Ein Ivorer im Üetlihof

Früher mussten Chefs der Credit Suisse Protestanten und Zürcher sein. Nun leitet Tidjane Thiam das Institut: ein Moslem, der einst Minister in der Elfenbeinküste war.

Von Peter Hossli

Liebevoll nennen ihn die Zürcher „unseren Hausberg“. Dabei ist der Üetliberg mehr Hügel denn Berg. An seinem Fuß thront der Üetlihof, und hier drinnen ist die Stimmung nicht liebevoll. Sie ist gereizt. 8000 Banker der Credit Suisse jonglieren im klotzigen Komplex mit Zahlen. Mancher sorgt sich. Wegen des Neuen. Wegen TT – wie sie Tidjane Thiam nennen, nicht nur liebenswürdig, sondern aus Furcht, seinen Namen falsch auszusprechen.

Thiam, 52 Jahre alt, ist der neue Konzernchef der Credit Suisse, der CS, wie Schweizer sagen. Wann genau er anfängt, sagt die CS nicht. Aber im Üetlihof fragen sich viele: Wer darf bleiben? Wer muss gehen? Alles werde er auf den Kopf stellen, befürchten viele. Schrumpfen dürfte die Investmentbank, wachsen die Vermögensverwaltung. Langweiliger soll die Bank werden, dafür profitabler. Europäischer auch, dafür weniger amerikanisch.

Verunsichert sind viele, weil die Financial Times schrieb, Thiam wechsle das Management aus. Die britische Zeitung gilt als Sprachrohr des neuen Chefs, der aus London nach Zürich kommt. „Ein neuer Mann an der Spitze verursacht immer eine gewisse Unruhe“, sagt CS-Verwaltungsratschef Urs Rohner. „Das wird sich in den kommenden Monaten legen.“

Für Rohner ist Thiam ein Hoffnungsträger. Einer, der noch nie eine Bank führte, und gerade deshalb geeignet sein soll, die seit Jahren stagnierende Credit Suisse zu reformieren. Dorthin zu bringen, wo die Zürcher nach eigenen Maßstäben hingehören: an die Weltspitze.

Thiam ist weltgewandt. Fließend spricht er Deutsch, Französisch und Englisch. Geboren in der Elfenbeinküste, die sein Großonkel Félix Houphouët-Boigny 1960 in die Unabhängigkeit führte und bis 1993 regierte. Thiams Vater stammt aus dem Senegal. Mit vier kommt Tidjane nach Rabat in die marokkanische Hauptstadt. Sein Vater ist dort Botschafter. Erstmals erlebt der Kleine, was es heißt, anders zu sein. Außer seiner Familie ist in Rabat praktisch niemand schwarz. Das jüngste von sieben Kindern behauptet sich und entfaltet unbändigen Ehrgeiz. Er merkt: Er kann kombinieren, versteht Zahlen, hat Ideen. Stets will er Klassenbester sein. Nach dem Abitur schickt ihn die Familie nach Paris. Als erster Ivorer schafft er es 1981 an die französische Eliteuniversität École polytechnique. Er absolviert die École Nationale Supérieure des Mines mit Bestnoten.

Karriere in Frankreich macht er aber nicht. Überall wo er sein Zeugnis zeigt, erhält er Absagen. Rassismus, vermutet er. Sein Professor rät ihm, es in den USA zu versuchen. Thiam fängt bei der Weltbank in Washington an. Er lernt dort seine Frau kennen, eine Afroamerikanerin. Sie konvertiert für ihn zum Islam.

IN DEN NEUNZIGER JAHREN wird er in die Heimat gerufen. Der neue ivorische Präsident Henri Konan Bédié macht ihn zum Minister für Planung und Entwicklung. An Weihnachten 1999 putscht das Militär, Thiam, Vater zweier Söhne, sitzt zeitweilig im Gefängnis. Das Angebot der Generäle, rechte Hand des neuen Präsidenten zu werden oder sogar Ministerpräsident, lehnt er ab.

Er zieht nach England. Findet einen Job bei Aviva, dem fünftgrößten Versicherer der Welt. Im September 2007 wird er Finanzchef beim Konkurrenten Prudential, zwei Jahre später sitzt er im Chefsessel. Somit ist TT der erste Afrikaner, der einen großen britischen Konzern leitet. In sechs Jahren vervierfacht er den Aktienkurs. Wegen taktischer Fehler misslingt ihm 2010 die Übernahme des asiatischen Teiles von AIG. Er übersteht den Flop unbeschadet. Zuletzt verdient er 16,2 Millionen Euro im Jahr.

Dass ihn die Credit Suisse holt, steht für den Wandel der Bank. 1856 hat der Unternehmer Alfred Escher die Schweizerische Kreditanstalt gegründet. Sie sollte die Eisenbahn durch den Gotthard finanzieren. In den Gründungsjahren war Religion wichtig. Die richtige Konfession war Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Generaldirektion. Chef der Schweizerischen Kreditanstalt wurde nur, wer reformiert, freisinnig, zürcherisch, männlich ist. 1977 brachte der Chiasso-Skandal – es ging um Steuerflucht in Milliardenhöhe – horrende Verluste. Da begannen die Veränderungen. Erstmals durfte mit Rainer Gut ein Katholik an die Spitze, der allerdings fünf Jahre nur den Titel „Sprecher“ der Geschäftsleitung tragen und sich erst danach „Präsident“ nennen durfte – weil er katholisch und als Zuger nicht Zürcher ist.

Mit der Berliner Mauer sind letzte Schranken gefallen. Die Welt ist global, es braucht Banker, die das verstehen. Die Konfession beim ostdeutschen CEO Oswald Grübel? Bei den Amerikanern John Mack und Brady Dougan? Egal. Nicht mehr protestantische Zürcher sollen die Bank mit 46 000 Angestellten führen, sondern die Besten. Auch ein Moslem aus Afrika, der bisher noch gar kein Bankchef gewesen ist. „Da Religion zur Privatsphäre gehört, darf sie im Geschäftsleben keine Rolle spielen“, sagt Rohner. Er meint: Mit TT rückt die CS noch näher an die Welt.