18 000 Franken für Renata Nydegger

Ein erstes Verdingkind erhält sein Geld zurück. Es dürfte die Diskussion über nachrichtenlose Vermögen in der Schweiz weiter anheizen.

Von Peter Hossli

verding_nydeggerDie frohe Kunde erreichte Renata Nydegger (73) per Brief. Die pensionierte Souffleuse erhält vom Kanton Thurgau 18 000 Franken. «Wir hoffen, damit Ihre Erwartungen erfüllt zu haben», schreibt der Thurgauer Regierungsrat Claudius Graf-Schelling (64). Er entschuldige sich «vielmals».

Es ist ein kurzes Schreiben mit grosser Wirkung. Erstmals zahlt ein Schweizer Kanton einem Verdingkind sein Geld zurück. Es ist ein Präzedenzfall für alle ehemaligen Verdingkinder, die in ihren Akten Sparhefte finden – deren Geld aber weg ist.

Nydegger kam 1941 als Renata Hauslin zur Welt. Sie war ein uneheliches Kind, erhielt einen Vormund. Bei Pflegefamilien musste sie sich verdingen.

Vor zwei Jahren sah sie erstmals die Akten ihrer Fürsorge – und fand darin ein Sparbüchlein, ausgestellt auf ihren Namen. Die Heftnummer: 6939.

Ihr leiblicher Vater hatte auf ein Konto der Thurgauer Kantonalbank monatlich 40 Franken eingezahlt. Verwaltet hatte es der Vormund. Der erstellte 1953 eine Schlussrechnung. Die Behörden wiesen Renatas Mutter an, das Sparheft beim Notariat Diessenhofen TG zu hinterlegen. Der Betrag: 3525 Franken.

Seit 2013 suchte Nydegger ihr Geld. Sie schrieb über ein Dutzend Briefe: an die Bank, nach Diessenhofen, an den Kanton.
Letzten September griff der SonntagsBlick ihren Fall auf – und rechnete aus, dass ein Sparheft seit 1953 im Schnitt 2,65 Prozent Zins abwarf. Nydeggers Vermögen wäre somit auf 17 380 Franken angewachsen.

Der Artikel wirkte. «Wir übernahmen diese Rechnung und rundeten den Betrag auf 18 000 Franken auf», sagt Regierungsrat Graf-Schelling.

Bei Recherchen hatte der Kanton ein Dokument vom 1. April 1953 entdeckt. Daraus wird klar ersichtlich, dass Ny­deggers Mutter das Sparheft in Diessenhofen hinterlegt hatte. Dass auf dem Konto 3525 Franken lagen. Und dass «das Sparheft nach Erreichung des Volljährigkeitsalters» der Renata gehört. Und das Geld? War verschwunden. «Da die Fakten klar sind, übernahm der Kanton die Verantwortung», sagt Graf-Schelling (64). «Wir handelten rasch und verantwortungsvoll.»

Historiker Thomas Huonker (60) begrüsst den Entscheid. «Aber das darf kein Einzelfall bleiben.» Andere Kantone müssten folgen. Sie sei glücklich, so Renata Nydegger. «Aber ich kämpfe weiter für andere Verdingkinder mit verschollenen Vermögen.» Ihr Rat: «Nie auf­geben und den Behörden nicht bedingungslos glauben.»

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