Auf Tuchfühlung mit Leo

Er hat eben einen Oscar gewonnen, im Januar weilte Leonardo DiCaprio in Davos. Mit Reichen und Mächtigen palaverte er über die Welt, liess sich von US-Vizepräsident Joe Biden streicheln und verlangte: Öl muss im Boden bleiben.

Von Peter Hossli

leo_domoLeo kommt. Es war eine Nachricht, die manche – vor allem auf der Redaktion – elektrisierte. Leonardo DiCaprio, 41, reist nach Davos und palavert am Weltwirtschaftsforum mit den Mächtigen und Reichen über den Zustand der Welt. Ein Autogramm will eine Kollegin, ein Interview eine andere. «Mach ein Selfie», sagt einer beim Mittagessen. «Der kommt doch nur ans WEF, um seine Oscar-Kampagne zu lancieren», frotzelt der Zyniker in der Runde.

Ehrung für Engagement
DiCaprio, derzeit als rachsüchtiger Kino-Trapper in «The Revenant» im Westen Amerikas unterwegs, erhält in Davos den Crystal Award – einen Preis, den Hilde Schwab alljährlich an Künstler vergibt, die sich zusätzlich sozial engagieren. Für das WEF ist die Preisverleihung jeweils ein willkommener Vorwand, etwas Glamour ins Landwassertal zu bringen.
Der Auftrag aus Zürich ist klar und deutlich: «Bring etwas mit von Leo.»

Es ist Dienstagabend, Januar, kurz nach 18 Uhr im Kongresszentrum von Davos. Schick gewandet sitzen WEF-Besucher im grossen Saal. Lichter gehen aus, entlang der Wand schreiten Männer, Knopf im Ohr, breite Schultern, Sonnenbrillen – es sind Leibwächter von US-Vizepräsident Joe Biden, 73. Er weilt am WEF.

Dicht dahinter er, Leo! Das Haar geliert, der Bart ein paar Tage alt, der blaue Anzug sitzt perfekt. Selbst gestandene Banker zücken ihr Telefon, fotografieren den Star aus Hollywood, twittern «Leo is here!». Was sie sagen wollen: sie sind da, wo Leo ist.

Und Leo? Der mimt den Politiker, nicht den Star. Aus den Händen von Hilde Schwab nimmt er den Crystal Award entgegen, stellt sich dann ans Rednerpult. Mit einer nüchternen und sachlichen Rede rüttelt er Politiker und Banker auf. «Wir müssen unsere Erde retten», sagt er.

Das Abkommen am Klimagipfel in Paris im vergangenen Dezember sei «ein wichtiger erster Schritt» gewesen. Aber jetzt müssten sich alle anstrengen, «um die Krise abzuwenden, der wir entgegenschauen», sagt der Star aus Hits wie «The Great Gatsby», «The Wolf of Wall Street» und «Blood Diamond». Eine Industrie brandmarkt er besonders: «Wir können es uns nicht leisten, die Gier der Kohle-, Gas- und Erdöl-Industrie die Zukunft der Menschheit bestimmen zu lassen.» Fossile Brennstoffe sollen für immer und ewig dort bleiben, wo sie sind: «Im Boden.»

Verhalten nur der Applaus im Saal. Mancher verdient sein Geld mit den Branchen, die ihr Leinwandidol nun abkanzelt. Die Wogen glättet – wie so oft – die Kunst. Der amerikanische Cellist Yo-Yo Ma, 60, gibt ein Konzert. In der vordersten Reihe sitzen Biden, das Ehepaar Schwab, Leo. Kaum ist die letzte Note gespielt, steht DiCaprio auf und applaudiert von Herzen.

leo_domo2Näher als die Fotografen
Fast gleichzeitig erhebe ich mich aus dem Sitz, nicht etwa zum Applaudieren, denn ich habe einen Auftrag: Bring etwas mit von Leo. Schlängle mich vorbei an den anderen WEF-Gästen, bis ich in der vordersten Reihe stehe. Wie eine unbewegliche Fliege an der Wand schaue ich zu. Wie Leo zu Joe geht. Oder ist es Joe, der zu Leo geht? Just stehen DiCaprio und Biden direkt vor mir, ihre glänzenden Gesichter mir zugewendet. Hinter ihnen lauern Leibwächter. Mir aber verdeckt keiner die Sicht. Minutenlang plaudern sie, lachen, wirken zuweilen ernst. Immer wieder streicht der Politiker dem Star väterlich über die rechte Schulter. Keinesfalls bewegen, denke ich, sonst grätscht sofort ein Leibwächter rein. Zücke das iPhone, fotografiere, filme. Aus der Ferne schaut ein Fotograf zerknirscht zu. Zu weit weg ist er, um das Doppelporträt zu machen, das jeder will: DiCaprio und Biden.

Die Schwabs laden noch zum italienischen Buffet – mit Prosciutto und Parmesan, Risotto und Tiramisu. DiCaprio und Biden sind längst in die Nacht entschwunden, ich schicke Fotos und Videos nach Zürich. Minuten später sind sie online, am nächsten Tag das Bild in der Zeitung.

Ein Mail aus Zürich trifft ein, von der Telefonistin: «Ich hatte heute Morgen schon einige Anrufer, die leider nicht mailen wollen, aber ich soll es weiterleiten», schreibt sie – und fasst die Anrufe in einer Frage zusammen: «All die Promis, die über Umweltschutz referieren – fahren die in Elektroautos nach Davos?» Kluge Leser. Ob WEF-Gäste, die in Davos im Dauerstau stehen, so klug sind?

Was aber brachte Leos Visite? Für ihn war es Teil der Oscar-Kampagne. Für den Rest: «Sind Stars in Davos, folgt eine Krise», warnt einer, der jedes Jahr ans WEF reist. «Auf Angelina Jolie folgte – die Finanzkrise.» 