“Frauen können alles haben”

Die mächtigste Frau im Schweizer Sport: Monisha ­Kaltenborn leitet ­einen Rennstall, ist stets auf Achse – und hofft, dass ihre Kinder ihr das nicht übel nehmen.

Interview: Peter Hossli Fotos: Benjamin Soland

kaltenborn1Frau Kaltenborn, warum tun sich Schweizerinnen so schwer mit Macht und Einfluss im Sport?
Monisha Kaltenborn: Ich bin nicht so sicher, dass Ihre These stimmt!

Die Mächtigste ist eine indische Österreicherin, nämlich Sie!
Vielleicht gäbe es ja eine Schweizerin, die meinen Job gerne macht.

Was können Sie gut, dass Sie so mächtig geworden sind?
Macht erwirbt man nicht. Das Umfeld muss mitspielen. Es braucht jemanden, der einem die Macht gibt.

Wie bewusst haben Sie denn Macht angestrebt?
Es war nie meine Priorität. Es ist wichtiger, ein Ziel zu haben und dieses konsequent zu verfolgen.

Wie weiss man selbst, dass man mächtig ist?
Macht hat nur, wer das volle Vertrauen seines Umfelds geniesst.

Wie gut reparieren Sie ein Auto?
Das kann ich gar nicht. Auch die meisten Männer können das nicht.

Ein Mann wird in der Formel 1 kaum so mächtig wie Sie, wenn er kein Auto flicken kann!
Aber natürlich. Die Zeit, als alle Teamchefs Autos zerlegen konnten, ist in der Formel 1 längst vorbei.

Sie führen das Sauber-Team. Kann eine Frau Ferrari leiten?
Absolut.

Und wann werden Sie das tun?
Gar nie. Ich bin glücklich hier.

Was wäre in der Formel 1 anders, wenn es neben Ihnen und Claire Williams weitere Teamchefinnen geben würde?
Frauen bringen die Dinge effektiver auf den Punkt. Sie reden härter und vermeiden Redundanzen.

Was positiv wäre.
Historisch interessieren sich weniger Frauen für den Motorsport. Wie für viele technische Berufe oder für Banken. Generell gibt es weniger Frauen an der Spitze von Firmen.

Eine Frauenquote könnte helfen.
Quoten sind etwas Künstliches, was per se nicht gut ist. Es liegt aber weder an der Bildung, am Talent noch am Selbstbewusstsein der Frauen, dass es nur wenige Chefinnen gibt.

Woran liegt es denn?
Es fehlt an Möglichkeiten. Es mangelt an Personen, die Frauen eine Chance geben. Könnte man das mit einer Quote ändern, wäre das ein Mittel zum Zweck. Quoten zum Anschieben, bis es keine mehr braucht.

Sie sind die Chefin. Aber Ihr ­Management ist nur männlich. Warum fördern Sie keine Frauen?
Wenn eine Frau sich bei mir bewirbt und eine Stelle frei ist, und sie ist genauso gut wie ein Mann, dann würde ich sie sicher fördern.

Und warum passiert das nicht?
Weil die Kandidaten auf diesem ­Niveau überschaubar sind.

Auch in den Formel-1-Cockpits fehlen die Frauen. Warum?
Nur wenige Mädchen interessieren sich dafür. Von den unzähligen ­Buben, die Formel-1-Fahrer werden wollen, schafft es eine Handvoll. Will nur eine Handvoll Mädchen in die Formel 1, schafft es keines.

Sie wuchsen in Indien und Wien auf. Was half mehr, Macht zu erwerben – Ihre multikulturelle Herkunft oder das Geschlecht?
Klar die Herkunft. Mit acht bin ich von Indien nach Österreich gekommen. Das war ein krasser Wechsel. Er half mir, flexibel zu werden.

Sie besuchten ein Mädcheninternat. Wie wichtig war das für Ihr Selbstbewusstsein?
Mädchen können härter und verletzender zueinander sein. Da entwickelt man Stärke und Härte. Selbstbewusstsein entwickelt man, wenn man auf sich alleine gestellt ist.

Die 26 Top-Verdiener im Sport sind Männer. Warum?
In fast jeder Branche verdienen Männer mehr als Frauen.

Die bestbezahlte Sportlerin ist Maria Scharapowa auf Platz 27. Sie verdient gut, weil sie schön ist. Tennis spielen ­andere besser.
Dann macht sie es ja richtig. Welcher Sportler ist schon schön und verdient damit viel Geld?

In den Top 100 hat es nur noch eine zweite Frau: Serena Williams. Die kann Tennis spielen.
Sehen Sie, Talent bringt auch was!

Muss eine Frau im Spitzensport denn mehr leisten als ein Mann?
In jeder Spitzenposition muss eine Frau mehr leisten als ein Mann.

Sport-Manager verdienen viel mehr als Managerinnen. Wie viel Neid löst die Lohnschere aus?
Bei mir gar keinen. Alle müssen für sich selber schauen, damit sie genug verdienen. Lohnungleichheit ist gesellschaftlich bedingt.

Das nehmen Sie einfach so hin?
Ich denke in grösseren Zeiträumen, nicht für mich. Es ist mein Ziel, dass Frauen es in der nächsten Generation besser haben.

Was bedeutet Ihnen denn Geld?
Geld ist wichtig, um zu erreichen, was ich machen möchte. Aber es macht nicht immer glücklich.

Die NZZ schrieb, Sie würden Arbeit und Privatleben nicht trennen. Dann sind Sie mächtig, weil Sie wie ein Mann agieren?
Es ist eine Unterstellung, dass eine Frau das unbedingt trennen muss. Für Frauen ist es sogar einfacher, Arbeit und Privatleben zu vereinen. Wir ­sehen die Familie als integralen Teil des Lebens. Für das Formel-1-Team bin ich Tag und Nacht erreichbar. Ich habe viel Verantwortung, leide und freue mich – wie mit den Kindern.

Mütter sind bessere Manager?
Eine Mutter kann besser auf andere eingehen und besser zuhören.

Lindt-&-Sprüngli-Chef Ernst Tanner sagte, Mütter seien weniger mobil. Deshalb gebe es kaum Chefinnen.
Ich muss extrem mobil sein, von März bis November haben wir alle zwei ­Wochen irgendwo ein Rennen.

Wie schaffen Sie das mit zwei schulpflichtigen Kindern?
Das geht, wenn die Familie und die Kinder mitmachen. Bei mir kennen sie es nicht anders. Umso intensiver verbringe ich die Zeit, die ich mit den Kindern habe. Zudem gebe ich ihnen nie das Gefühl, ich sei total weg.

Wie schaffen Sie die Trennung von Ihren Kindern emotional?
Das ist schwierig. Sind sie klein, passieren stets die schlimmsten ­Sachen, wenn man nicht da ist. Dann fühle ich mich schlecht als Mutter. Passiert einem Kind etwas, wäre ich lieber zu Hause als ­unterwegs. ­Hoffentlich nehmen mir die Kinder all das einmal nicht übel.

Können Frauen alles haben – ­Familie und Karriere?
Frauen können alles haben. Aber man kann nicht beides – Familie und Beruf – mit gleicher Intensität im gleichen ­Moment machen. Es braucht stets neue Prioritäten. In einem Moment ist der Beruf wichtiger, im nächsten die Familie.

Sie werden in den Medien als ­Nachfolgerin von Formel-1-Chef ­Ecclestone gehandelt. Sie hätten noch mehr Macht.
Das will ich nicht, ich bin zufrieden mit meiner Rolle. Die Herausforderung mit einem Team reicht mir, ich brauche das nicht noch neun Mal.

Wie erhalten Sie Ihre Macht? Indem Sie sie verteidigen – oder noch mehr anstreben?
Verteidigen ist stets schlecht, denn dann macht man etwas falsch. Macht erhält man, indem man das eigene Umfeld respektiert – und dessen Vertrauen hat.