Von Peter Hossli (Text) und Yann Castanier (Fotos)
Es ist kein normaler Sonntag in Barbès, dem beliebten Quartier in Paris, in dem viele Araber leben. Die Zigarettenhändler beim Métro-Stopp fehlen, mancher Basar ist zu. Polizisten patrouillieren.
«Klar haben wir Angst», sagt Ali (54). «Viele sehen in uns das Böse.» Aus Pakistan kam er vor 20 Jahren nach Paris. Ali verkauft Krimskrams. «Machen Sie kein Bild von mir, verschweigen Sie den Namen des Ladens.»
Er weiss: Eine Terrorgruppe, die sich Islamischer Staat nennt, hat am Freitag 129 Menschen ermordet. Seither stellen viele in Europa den Islam unter Generalverdacht. Aber: «Das waren keine Muslime, das waren Mörder.»
Vor seinem Laden zieht Messoud an einer Zigarette. Er ist 83, kam in Algerien zur Welt, einer einstigen Kolonie. Muslime wie er gehören seit Generationen zu Frankreich. «Barbaren» nennt er die Terroristen. «Ich bin Muslim, nicht sie.»
Als «verlorene Seelen» bezeichnet er die Terroristen, einige davon Bürger Frankreichs. Messoud redet über die Banlieue, die verarmten Vororte, wo viele radikale Muslime leben. «Sie haben keine Arbeit, drehen ein krummes Ding, landen im Gefängnis – und werden dort von islamistischen Imamen radikalisiert.»
Gefordert seien nun französische Muslime. Messoud: «Vor Moscheen werben Salafisten die Verlierer unserer Gesellschaft an. Das müssen wir stoppen.»
Gleich um die Ecke, in einem Strassencafé an der Rue Dejean, unterhalten sich die beiden Ägypter Mohammed (55) und Ahmed (48). Seit zwanzig Jahren leben sie in Paris. «Der Westen trägt eine Mitschuld an den Massakern.» Amerika habe die arabische Welt destabilisiert. «Bush und Obama wollten die Herrscher loswerden.» Mubarak in Ägypten, Assad in Syrien, Saddam im Irak, Ali in Tunesien hätten «die Radikalen im Griff gehabt, jetzt sind sie weg, und die Islamisten kommen nach Europa». Er schlürft Espresso. Was sagt er zu Saudi-Arabien, das dem Islamischen Staat nahesteht? «Dazu sage ich nichts, viele Araber haben Arbeit in Saudi-Arabien.»
Trauben, Datteln und Kaki verkauft der algerische Früchtehändler Arezki (55). «Wir weinen um die Toten», sagt er. Frankreich muss sich wehren, aber die Grenzen offen halten. «Wer sich einigelt, hat Angst, und Angst bringt dich um.»
Angst liegt in den Augen vieler Gläubigen, die an diesem Sonntag im Institut Socioculturel des Musulmans beten, einer Moschee in einer alten Kaserne im 18. Arrondissement. «Keine Fotos, keine Fragen», sagt der eigens aufgebotene Wächter beim Eingang. Die Schule der Moschee ist geschlossen. Aus Angst vor Racheakten. Vor dem Gebetssaal waschen sich viele die Hände und die Füsse, knien hin, richten sich nach Mekka aus. Samir (26) aus Marokko: «Wir beten zu Gott für die Toten vom Freitag.