“Als Frau hat man im Iran keine Probleme”

Livia war 4,5 Jahre Botschafterin in Iran. Jetzt hat sie eine Wirtschaftsdelegation nach Teheran geleitet – und redet über die Beziehungen der Schweiz zum Mullah-Regime.

Interview: Peter Hossli

livia_leuFrau Botschafterin Leu, wie gut haben Sie diese Woche in Teheran gefeilscht?
Livia Leu: Wir haben nicht gefeilscht, wir haben für die Schweiz lediglich sondiert.

Ex-Staatssekretär Michael Ambühl sagt, Schweizer Diplomaten fehle der Mut zum Feilschen. Wie wichtig ist es, mit Iranern zu feilschen?
Das hängt von der Situation ab. Auf dieser Reise haben wir nicht verhandelt, wir haben die aktuelle Lage sowie potenzielle Möglichkeiten für die Schweizer Wirtschaft angeschaut.

Wie gut sind die Möglichkeiten?
Das Potenzial hängt letztlich von einem positiven Ausgang der Verhandlungen über das iranische Atomprogramm ab. Kommt es Ende Juni zu einem Abschluss, könnten die Sank­tionen wegfallen.

Warum ist der Iran für die Schweizer Wirtschaft interessant?
Es ist ein grosses Land mit fast 80 Millionen Einwohnern, ein reiches Land mit Erdöl und Erdgas. Das Potenzial ist gross – vorausgesetzt, die Sanktionen fallen.

Erwartet Irans Bevölkerung das?
Alle hoffen es. Das hoffentlich bevorstehende Abkommen ist das grosse Thema in Teheran: in den Medien, auf der Strasse, in den Ministerien und in unseren Gesprächen. Wir haben die Grundsatzvereinbarung von Lausanne sehr begrüsst und die iranische Seite ermutigt, mit der nötigen Flexibilität weiter zu verhandeln, um einen Abschluss zu finden.

Wie beurteilen iranische Beamte die Chancen auf eine Einigung?
Es gibt viel Optimismus, mehr als ich in den viereinhalb Jahren als Botschafterin in Teheran je gespürt habe. Aber: zu jedem Preis will Iran das Abkommen nicht. Teheran hat viele Konzessionen gemacht, dafür will es den Wegfall der Sanktionen.

Wie beurteilen Sie die Chancen?
Sie waren noch nie so gut wie jetzt. Ich bin optimistisch. Sicherheit gibt es aber nie.

Was kann die Schweiz noch beitragen, damit der Vertrag kommt?
Die Schweiz hat in den letzten Monaten einen grossen Aufwand betrieben, um die nuklearen Gespräche zu fördern. Was der Iran schätzt und verdankt. Die Schweiz will das weiterhin tun.

Wie gut ist die Versorgung im Iran?
Der Iran ist stabiler geworden. Vor zwei Jahren, als ich noch hier war, lag die Inflation bei 45 Prozent, jetzt liegt sie bei 15 Prozent. Die Währung ist stärker.

Was will der Iran von der Schweiz?
Einen Masterplan gibt es nicht. Wir sehen Potenzial bei der In­frastruktur, im Energiebereich, bei Cleantech. Konsumgüter und Medikamente sind gefragt. Fallen die Finanzsanktionen, können sich wieder Möglichkeiten für die Banken ergeben.

Was raten Sie Schweizer Unter­nehmern, die im Iran Geschäfte machen wollen?
Den Abschluss der Verhandlungen abwarten. Es ist zudem wichtig, die Partner zu kennen und vor Ort Beziehungen zu etablieren.

Was haben Sie konkret in Teheran erreicht?
Darum ging es nicht. Solange Sanktionen bestehen, sind konkrete Abschlüsse nicht möglich.

Was können Sie als Frau in Gesprächen denn erreichen?
Als Frau hat man im Iran keine Probleme. Die Funktion ist wichtiger als das Geschlecht. Iraner sind höflich, die meisten Chefetagen ziemlich männlich. Das bringt mir durchaus Vorteile. Iranische Männer haben Mühe, einer Frau Nein zu sagen.

Was können Diplomatinnen besser als Diplomaten?
Frauen können besser zuhören, sie sind generell beziehungsorientierter, knüpfen gut Kontakte.

Demnach sind Diplomatinnen nett – und legen in Verhandlungen die Hellebarde nie auf den Tisch?
Oh doch. Man muss einfach wissen, wann was angesagt ist. Manchmal zeige ich Stärke. In jeder Beziehung muss sich der Tonfall der Situation anpassen.

Die Schweiz sorgt sich um Menschenrechte. Es gibt kein Land der Welt, das mehr Jugendliche hinrichtet als der Iran.
Wir bringen das Thema bei politischen Kontakten regelmässig auf den Tisch. Zudem sagen die westlichen Länder klar, dass Menschenrechte auch nach einer allfälligen Lösung der Nuklearfrage ein wichtiges Thema bleiben.

livia_leu_agostiWie sieht der Iran die Schweiz?
Sie hat einen sehr guten Ruf. Unsere Neutralität gilt als Tugend. Unsere Produkte sind beliebt. Zudem schätzen die Iraner das Schutzmachtmandat der USA, das wir seit 35 Jahren wahrnehmen.

Jetzt ist Tauwetter zwischen den USA und dem Iran. Brauchts un­sere diplomatischen Dienste noch?
Das entscheiden nicht wir. Wir sind stolz, das Mandat wahr­zunehmen, aber wir bemühen uns auch um eine Verbesserung
der Beziehungen zwischen dem Iran und den USA.

Es wäre besser, wenn es die Schweiz gar nicht mehr braucht?
Diplomatische Beziehungen zwischen zwei Ländern sind stets besser. Solange der Iran und die USA unsere Dienste wünschen, stehen wir zur Verfügung.

Die USA und Kuba nähern sich an. Dort hat die Schweiz ebenfalls ein Schutzmachtmandat. Verliert unsere Diplomatie an Bedeutung?
Wir hatten insbesondere in den beiden Weltkriegen mehr Mandate. Jetzt haben wir weniger, aber es gibt wichtige neue, etwa Georgien–Russland. Zudem ist die Schweiz oft Verhandlungsort.

Sie leiten den Bereich bilaterale Wirtschaftsbeziehungen im Seco. Sie haben Brasilien besucht, Japan, jetzt den Iran, demnächst die USA. Werden Nicht-EU-Länder wichtiger für die Schweiz?
Die EU bleibt unser wichtigster Handelspartner. Aber andere Länder haben an Bedeutung klar zugenommen. Wir bemühen uns um Freihandelsabkommen mit neuen Partnern. Die Schweiz diversifiziert sich.