Sturm auf Tikrit

Schiitische Milizsoldaten stehen vor der Befreiung von Tikrit. Das birgt Gefahren für Irak.

Von Peter Hossli

shiaDie irakische Stadt Tikrit steht vor dem Fall. Rund 25000 schiitische Milizsoldaten haben gestern den südlichen Nachbarort Dour von der Terrorbande Islamischer Staat (IS) befreit. In den nächsten Tagen wollen sie auf Tikrit marschieren, die Heimatstadt des einstigen irakischen Diktators Saddam Hussein (1937–2006).

Die IS-Schergen wehren sich. Sie haben Strassen vermint, verüben Selbstmordanschläge. Gleichwohl ist der höchste US-General Martin Dempsey (62) zuversichtlich: Dr IS werde aus Tikrit verjagt. «Die Zahlen sprechen für sich», sagt er. «Der IS hat nur wenige Hundert Kämpfer.»

Die Rückeroberung birgt Gefahren. Die Schlacht um Tikrit dürfte schwelende rereligiöse Konflikte im Irak weiter anheizen. Die schiitische Miliz wird vom Iran finanziert und mit Waffen beliefert. Derweil häufen sich Meldungen, wonach Schiiten unter sunnitischen Zivilisten Blutbäder an­richten – aus Rache für die Gräuel der sunnitischen IS-Terroristen.

gignac2Ist Tikrit befreit, rückt Mossul ins Visier. Die mit 1,8 Millionen Einwohnern zweitgrösste irakische Stadt im Norden fiel im Juni 2014 in die Hände des IS.

Derzeit bereiten kurdische Kämpfer die Rückeroberung vor, trainiert von US-Spezialisten. «Jeder in Kurdistan denkt an Mossul, bis im Sommer dürfte etwas passieren», sagt der Kanadier Emmanuel Gignac. Er leitet im Nordirak das UNHCR, die Flüchtlingsbehörde der Uno. «Das wird wohl eine weitere grosse Flucht­welle auslösen», so Gignac.

Derzeit beherbergt Kurdistan im Norden Iraks 1,2 Millionen Vertriebene. Ein Angriff auf Mossul könnte 100 000 Menschen in die Region bringen. «Wir befürchten soziale Unruhen», sagt er. «Viele Kurden sagen: Das Boot ist voll.» Irak sei wohl noch Jahre davon entfernt, sich zu stabilisieren, so Gignac. «Die Befreiung Mossuls wäre aber ein wichtiger erster Schritt.»

Foto: Pascal Mora

Die Reportage aus Kurdistan