Die Reise zu Jesus

Die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem ist geschlossen, die Synagoge zu – dann ruft ein Palästinenser «Taxi?». Eine Reportage aus dem Nahen Osten.

Von Peter Hossli

jerusalemZu Jesus kam ich zufällig. Die Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg ist geschlossen. Aus Angst vor Terror. Die Syna­goge mit Blick über Alt-Jerusalem öffnet später. Also lass ich mich entlang der Südseite der heiligen Stadt treiben. Ein Mercedes fährt im Schritttempo mit, eine dieser alten Libanesen-Karossen, wie sie Filmspione durch Beirut lenken. «Taxi?», ruft der Fahrer. «Nein danke, habe ein Mietauto.» – «Damit kannst du nicht nach Bethlehem.»

Als Hussein stellt sich der Taxifahrer vor, ein dunkler Typ mit sauber gestutztem Haarkranz, knapp sechzig. Er hat recht. Wer in Israel ein Auto mietet, darf damit nicht ins Gebiet der Palästinenser. Der Wagen könnte brennen. Bethlehem aber, die Geburtsstätte Jesu, liegt in der Westbank, seit 1948 Heimat vertriebener Palästinenser.

Hussein preist sich an. Es sei ein kurzer Trip. Eine Stunde hin, eine Stunde dort, eine Stunde zurück. In and out. «Steig ein, ich zeige dir Weihnachten.» Er ist Palästinenser, darf Touristen zu Jesus führen. Israelis ist es verboten, die meisten Zonen der Westbank zu betreten. Also heuern israelische Firmen palästinensische Reiseleiter an, welche Amerikaner und Europäer in Bussen dorthin fahren, wo Jesus vor rund 2000 Jahren zur Welt kam.

wandDarum geht es in dieser staubigen Ecke der Erde, dem Ursprung der drei Religionen Abrahams. Um das schnöde Geschäft mit dem Glauben. Alle drei – Christen, Juden, Muslime – wollen kassieren. Zumal es sonst kaum Arbeit gibt.
Er nehme Dollar, Euro und Schekel, sagt Hussein. Okay, 400 israelische Schekel – rund 120 Franken, Geburtskirche inbegriffen. «Wenn du willst, zeige ich dir die Mauer.»

Müde vom Krieg
Die Mauer, 2004 errichtet, hat vieles verändert. Ein paar Kilometer nur liegen zwischen Jerusalem und Bethlehem. Google Maps aber findet keine Verbindung zwischen den beiden Städten. Hussein fährt einen Umweg von zwanzig Kilometern um die Mauer. Sie hält Terroristen von Israel fern und Touristen von Jesus ab. Sie behindert den Handel zwischen zwei Völkern, die gleich sind und Gleiches wollen: Ruhe und Frieden. Israelis dürfen zwar nicht auf die andere Seite. Und doch bringen viele ihre Autos zur Reparatur zu günstigen palästinensischen Mechanikern. Palästinenser wiederum arbeiten in Israel, weil sie dort mehr verdienen.

All das erzählt Hussein. Sein Englisch ist perfekt, mit Israelis palavert er hebräisch, mit Muslimen arabisch. Spanisch lernte er von einem spanischen Journalisten, dem er Orte des Krieges zeigte. «Wir reden hier nur über Politik und Religion.» Was macht das mit ihm? «Es macht müde, alle haben den Krieg satt.» Warum hört ihr nicht einfach auf? «Bitte – sag mir wie!»
Hussein ist Muslim. Er wohnt in Jerusalem. Weihnachten feiert er mit befreundeten christlichen Palästinensern. Sein Sohn arbeitet in Israel, lebt aber in einer günstigeren Wohnung in der Westbank. Die Adresse hat er beim Vater, weil in Israel nur Palästinenser arbeiten dürfen, die auch dort leben.

gefahrHussein hält vor dem rot-weissen Warnschild. Ins Gebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde führe die Strasse, steht auf Hebräisch, Arabisch und Englisch. «Eintritt für israelische Bürger verboten. Es ist lebensgefährlich.»

Die Reise zu Jesus kann tödlich sein.

Hussein fährt zur Mauer. Ihm ist es wichtig, sie zu zeigen. Die Graffiti, die verrussten Stellen auf der Seite der Westbank. Jeweils freitags brennen Abfall­berge – flammende Proteste gegen die Wand.

Hussein hält in Bethlehem, parkiert das Auto vor einem Souvenir­laden. Arabische Christen führen ihn, Freunde von ihm. Hussein kassiert eine Kommission für Touristen aus Jerusalem. Es gibt heissen Tee. Dabei steckt Hussein einem grossen dunklen Mann 20 Dollar zu. Sie reden arabisch. Matheos ist offizieller Reiseleiter und darf Touristen in die Geburtskirche führen. Er sei orthodoxer Christ, «ein Byzantiner». Seine Vorfahren wanderten von Griechenland ins Gelobte Land. Ein Fahrer bringt uns ins Zentrum von Bethlehem, hält bei der mit Gerüsten eingekleideten Geburtskirche. «Alles, was wir wissen, ist mündlich überliefert», sagt Matheos. Auf diesem Hügel sei Jesus zur Welt gekommen, als Kind von Flüchtlingen. Heute sehen 2,26 Milliarden Christen in ihm den Erlöser. Roms Kaiser Konstantin der Grosse liess 335 an der Wiege Jesu eine erste Kirche errichten. Die Mosaike sind noch zu sehen. Katholische, armenische und griechisch-orthodoxe Christen teilen sich die Kirche heute – und zanken, wer den Unterhalt zahlt.

sternZittern vor Glück
Eine enge Treppe führt hinab ins Gewölbe. Es duftet nach Myrrhe. Eben geht eine katholische Messe zu Ende. Am Boden liegt ein silberner Stern mit 14 Zacken. Als sei sie in Ekstase, kniet eine Koreanerin nieder, berührt den Stern, zittert vor Glück. Wo der Stern liegt, soll Maria Jesus zur Welt gebracht haben. Viele sehen den Ort nur am Bildschirm: Sie führen ihr Telefon über
den Stern, knipsen, gehen.

Matheos hat es eilig, er will zum Souvenirladen. Denn er verdient mit, wenn ich etwas kaufe. Krippenfiguren und Kreuze stehen auf Regalen, «hergestellt in Palästina», sagt die Chefin. Sie zeigt Anhänger aus Silber mit 14-zackigen Sternen, «für Ihre Frau, Frauen mögen das». Ich kaufe Sesam und Olivenöl. Der Jesus aus Holz bleibt in Bethlehem. Auf der Rückfahrt will der israelische Grenzsoldat den Pass sehen, sicher sein, dass ich Ausländer bin. «Du hast dunkles Haar, siehst aus wie ein Israeli», erklärt Hussein. Italienische Wurzeln. «Menschen am Mittelmeer sehen eben alle etwa so aus.» Wie einst Jesus.