Am Volk vorbei

Die Vorwahlen zeigen: Hillary Clinton lebt nicht mehr auf Augenhöhe mit Amerika.

Von Peter Hossli

hillary_sandersVermutlich gab es in den USA nie eine perfektere Kandidatin als Hillary Clinton (68). Mehr Spenden als sie – 164 Millionen Dollar – hat kein Anwärter aufs Weisse Haus je gesammelt. Geschichte schreiben könnte sie als erste Frau an der Spitze der Supermacht. Leitartikler empfehlen sie landesweit zur Wahl. Über sechzig Prozent betrug einst ihr Vorsprung in Umfragen. Ihr Leistungsausweis? Glänzend! First Lady, Senatorin, Aussenministerin. Ihr engster Berater – Ex-Präsident Bill Clinton (69) – gilt als politisch hochbegabt. Ihre parteiinternen Gegner aber gelten als nicht wählbar.

Und doch bekundet Hillary Clinton weit mehr Mühe in den Vorwahlen, als ihr lieb ist. Hauchdünn nur gewann sie in Iowa. Am Dienstag, so Umfragen, dürfte sie in New Hampshire Senator Bernie Sanders (74) unterliegen. Obwohl der sich «Sozialist» rühmt – ein Schimpfwort in Amerika.

Was ist los mit Hillary?

Sicher, Sanders vertritt im Senat Vermont, den Nachbarstaat von New Hampshire. Zuletzt dürfte Clinton zur Kandidatin der Demokraten gekürt werden. Der Wahlkampf aber wird sich in die Länge ziehen, Clinton womöglich angeschlagen daraus hervorgehen – und somit rascher ins Visier des künftigen republikanischen Gegners geraten. «Die Hälfte der Amerikaner hasst sie», sagt der Repräsentant und einstige US-Botschafter in der Schweiz, Don Beyer (65). «Was sie anpackt, macht sie zwar sehr gut, aber sie eint Amerika nicht.»

Damit trifft Beyer einen Nerv. Clinton, bei der Wahl ihres Mannes 1992 als US-Präsident noch auf Augenhöhe mit Amerika, lebt zunehmend am Volk vorbei. Sie und ihr Gatte stammen aus einfachen Verhältnissen. Heute aber verwalten sie 110 Millionen Dollar Vermögen.

Diese Geschichte spiegelt, wie sich die amerikanische Gesellschaft gewandelt hat. Seit vierzig Jahren stagnieren im Land der unbeschränkten Möglichkeiten die Löhne. Gleichzeitig wächst die Kluft zwischen den wenigen Reichen und dem grossen Rest. Ähnelt die Verteilung des Gelds lateinamerikanischen Ländern, entstehe eine lateinamerikanische Politik, schrieb letzte Woche die «Financial Times» . Wie in südeuropäischen Ländern erstarken in den USA die populistischen Pole. Rechts poltert Donald Trump (69) gegen Ausländer, links Sanders gegen den Kapitalismus.

Mitten drin hadert Hillary mit ihrer Nähe zur Wall Street. Mit zig Billionen Dollar retteten US-Steuerzahler 2008 ihre Banken. Diese will Sanders nun verkleinern. Zudem suggeriert er, Clinton halte bei Geldhäusern für Gefallen die hohle Hand hin. Damit spricht er vornehmlich junge Wähler an. Was stimmt: Clinton kassierte zwischen 2013 und 2015 fast drei Millionen Dollar von Banken für zwölf Vorträge. Die UBS zahlte ihr 225000 Dollar.

Seit die Clintons 2001 das Weisse Haus verlassen haben, bieten sie sich feil. Ein Handschlag mit Bill, ein Nachtessen mit Hillary – schon sind sie um ein paar hunderttausend Dollar reicher. Geld, auf das die Clintons angewiesen seien, so ein Kommentator. «Ihre Freunde sind Milliardäre, Millionäre fühlen da sich rasch arm.»

Nie und nimmer würde sie sich kaufen lassen, wehrte sich Clinton letzte Woche. Sanders Attacken seien eine «Schmierenkampagne» gegen sie.

Immerhin – ihr Kampfgeist ist erwacht.