Interview: Peter Hossli und Andreas Böni Fotos: Walter Bieri und Toto Marti
Es wird eng für Sepp Blatter (79). Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen den Fifa-Präsidenten. Und vier Sponsoren entsagen ihm das Vertrauen. «Das kann ich nicht kommentieren», sagt Tochter Corinne Blatter Andenmatten.
Der jüngste Fifa-Krimi beginnt vor neun Tagen. Blatter Andenmatten (54) sitzt auf einem Kursschiff und gleitet über den Zürichsee. Ihr Telefon klingelt. Es ist ihr Vater, der Fifa-Präsident. Er werde verhört, die Bundesanwaltschaft sei bei ihm, am Hauptsitz der Fifa beim Zoo. Kurz zuvor hat Blatter noch die Sitzung des Exekutivkomitees geleitet.
Eine Mitarbeiterin steckt dem Fifa-Präsidenten einen Zettel zu: Bundesanwälte seien im Haus; zwei Fifa-Funktionäre müssten sich ihnen stellen. Noch weiss Blatter nicht: Gemeint sind er und Michel Platini (60). Corinne Blatter Andenmatten geht sofort auf den Zürichberg. Sie sieht ihren Vater und umarmt ihn.
Frau Blatter Andenmatten, wie reagierte Ihr Vater auf den Besuch der Bundesanwälte?
Corinne Blatter Andenmatten: Er wirkte schockiert und enttäuscht. Zumal ihn niemand im Voraus informiert hatte.
Was normal ist bei Strafverfahren.
Wäre er angefragt worden, weitere Dokumente rauszugeben, hätte er das sofort getan. Er hat immer kooperiert. Nun wurde er komplett überrumpelt.
Auch Platini?
Das weiss ich nicht. Die Bundesanwälte wussten wohl: Als Fifa-Vizepräsident ist er in Zürich.
Was dachten Sie, als Sie Ihren Vater sahen?
Ich hatte Angst, dass sie ihn jetzt in Handschellen abführen. Er sagte nur: «Ich glaube, es ist ein Traum.» Ein Bundespolizist beruhigte mich, er könne nach der Einvernahme nach Hause.
Es stand nie zur Diskussion, er werde in U-Haft genommen?
Nein.
Wie lange dauerte das Verhör?
Es begann vor Mittag, gegen 20 Uhr war es fertig. Dazwischen gab es kurze Pausen.
Dann hat die Polizei sein Büro versiegelt …
… falsch. Sein Büro wurde nie versiegelt. Die Beamten durchsuchten es, aber danach gaben sie es wieder frei.
Und Sie dachten, wäre Ihr Vater doch früher zurückgetreten?
Bereits 2011 sagte ich zu ihm: «Jetzt machst du noch vier Jahre und dann ist genug!»
Und warum hörte er nicht auf seine Tochter?
Die Mehrheit der Nationalverbände bat ihn, weiterzumachen. Er wollte sicherstellen, dass seine Philosophie über die Amtszeit hinausläuft.
Wird er nach dem 26. Februar 2016 noch Präsident sein?
Nein, auf keinen Fall.
Dann haben Sie ihn nun im Griff?
Ob ich ihn im Griff habe, weiss ich nicht. Aber ich weiss: Er will aufhören. Und er wird es tun.
Die Razzia bestätigt Sie: Es war ein Fehler, sich im Mai nochmals zur Wahl zu stellen.
Falsch. Niemand dachte, dass es so weit kommen kann.
Der Bundesanwalt geht einem Verdacht nach. Das ist seine Pflicht.
Was die Bundesanwaltschaft gemacht hat, ist fragwürdig. Es gab keinerlei Warnung. Die sofort folgende Medienmitteilung – das ist wie eine Vorverurteilung meines Vaters. Gehört das zu einem Rechtsstaat?
Der Ruf Ihres Vaters ist nicht mehr gut.
Die Medien haben seinen Ruf kaputt gemacht! Warum schiessen alle auf ihn? Was hat er ihnen bloss angetan? Ich weiss es schlicht nicht. Das ist nicht nur Neid, es ist Hass!
Blatter ist der Kopf der Fifa. Bei der Fifa gibt es Korruption, gerade im Umfeld des Exekutiv-Komitees.
Das kann sein. Wenn man Fifa sagt, meint man Sepp Blatter.
Er umgab sich mit kriminellen Figuren wie Chuck Blazer und Jack Warner.
Das ist Ihre Ansicht. Aber er musste mit ihnen arbeiten. Er wählte sie nicht aus. Die Konföderationen wählen sie.
Nun untersucht die Ethik-Kommission der Fifa. Wird sie Ihren Vater suspendieren?
Dazu kann ich mich nicht äussern. Mein Vater hat gesagt, er habe nichts Illegales getan.
Bei einer Verurteilung müsste Ihr Vater maximal siebeneinhalb Jahre ins Gefängnis …
… daran will ich gar nicht denken. Es ist für mich unvorstellbar, dass er ins Gefängnis muss.
Normalerweise überrumpelt die Bundesanwaltschaft Tatverdächtige nur bei Verdunklungsgefahr. Wäre Sepp Blatter abgehauen?
Sie kennen meinen Vater nicht! Wohin hätte er gehen sollen? Ins Wallis?
Das letzte Wochenende verbringt Blatter mit seiner Partnerin Linda in Zürich. In den Sonntagszeitungen legen ihm verschiedene Experten den Rücktritt nahe. Am Montag ist Blatter im Büro. «Dass er wieder zur Arbeit geht, war für ihn klar», sagt seine Tochter.
Dachte Ihr Vater daran, nach der Eröffnung des Verfahrens zurückzutreten?
Nein, nie. Er läuft nicht weg, wenn es schwierig wird.
Wie reagiert eine Tochter, wenn einem Vater öffentlich kriminelle Taten vorgeworfen werden?
Ich bin schockiert, dass man ihm kriminelle Handlungen unterstellt. Mein Vater ist nicht kriminell. Er würde das letzte Hemd hergeben. Er bereichert sich nicht.
Die beiden Vorwürfe sind happig: ungetreue Geschäftsführung und Veruntreuung.
Zum laufenden Verfahren kann ich keine Stellung nehmen.
Besonders irritiert eine Zahlung von 2 Millionen Franken an Michel Platini – für eine Leistung, die er neun Jahre zuvor erbrachte.
Zu einem laufenden Verfahren kann ich mich nicht äusseren.
Corinne Blatter Andenmatten erzählt, wie sie Platini erstmals 1998 in der Wohnung seines Vaters traf. «Da war ich sehr nervös.» Platini sei für sie «der Spieler» gewesen. Als sie ihn mit «Bonjour, Monsieur Platini» begrüsste, antwortet er mit «je m’appelle Michel» – ich heisse Michel.
Wie eng war die Freundschaft zwischen Platini und Ihrem Vater?
Es war eine schöne Freundschaft, sie basierte auf Vertrauen. Beide mochten sich.
Was hatte Blatter mit Platini im Sinn?
Es war klar: Platini sollte meinen Vater an der Fifa-Spitze beerben.
Das ist heute nicht mehr so. Wann hat sich das verändert?
Das weiss ich nicht.
Okay, warum kam es zum Bruch?
Keine Ahnung.
Es muss einen Streit gegeben haben.
Mein Vater hat mit mir nie darüber gesprochen. Ich weiss nur: Eine Freundschaft ist kaputtgegangen.
Und jetzt will Ihr Vater Platini unbedingt als seinen Nachfolger verhindern?
Er hat momentan ganz andere Ziele.
Kann Platini noch Fifa-Präsident werden?
Bin ich denn eine Prophetin? Wäre ich es, würde ich sagen: Es wird schwierig für ihn.
Wenn nicht Platini – wer könnte sonst Fifa-Präsident werden?
Die Arbeit, die mein Vater gemacht hat, kann niemand machen.
Das heisst: Es braucht keinen Präsidenten mehr?
Das Amt muss bleiben. Aber meiner Meinung nach braucht es künftig wohl mehrere Personen, welche die Arbeit erledigen.
Fifa-Experte Mark Pieth brachte Ex-DFB-Boss Theo Zwanziger als Übergangspräsidenten ins Spiel. Realistisch?
Das soll der Kongress entscheiden.
Was, wenn bis im Februar kein Kandidat in Sicht ist? Macht Sepp Blatter dann weiter?
Nochmals: Nein, auf keinen Fall.
«10 vor 10» machte den zweifelhaften Vertrag mit Jack Warner publik. Wie kam das Papier zum SRF?
Nur zwei Parteien haben den Vertrag im Archiv: Die Fifa und Jack Warner.
Wer sind die Leute, die Ihrem Vater schaden wollen?
Wüsste ich es, hätte ich sie längst zur Rede gestellt. Ich würde sie fragen, was mein Vater ihnen getan hat, dass sie ihn jetzt kaputt machen müssen.
Stellt er sich selber solche Fragen?
Oh ja, er leidet darunter, dass keiner mehr darüber sprechen will, was er in 40 Jahren bei der Fifa geleistet hat.
Es geht nur noch um Korruption.
Als er die Fifa übernahm, fand er tiefrote Zahlen vor. Dann baute er den Fussball-Verband zu einem Milliarden-Imperium auf. Dass man in 209 Ländern jetzt Fussball spielen kann, ist grossenteils sein Verdienst.
Fürchtet er um seine Lebensleistung?
Er ist enttäuscht. Denn er hat sich selber nie bereichert. Er hat immer für andere gesorgt, das haben selbst wir in der Familie so erlebt. Seine Verlobte war die Fifa. Sie war alles für ihn. Wir als Familie mussten oft zurückstehen.
Sepp Blatter hat unlängst viele enge Mitarbeiter verloren, wie Medien-Direktor Walter De Gregorio oder Generalsekretär Jérôme Valcke. Wie allein ist er?
Auf der Stufe, wo er sich bewegt, ist man immer allein.
Vertraut er noch jemandem – ausser Ihnen?
Seiner Lady Linda.
Hat Ihr Vater nichts falsch gemacht?
Wer viel arbeitet, macht manchmal Fehler.
Hat er falschen Leuten vertraut?
Er glaubt immer ans Gute im Menschen. Das ist eine schöne Eigenschaft.
Seit die USA ermitteln, kann er die Schweiz kaum noch verlassen. Wie schwierig ist das für ihn?
Dass er nicht reisen kann, stört ihn nicht. Er war in St. Petersburg für die Auslosung der WM in Russland.
Haben Sie Angst, dass er verhaftet würde in den USA?
Nein, er geht ja nicht in die USA.
Bei der Diskussion um die Fifa geht es immer um Geld. Was bedeutet Sepp Blatter Geld?
Nix, absolut nix. Geld ist für ihn Sicherheit für seine Familien.
Er hat viel. Was macht er damit?
Er kauft sich Schuhe und Reisetaschen. Er hat 40 Jahre gearbeitet. Sein Leben ist bescheiden, ohne jegliche Extravaganz. Weder spielt er Golf noch segelt er.
Er hat eine teure Wohnung am Zürichberg.
Die Wohnung in Zürich gehört der Fifa, und er bezahlt Miete dafür. Er besitzt eine Wohnung in Visp und eine in Venthône, oberhalb von Siders.
Bei Scheidungen und Trennungen soll er mit seinen Ex-Partnerinnen sehr grosszügig gewesen sein.
Das ist seine Sache, da mische ich mich nicht ein.
Warum legt er nicht offen, wie viel er als Fifa-Präsident verdient?
Warum soll er es machen? In der Schweiz sagt keiner, wie viel er verdient. Wieso sollte der Fifa-Präsident es tun? Sie sagen ja auch nicht, wie viel Sie verdienen.
Was macht Sepp Blatter nach seinem Abgang?
Zuerst wird er den neuen Präsidenten einarbeiten, falls dieser es wünscht. Dann macht er Ferien. Irgendwann werden seine Memoiren erscheinen. Ich habe ihm gesagt, er soll einen Krimi schreiben, das wird ein Bestseller.
Besucht er als Tourist die Euro 2016?
Wenn er eingeladen wird, sicher. Als Tourist nicht.
Geht er an die WM nach Katar?
Sie findet im Jahr 2022 statt. Das ist Zukunftsmusik.
Kann Sepp Blatter ohne Fifa sein?
Das muss er lernen.