung muss sich dafür einsetzen, dass Syrien überhaupt eine Zukunft hat. Aber dann braucht es andere Leute, welche die Zukunft des Landes in die Hand nehmen.

Muss Assad vor den Internationalen Strafgerichtshof?
Schwere Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehören vor die Justiz. Sonst wird der Frieden nicht halten.

Das heisst, Assad gehört vor Gericht?
Nochmals, alle Verbrechen und Verbrecher gehören vor Gericht. Welches Gericht das sein wird, wissen wir noch nicht.

Wie beurteilen Sie die Lage in Syrien?
Die humanitäre Situation in Syrien ist absolut schrecklich. Es gibt Orte, wo es nicht einmal Wasser gibt, wo die Leute nichts zu essen und nichts zu trinken haben. Wo es keine Schule gibt. Ein solches Leben kann ich mir nicht vorstellen.

Die Schweiz hat seit 2011 humanitäre Hilfe im Umfang von 250 Millionen Franken geleistet. Ist das genug?
Es ist sehr viel Geld, aber für eine solche Katastrophe genügt es nicht. Für die Schweiz ist es der grösste humanitäre Einsatz aller Zeiten. Es ist das Geld der Schweizer, und das verdient Anerkennung.

Wollen denn noch mehr Menschen aus Syrien flüchten?
In gewisse Regionen gehen die Menschen zurück – aber sie sehen keinerlei Perspektive. Wenn es wieder Frieden gibt, dann wollen die Syrer zurück.

Die Balkanroute ist geschlossen. Ist das ein guter Entscheid?
Nicht die Schliessung an sich ist gut, sondern alle Massnahmen vor Ort, die dazu führen, dass es wenige Gründe für eine solche gefährliche Reise gibt. Sicher ist auch, dass die Regeln der Flüchtlingskonvention anerkannt werden müssen.

In Griechenland leben Flüchtlinge im Schlamm, leiden Hunger. Warum müssen wir solche Bilder in Europa sehen?
Wir in der Schweiz machen so viel wie möglich. Was in anderen Ländern passiert, zeigt, wie schwierig es ist, eine europäische Antwort zu finden für eine solche Krise. Europa war nicht vorbereitet. Das Beste wäre, die Probleme vor Ort zu lösen.

Europa hat ein Abkommen mit der Türkei über Flüchtlinge geschlossen. Darf man mit einem Land einen Deal schliessen, das die Menschenrechte derart verletzt?
Man muss mit einem Land reden, das 2,7 Millionen Flüchtlinge beherbergt. Man muss mit der Türkei Lösungen suchen. Aber gleichzeitig müssen wir die Probleme klar ansprechen.

Dann begrüssen Sie das Abkommen?
Es muss das Völkerrecht und die Flüchtlingskonvention respektieren. Ob es dies tut, kann ich noch nicht sagen.

Dann ist das Abkommen Realpolitik?
Zwischen der EU und der Türkei ist es Realpolitik, ja. Die Schweiz hat eine andere Rolle.