Griechen ringen um Stolz, Würde und Respekt

Athen am Tag, bevor Griechenland zahlungsunfähig wurde.

Von Peter Hossli (Text) und Pascal Mora (Fotos)

geschlossene-BankEin Gitterrost hängt an der Tür. Die Attica Bank in Athen ist geschlossen. Wie jede Bank in Griechenland. Wir klingeln. Ein Bankmanager öffnet, trägt T-Shirt statt Anzug. «Wir sind zu!» Warum? Die Frage nervt ihn. «Verschwinden Sie, oder ich rufe die Polizei.»

Blank liegen die Nerven in Athen. Einigt sich die Regierung an diesem milden Dienstag nicht mit seinen Schuldnern, ist das Land pleite.

Vor den Bancomaten bilden sich lange Schlangen. Maximal 60 Euro darf ein Grieche pro Tag abheben. Eine 50-Euro-Note oder drei 20er. «Man verliert seine Würde, wenn man sein eigenes Geld nicht mehr holen darf», sagt Buchhalterin Mara (42). Sie möchte den Euro behalten. «Weil ich in Europa bleiben und nicht Afrika beitreten will.»

Seit dreissig Minuten wartet Werberin Melpo Theodoropoulou (50) vor der Piraeus Bank. «Wir erleben gerade einen Genozid», sagt sie. «Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg müssen Griechen wieder hungern.»

Sie werde Nein stimmen am Sonntag. Nein zu weiteren Sparprogrammen, «diktiert in Brüssel und Berlin». Griechenland gehöre zur EU. «Aber wen sollen wir noch entlassen? Es arbeitet doch keiner mehr.» Die Löhne seien genug gesunken, Preise und Steuern gestiegen. Politiker in Paris und Washington verstünden nicht, was in Griechenland passiere. «Diese Menschen bringen uns um, wir sind alle tief depressiv.»

Athen wirkt müde. Die Cafés sind leer, Litfasssäulen weiss, Geschäfte ohne Kunden. Menschen hat es vor Kiosken. Sie lesen einschüchternde Schlagzeilen: «Drachme kommt zurück» – «Keine Chance mehr!» – «Ein Ja ist ein Ja für Tsipras, ein Nein ein Ja für die Drachme.»

Vor der Markthalle verkauft Haris (23) Pistazien und Dörrfeigen. «Ich will aus dem Euro raus», sagt er. «Weil ich mein Land zurück will. Jetzt gehört es der EU.» Täglich schufte er zwölf Stunden, für 600 Euro im Monat. «Damit lebe ich jeden Tag schlechter.» Er wird Nein stimmen. «Es könnte uns endlich befreien.»

christosNicht so Yanis Detsikas (24), er verkauft in der Halle Fische. Lachs aus Norwegen, Wolfsbarsch aus Griechenland, Zackenbarsch aus Senegal. «Ich bin bereit, weitere Opfer zu bringen. Griechenland ist Teil Europas.» Vor seinem Stand schlürft Christo Stellinos (65) einen Espresso. Einst bildete er am Polytechnikum Ingenieure aus. Seit einem Jahr wartet er auf die Pension. «Ob sie kommt, weiss ich nicht, aber es ist 40 Prozent weniger, als ich dachte.»

Um Geld gehe es nicht. «Wir überleben alles, selbst den Grexit», sagt Stellinos. «Es geht um Stolz und Würde – und um unsere Geschichte.» Griechenland sei 3500 Jahre alt und durch nichts umzuhauen. «Aber wir bitten um Respekt, wir haben genug vom deutschen Mahnfinger.»

Täglich steigen 10 000 Touristen auf die Akropolis. «Es sind nicht weniger geworden», sagt ein Billettkontrolleur. Trotz Gerüsten, die das Pantheon einkleiden. Noch funktioniere der Tourismus, sagt er. «Umso wichtiger, dass wir eine Lösung finden. Sonst bleiben die Touristen weg.»

Am Fuss der Akropolis buhlen Taxifahrer um Passagiere. George Lamprou (43) lockt mit einem Witz: «Ich fahre Sie für Drachmen, das ist 100-mal billiger.» Er hätte gern eine Premierministerin wie Angela Merkel. «Sie ist nicht korrupt und versucht das Beste für ihr Land – unsere Politiker sind korrupt und sorgen nur für sich selbst.»

Lamprou vergleicht Griechenland mit Südamerika. «Die meisten Griechen haben nichts, wenige haben alles.» Etwa in Kifisia im Nordosten, im reichsten Stadtteil Athens. Hier gibt es Boutiquen für Hunde, Sofas von Vitra, Autos von Porsche. Junge Mädchen schlürfen Evian, knabbern Gebäck aus Paris.

Grexit? Interessiert keinen. Reiche Griechen haben ihr Geld im Ausland. «Bei uns ist der Grexit nur ein Klatschthema», sagt eine Verkäuferin im Parfüm-Laden. Unverblümt eine elegante Frau mit blond gefärbten Haaren: «Ich bin reich und habe kein Geld in Griechenland.» Als ihr Vater 1999 starb, brachte sie dessen Pharmakonzern an die Börse – und den Erlös in die Schweiz, weit weg vom griechischen Fiskus. «Sicher, ein Bankrott Griechenlands würde mir leid tun, aber mich betrifft das nicht.» Schweizer Minuszinsen nimmt sie in Kauf. «Dafür ist mein Geld sicher.» Sie verschweigt ihren Namen. Wohl aus Furcht, die Wut der Griechen könnte sich bald gegen die Reichen richten.