Von Peter Hossli und Marcel Odermatt
Als der Harlekin übernahm, wich der Holzfäller. Anfang 2008 bezog Eveline Widmer-Schlumpf (59) das Justizministerium in Bern. Kunstpacker hatten Ferdinand Hodlers Gemälde «Der Holzfäller» bereits abgehängt. Es gehört dem abgewählten Bundesrat Christoph Blocher (74). Nun hing «Der Mann im Narrenkleid» an der Wand, ein Bild des Bündners Alois Carigiet (1902–1985).
Als Talisman hatte es die frisch gewählte Magistratin mitgebracht, um ein neues Zeitalter einzuläuten. Eine subtilere künstlerische Note setzte die zierliche Bündnerin mit dem melancholischen Clown.
Nun hängt das Gemälde aus dem Jahr 1962 nicht mehr in ihrem Büro. Der Harlekin ist kaputt, seine Farbe blättert ab.
Der Narr sei in Zürich, sagt die Finanzministerin. «Dort gibt es eine Carigiet-Ausstellung.» Zuvor müsse das Bild restauriert werden. Das Klima im Bernerhof sei «nicht gut für ihn» gewesen. «Er fing an abzublättern, jetzt benötigt er eine Restauration.»
Setzte das Wetter an der Aare der hohen Kunst zu? «Es hängt wahrscheinlich mit dem Raumklima zusammen», sagt die Bundesrätin. Und das politische Klima? Sie winkt ab. «Carigiet war ein widerstandsfähiger Mensch.»
Doch kommt der Harlekin zu ihr zurück? «Ich könnte ihn wiederhaben, wenn ich wollte, aber ich möchte nicht, dass er Schaden nimmt.» Daher sei es besser, ihn in Chur einzulagern.
Jahrelang bemerkten Widmer-Schlumpf und ihr Team nicht, wie sehr das Bild leidet. Momentan befindet es sich in Freiburg, im Atelier der Restauratorin des Bundes. Sie hatte den Harlekin begutachtet – und die Mängel festgestellt. «Das Bild war in keinem guten Zustand», sagt der Direktor des Kunsthauses Chur, Stephan Kunz. Er verwaltet den Narren. «Haftungsprobleme mit aufstehenden, verlustgefährdeten Malschichten» lagen vor. Es war unmöglich, ihn zu transportieren. «Es ist unsere Pflicht dafür zu sorgen, dass das Bild in gutem Zustand ist – und wieder reisefähig wird», so Kunz.
Nicht nur das Klima setze dem Glücksbringer zu. «Vermutlich arbeitete Carigiet nicht ganz einwandfrei.» Die «dringend nötige» Restauration koste «weniger als 10000 Franken.» Ab 12. Juni hängt der farbige Narr im Zürcher Landesmuseum in der Ausstellung «Alois Carigiet. Kunst, Grafik & Schellen-Ursli».
Derweilen ziert ein abstraktes Gemälde die Wand in Widmer-Schlumpfs Büro. «Es heisst ‹Ascona›», sagt sie. Wer hat es gemalt? «Ein Schweizer Maler, mir ist gerade entfallen, wie er heisst.» So nah wie der Harlekin wird ihr «Ascona» wohl nie sein.
Das Werk stammt vom Raymond Meuwly (1920–1981), einem unbekannten Schweizer Künstler. Der Freiburger lebte im Tessin als er «Ascona» schuf.
Die Geschichte des Clowns gehört zur erbitterten Fehde Blocher vs. Widmer-Schlumpf. Beide mögen Kunst. Er besitzt Bilder, sie borgt sie. Sie nahm den Harlekin als Leihgabe vom Kanton Graubünden mit nach Bern.
Beide mögen die Macht. Jahrelang politisierten sie nebeneinander. Ihr Vater, alt Bundesrat Leon Schlumpf (1925–2012), hatte die SVP mitbegründet. Blocher brachte die Partei mit seinem Geld zur Blüte. Im Bündnerland waren sie abhängig voneinander, sie als Regierungsrätin, er als Unternehmer in Domat/Ems.
Dann kam der Bruch. Das Parlament wählte ihn ab, ersetzte den hemdsärmeligen Patron durch die zähe Analytikerin. Die Abwahl verletzte ihn tiefer als er je zugeben wird. Für ihn ist ihr Abgang wichtiger als ein zweiter SVP-Sitz im Bundesrat.
Blocher sah zu, wie sich die fleissige Nachfolgerin den Respekt der Kollegen erarbeitete, wie das Volk sie schätzen lernte.
Jetzt ist der Talisman kaputt – der Narr hat sich selbst kein Glück gebracht.