Der tollkühne Lord im Eis-Kanal

Einer der ältesten Sport-Rekorde ist gefallen. Ein irischer Baron durchbrach im Engadiner Cresta-Rennen die ­magische Grenze von 50 Sekunden.

Von Peter Hossli

crestaMit 140 Kilometern die Stunde donnert er durch den 1214 Meter langen Kanal. Nur eine dünne Haut aus Kunststoff schützt ihn vor Kälte und pickelhartem Eis.

So schnell wie der adlige Ire lenkt keiner den Skeleton-Schlitten. Clifton Hugh Lancelot de Verdon Wrottesley brach letzten Sonntag einen der ältesten Sport-Rekorde. In 49,92 Sekunden absolvierte er den Cresta Run von St. Moritz GR nach Celerina. Und unterbot die eigene, 16 Jahre alte Topmarke um 17 Hundertstel.

Was «awesome» sei, «grossartig», sagt Wrottesley (46). Mit Dutzenden Flaschen Moët-Champagner begoss er den Triumph im St. Moritz Tobogganing Club.

Weil der Schnee für den Bahnbau dieses Jahr vom Bernina-Pass kam, sei er so schnell gewesen. «Es hat mehr Wasser und weniger Luft im Eis», so Wrottesley. «Zudem ist die Bahn steiler als sonst.»

Viel hat der vormals verarmte Baron dem Skeleton zu verdanken. In der Saison 1995/1996 lernte er seine Ehefrau kennen: Lady Sascha Wrottesley, Tochter des milliardenschweren Financiers und Hotel-Dolder-Besitzers Urs Schwarzenbach (66).

cresta1Vier Kinder hat das Paar, lebte bis vor drei Monaten in St. Moritz, jetzt in London. Jeden Winter will er sechs Wochen im Engadin sein – für den Cresta Run. «Für einen regulären Job bleibt da keine Zeit». Er handle mit Geld, Wein und Häusern.

Das erlaube es ihm, künftig weitere Anläufe auf den Rekord im Eis zu nehmen. «Ich halte mich fit und führe ein ausgeglichenes Leben», sagt er. «Relativ ausgeglichen.»

Ständig tüftle er an seinem Material. So sei sein Anzug aerodynamischer als die Kleider der Konkurrenz. «Darin sehe ich aus wie Darth Vader» – der Bösewicht in den «Star Wars»-Filmen.

«Leicht verrückt» müsse sein, wer den Cresta Run runterrast. «Du musst Geschwindigkeit lieben und die Angst überwinden.»
Ebenso wichtig sei die Freude an der Kumpanei, am Leben im Club. Illustre Figuren wie Constantin von Liechtenstein (1911–2001), Fiat-Besitzer Gianni Agnelli (1921–2003) und Playboy Gunter Sachs (1932–2011) waren schon Club-Präsidenten.

«Es geht darum, im Club Spass zu haben – und den Sport trotzdem todernst zu nehmen», sagt Wrottesley.