Darum geht der Schlagbaum rauf und runter

Hat Mazedonien die Grenze zu Griechenland nun dicht gemacht oder nicht? Reporter schauen sich die verwirrende Lage vor Ort an – und landen mitten in einem Brennpunkt des kriselnden Europa.

Von Peter Hossli (Text) und Pascal Mora (Fotos)

idomeniDie Sonne verschwindet am Horizont hinter der griechischen Grenzstadt Idomeni. Unter einem Zeltdach warten Nassim (23) und Rokhsar (19) auf Einlass nach Mazedonien. Vor wenigen Stunden erst ist das afghanische Ehepaar im Bus angekommen, in den sie am Morgen in der Hafenstadt Piräus eingestiegen sind.

«Macht euch bereit!», ruft ein griechischer Polizist. Das Paar aus Kabul packt seine Sachen. «Woher kommen Sie?», fragt der mazedonische Grenz­wächter, hinter ihm Stacheldraht. «Afghanistan», sagt Nassim und belegt es mit Papieren. Afghane zu sein, ist in Mazedonien derzeit ein Vorteil.

Das Land mit zwei Millionen Einwohnern ist das Nadelöhr der Flüchtlingskrise. Trotz Winter kommen täglich rund 3000 Flüchtlinge hier durch. Unlängst entschied die Regierung, nur noch Iraker, Syrer und Afghanen hereinzulassen. Seither herrscht Verwirrung: Mal heisst es, das Land habe sich abgeschottet, dann, es sei offen.

In Wahrheit betreibt Mazedonien seine Grenze nun wie ein Ventil. «Ein paar Stunden ist sie offen, dann fällt der Schlagbaum. Oft geht er mitten in der Nacht wieder auf», berichtet Nadine, eine amerikanische Helferin, die in Athen lebt. «Wie rasch Flüchtlinge weiterdürfen, bestimmt die mazedonische Polizei.» Stehen in Mazedonien Züge bereit, um die Flüchtlinge sofort nach Serbien zu schleusen, öffnet sich die Grenze.

idomeni3Wer im Durchgangscamp wartet, legt sich auf eine Pritsche. Kranke suchen das Feldspital auf. Ein alter Grieche verkauft Nescafé, den Becher für 1,50 Euro. In einem Zelt ist ein Kinderhort untergebracht, er ist voll. «Es sind noch mehr Kinder unterwegs als im Sommer», sagt die Leiterin Zaharoula (21). Sie malt mit syrischen Mädchen, andere schauen Trickfilme. «Für wenige Stunden können Kinder hier Kinder sein.»

Der Grenzwächter winkt Nassim und Rokhsar durch. In der Dunkelheit marschieren sie vier Kilometer ins Empfangszentrum Gevgelija. Ihr Ziel? «Eine Universität in Deutschland», sagt Nassim in bestem Englisch. «Wir flohen, weil uns die Taliban nicht lernen lassen.»

Auf dem Weg nach Norden sehen sie die Lichter mazedonischer Kasinos. Dort zocken Griechen. Heute sind es wenige. Zwar ist die Grenze für die Flüchtlinge offen. Den offiziellen Übergang aber blockieren griechische Bauern mit Traktoren. Sie fordern mehr Geld aus Brüssel.

Hier Flüchtlinge, dort Griechenlandkrise – auf wenigen Quadratkilometern Europa ist klar: Der alte Kontinent erlebt eine Zerreissprobe.