Ein neugieriger Clown tritt ab

Keiner erklärt die Realität besser als Jon Stewart in seiner satirischen Nachrichtensendung. Jetzt hört er auf. Eine Rückschau.

Von Peter Hossli

stewart_obamaÜber seine Eitelkeit stolperte der Anchorman. Brian Williams, 55 und Moderator beim US-TV-Sender NBC, überhöhte einen Einsatz als Reporter im Irak. Der Hubschrauber, in dem er damals flog, sei im Frühling 2003 von Granaten getroffen worden. Was den Piloten zu einer Notlandung in der Wüste zwang.

Die Geschichte tönt heldenhaft und spektakulär. Nur: Sie ist erfunden. Ein anderer Helikopter geriet unter Beschuss und musste sofort landen.

Just zerfetzten US-Journalisten Williams, bezichtigten ihn tagelang als Lügner. Letzten Februar trat er ab, seine Ehre wohl für immer verloren.

Heuchelei entlarven
Einer aber sah das Gezänk um Williams etwas anders – wie so oft. Jon Stewart, 52 und Anchorman der «Daily Show», entlarvte die Heuchelei der Ankläger – der Journalisten.

Sicher, über Williams machte sich Stewart lustig: Wie andere föhnfrisierte Moderatoren sei er vor allem von sich selbst eingenommen, glaube, Teil der Geschichte zu sein. Dann aber zeigte Stewart auf, wie die ­US-Medien vor dem Einmarsch in den Irak die Lügen der US-Regierung verbreitet hatten. Was über einer Million Menschen das Leben kostete. Die Invasion ist ein zentraler Grund für das heutige Chaos im Nahen und Mittleren Osten. «Endlich wird einer zur Rechenschaft gezogen wegen Lügen zum Irakkrieg», sagte Stewart und verdichtete mit bitterbösem Sarkasmus messerscharf die Wahrheit. Was seit 16 Jahren sein Markenzeichen ist. Jeweils um elf Uhr nachts verwebt er Spott und Schalk zu einer halbstündigen Nachrichtensendung. Mit ­immer gleichem höherem Ziel: die Wahrheit so gut wie möglich zu schildern.

Lachen statt Weinen
Damit änderte er den Journalismus. Stewart, Moderator einer Witz-Sendung, hat seit Jahren mehr Glaubwürdigkeit als herkömmliche Reporter. Komplizierte Themen erklärt er verständlich. Bigotte Politiker entlarvt er, ebenso korrupte Manager. Treffend beschreibt ihn die «New York Times» als «begabten Clown mit grosser Neugierde». Ein Clown sagt stets die Wahrheit, und er bringt die Menschen dann zum Lachen, wenn es zum Weinen nicht reicht.

Doch damit ist bald Schluss. Einen Tag nach der Sendung zu Brian Williams kündigte Jon Stewart – unter Tränen – seinen eigenen Abgang an. Wohl im Herbst hört Stewart auf. «Wo soll ich mich künftig allabendlich informieren?», twitterte dazu auf­geregt und treffend der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, 68.

Was Stewart tut, weiss er noch nicht. Vielleicht geht er nach Hollywood. 2013 nahm er eine Auszeit und führte Regie bei einem Spielfilm. «Ich habe einige Ideen», sagte er am TV. Und warum hört Stewart auf? «Weil ich unter der Woche wieder mal mit meiner Familie essen möchte», sagte der Vater von zwei Kindern. «Mehrere Quellen haben mir versichert, dass das ganz nette Menschen sind.»

«Stop hurting America»
Er hinterlässt ein Publikum, das lieber lachend als ernsthaft die Nachrichten erfährt. Das aber sehr wohl versteht, wie Medien funktionieren – dank Stewart. Er hat ihnen aufgezeigt, wie dümmlich TV-Sender zuweilen Quoten bolzen. Wie sie sich in dumpfem Zank verstricken, statt echte Debatten zu führen. So bodigte er mit einem Auftritt im Herbst 2004 die CNN-Talk-Sendung «Crossfire». Bei dieser Sendung kläffen sich ein linker und ein rechter Talker gegenseitig an. «Warum tut ihr das?», fragte Stewart die Kläffer. Und er trat nach: «Stop hurting America», bat er sie, «hört auf, Amerika weh zu tun.» So löste er eine Debatte mit Folgen aus. CNN setzte «Crossfire» ab.

Stewart beschmutze die Presse und die Politik nicht mit Dreck, schrieb die «New York Times». Er zeige nur, wie dreckig die Politik und die Presse wirklich seien. «Wenn Stewart Fische in einem Bottich angelt», zitiert das Blatt den Fox-News-TV-Journalisten Greg Gutfeld (50), «müssen wir ihm ja nicht immer die Fische liefern.» Selbstkritisch fügt er an: «Er erhält sehr viele Fische von uns.»

stewart_comedyEin Junge aus New Jersey
Stewart wuchs in New Jersey auf, in Sichtweite Manhattans. Er studierte Psychologie. «Mein wichtigster Entscheid war aber der Umzug nach New York», sagte er in einem Radio­interview. Auf der anderen Seite des Hudson Rivers eröffnete sich ihm eine neue Welt. Auf schummerigen Club-Bühnen witzelte er als Kabarettist, jobbte in Bars, moderierte bei «Comedy Central». TV-Legende David Letterman, 69, verschaffte ihm beim MTV 1993 eine eigene Sendung. Sie floppte. Sechs Jahre später erhielt er die «Daily Show» bei Comedy Central – und veränderte das amerikanische Fernsehen wie die US-Politik.

Wochenlang rangen nach den Präsidentschaftswahlen im Herbst 2000 George W. Bush, 68, und Al Gore, 66, um Stimmen in Florida. Stewart aber zeigte, wie brüchig und letztlich unfair die Demokratie in den USA ist. Dass Wahlen mit Geld und nicht mit Argumenten gewonnen werden.

In der ersten Sendung nach den Terroranschlägen von 9/11 weinte er, zeigte Empathie für die Opfer, war selbst eines. New York, die Stadt, die er so liebt, war angegriffen worden.

US-Präsident Bush behauptete später, der Irak hätte ein Arsenal Massenvernichtungswaffen – und marschierte nach Bagdad. Die meisten Journalisten marschierten gedanklich mit, stellten jahrelang nur zahme Fragen. Nicht so Stewart. Niemand zeigte deutlicher, wie die US-Regierung das Volk vor dem Krieg anlog.

Ein linkischer Liberaler
Er steht zu seiner Vorliebe für liberale Demokraten in den USA, seiner Abneigung der konservativen Republikaner. Gleichwohl kritisiert er die Linken. Er verspottete US-Präsident Barack Obama, 53, weil er im Januar am Marsch für die Opfer des Attentats auf die «Charlie Hebdo»-Redaktion fehlte. Und weil er sich zu wenig um Veteranen kümmerte, die aus dem Irakkrieg Heim kehrten.

Die Schweiz nahm er auf die Schippe, als sie im November 2009 an der Urne Ja zu einem Bauverbot für Minarette sagte. Mit Lob begann der böse Spott: «Schweizer können alles», so Stewart. «Dass sie auch hassen können, war bisher mir nicht bekannt.» Minarette?, höhnte er. «Minarette, Kirchtürme – die Architektur ist meine liebste Sache an der Religion.»

stewart_minaretteNatürlich würde er Verständnis zeigen, wenn die Bauwerke die Skyline eines Landes verschandeln. «Vermutlich gibt es einfach ganz viele Minarette in der Schweiz.» Der Komiker liess sie zählen. Und kam auf vier Türme. Stewart zuckte die Schultern, rollte die Augen. «Ich habe mehr Minarette auf meinem Auto montiert», sagte es – und blendete einen mit Minaretten verzierten Chevy ein. Seufzend wandte er sich an alle Schweizer: «Wie ist es möglich, dass ihr so bekannt seid für eure Neutralität – und jetzt unternehmt ihr trotzdem einen derart aggressiven Schritt?»

Bissige Beobachtungen bescherten ihm grossen Erfolg. Erfolg, der ihn reich machte. Laut «TV Guide» verdiente Stewart zuletzt zwischen 25 und 30 Millionen Dollar jährlich – so viel wie kein anderer Anchorman.

Allein schaffte Stewart das nicht. Er förderte etliche andere Kabarettisten und verhalf ihnen zu grossen Karrieren (siehe unten). Stephen Colbert, 50, war einer seiner Korrespondenten und startete 2005 «The Colbert Report». Darin gibt er ­einen erzkonservativen Nachrichten-Moderator, den er genüsslich persiflierte.

Allein beim Hohn blieb es nicht. Stewart und Colbert schrieben gescheite Bücher und zogen Ende Oktober 2010 nach Washington – zur «Rally to Restore Sanity and/or Fear», einer Demonstration, bei der die Vernunft hergestellt und die Angst beendet werden soll. Mit ihnen marschierten 215 000 Menschen. Es seien zehn Millionen hier, mokierte sich Stewart über andere Demos. Colbert twitterte sogar: «Es kamen sechs Milliarden.»

Er war ihr ziehvater und Vorbild: Diese drei kabarettisten verdanken Jon Stewart ihren Erfolg

Stephen Colbert, 50
Noch vor Jon Stewart kam Stephen Colbert 1997 zur «Daily Show». Er war einer der satirischen Korrespondenten, die mit fabrizierten Nachrichten die Welt erklärten. Colbert gab einen erzkonservativen Journalisten – und verhöhnte so erzkonservative Journalisten. 2005 erweiterte er die Figur zur Sendung «The Colbert Report». Diesen September entsteigt Colbert der Fiktion und übernimmt von David Letterman die «Late Show».

Bassem Youssef, 40
Ende Januar 2011 kam der Arabische Frühling von Tunesien nach Ägypten. Der ägyptische Herzchirurg Bassem Youssef versorgte auf dem Tahrir-Platz Verwundete. Inspiriert von Jon Stewart, begann er eine satirische Nachrichtensendung auf YouTube. Millionen schauten zu. Youssef startet die TV-Sendung «Al-Bernameg» – «Das Programm» –, in der
er die Politiker Ägyptens verhöhnte. 2014 setzte er die Sendung ab – aus Angst.

John Oliver, 37
Als Jon Stewart im Sommer 2013 einen Spielfilm drehte, überliess er dem Briten John Oliver den Job als Moderator. Der Kabarettist aus Birmingham kam im Juli 2006 zur «Daily Show». Sein trockener, glasklarer britischer Humor war oft das Highlight der Sendung. HBO gab ihm 2014 eine eigene Sendung: «Last Week Tonight with John Oliver». Höchst satirisch befasst er sich darin mit sehr ernsthaften Themen.

williamsDer tiefe Fall eines amerikanischen Fernsehstars
Journalisten haben in einer Demokratie eine grosse Verantwortung. Sie müssen die Wahrheit sagen, lügen dürfen sie nicht.

Weil er log, hat Brian Willams, 55, seinen Job verloren. Er war der Star unter den amerikanischen Nachrichtenmoderatoren. Seit dem 2. Dezember 2004 führte er durch «NBC Nightly News», die Hauptabendnachrichten des US-Senders NBC. Dafür erhielt er jährlich ein Salär von 10 Millionen Dollar. Williams war sein Geld wert. Mit durchschnittlich 9,3 Millionen Zuschauern steht die Sendung an der Spitze der amerikanischen News-Shows.

Seit 10. Februar moderiert Brian Williams nicht mehr. Sein Lohn ist sistiert. Weil er Glaubwürdigkeit und Vertrauen verloren hat.

Der gross gewachsene Kerl hatte seine Einsätze als Kriegsreporter überhöht dargestellt. Während der Irak-Invasion 2003 war Williams ein «embedded reporter», reiste mit US-Soldaten. Damals berichtete er korrekt, ein vor ihm fliegender US-Helikopter sei beschossen worden. Zwölf Jahre später, Williams war mittlerweile nicht mehr Journalist sondern Moderator, erzählte er die Geschichte anders. Sein Hubschrauber sei ins Visier geraten und musste nach einem Treffer notlanden.

Soldaten, die mit ihm flogen, dementierten. Just kamen andere Berichte von Williams unter Verdacht, die Realität nicht richtig abgebildet zu haben.

Zu viel für NBC. Der Sender stellte Williams für vorerst sechs Monate frei. Kaum jemand glaubt, dass der gefallene Star seine Ehre retten und jemals zurückkommen kann.