Von Peter Hossli (Text) und Pascal Mora (Fotos)
Fröhlich ist die Stimmung im Zirkus Salto Natale in Kloten ZH. Der Fifa-Präsident lässt sich im Sessel nieder. «Bringen Sie mir einen Whisky», bittet Sepp Blatter (79) die Kellnerin. Er wirkt an diesem Samstag entspannter als in den Wochen zuvor.
Im Zirkus sei er «für meine Enkelin», sagt er. «Das ist eine Einladung für Selena. Sie ist in der Schule gemobbt worden.» Warum das? «Weil ihr Opa ein schlechter Mensch sein soll, ‹der Gangster der Nation›. Das hat sie sehr getroffen, so dass sie die Schule wechseln musste, von Sion zurück nach Visp.» Selena hat drei Freundinnen eingeladen.
Salto-Natale-Direktor Rolf Knie (66) persönlich begrüsst die Blatters, führt sie hinter die Bühne.
Der Patriarch bleibt sitzen, redet über die Anhörung der Fifa-Ethikkommission letzten Donnerstag. «Das Mobbing entspricht dem, was ich dem Richter gesagt habe. Das sind begleitende Schäden innerhalb und ausserhalb
der Fifa durch meine Sperre.» Die Familie leide. «Und die Fifa ist heute führungslos, sie braucht dringend wieder eine Führung.»
Er selbst sei Ende Oktober beinahe gestorben. «Es war fünf vor zwölf.» Er nippt am Whisky-Glas. «Mein Immunsystem brach zusammen, ich hatte einen totalen Kollaps, zum Glück haben Kopf und Herz immer funktioniert, mein Hirn hat sich gegen den Tod gewehrt. Engel und den Teufel sah ich aber nie», so Blatter. «Ich glaube sowieso nicht an die Hölle, sondern nur an den Himmel.»
Auf Hilfe von oben zählt er wohl, wenn Fifa-Richter Hans-Joachim Eckert (67) am Montag um 10 Uhr das Urteil verkündet. Die Vorwürfe: Korruption und ungetreue Geschäftsführung. Der Antrag: lebenslängliche Sperre. Blatter fordert einen Freispruch.
Acht Stunden dauerte das Verhör. «Insbesondere Richter Eckert war sehr korrekt», sagt Blatter – und überrascht: «Der Richter sagte zu Beginn, ‹den Vorwurf der Korruption nehmen wir weg›.»
Es geht um eine Zahlung Blatters von zwei Millionen Franken an Michel Platini (60) im Jahr 2011 – für eine Leistung, die der Franzose von 1999 bis 2002 erbrachte. Weitere Details zum Verhör gibt Blatter nicht preis. Nur: «Ich hatte am Schluss das Gefühl, die Gerechtigkeit wird obsiegen.»
Blatter sitzt im VIP-Abteil. Wer ihn sieht, zückt das Smartphone, fotografiert ihn. «Dürfen wir ein Selfie mit Ihnen machen?», fragt ein Paar. «Ja, sicher», sagt Blatter. Pfiffe gibt es keine für ihn.
Die Presse habe ihn vorverurteilt, klagt Blatter und spricht nun in der dritten Person: «Es ist plötzlich modern geworden, auf Sepp Blatter zu schlagen.» Warum?
«Anfänglich aus Eifersucht: Warum muss jetzt dieser Blatter, der ja nur Journalist war, erst Generalsekretär werden, dann Fifa-Präsident und dazu ein grosser Präsident?» Aus Neid wurde Hass, sagt er. Dann, etwas esoterisch: «Hass kennt keine Grenzen. Hass ist stärker als Liebe. Liebe ist Feuer. Hass ist Kälte. Hass tötet.» Ausserhalb Europas, «in China, Indien, Russland, Japan, da schlägt niemand auf mich», betont er.
Sein Sprecher unterbricht. 70 Journalisten hätten sich zu seiner Medienkonferenz am Montag angemeldet. Was Blatter freut – und zum Scherzen anregt. «Gehen wir doch ins Hallenstadion!» Zuerst aber geht er in den Zirkus.