Interview: Peter Hossli Fotos: Thomas Lüthi
Herr Vucic, wie trifft Serbien die Frankenstärke?
Aleksandar Vucic: Rund 22 000 Serben haben Hypotheken in Schweizer Franken. Sie sind jetzt sehr verzweifelt und fürchten um ihr Haus. Wir versuchen, ihnen so gut wie möglich zu helfen. Alles bezahlen können wir nicht.
Welche Folgen hat das Ende des Mindestkurses für Serbien?
Unsere Wirtschaft hängt mehr am Euro als am Franken. Auf den Strassen in Belgrad kaufen die Leute jetzt aber mehr Dollar und Franken als Euro. Zuvor wechselten sie Dinar jeweils in Euros.
Warum kommen Sie nach Davos ans WEF?
Um zu lernen, um Menschen zu treffen, die in Serbien investieren. Letztlich braucht ein Premierminister gute Freunde – und die findet man nirgends besser als in Davos. Insgesamt habe ich 14 bilaterale Treffen, darunter mit dem chinesischen und dem türkischen Premierminister, mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann und hoffentlich noch mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.
Serbien hat dieses Jahr den Vorsitz der OSZE. Was kann Ihr Land für den Frieden tun?
Wir können dem Westen helfen, wir wollen aber neutral bleiben. Natürlich profitieren wir von der exzellenten Vorarbeit der Schweiz.
Die OSZE muss sich um die Ukraine kümmern. Dort toben heftige Kämpfe. Wie kann die Gewalt eingedämmt werden?
Dieser Konflikt ist schlecht für Russland und die Ukraine – und für ganz Europa. Wir sind ein kleines Land. Europa muss mehr tun für den Frieden.
Serbien steht Russland nah. Wie können Sie da neutral bleiben?
Unsere Beziehung zu Russland ist historisch. Sie kann der EU sehr nützlich sein, um eine friedliche Lösung zu finden. Wir sind keine Marionette der Russen, wir sind niemandes Marionette. Im Beisein von Präsident Wladimir Putin habe ich gesagt, dass wir in die EU wollen. Zwar sind wir den Russen nah, aber unser Ziel ist die EU.
Wann ist Serbien so weit?
Hoffentlich 2019, dafür unternehmen wir alles. Danach entscheiden die anderen. In vier Jahren sollten unsere wirtschaftlichen und rechtlichen Reformen abgeschlossen sein.
Ist Serbien wirtschaftlich stark genug für die EU?
Daran arbeiten wir sehr hart. Unsere Zukunft ist rosig. Etwas verspreche ich Ihnen: Wir werden nicht das ärmste EU-Land sein.
Hat Serbien in der EU genug Wohlwollen?
Wir sind keine Bettler, wir wollen kein Geld und keine Almosen. Serbien wird ein vollständiges Mitglied der EU sein.
Wie schaffen Sie den Spagat, ein Freund Russlands zu sein – und gleichzeitig in die EU zu wollen?
Das ist kein Dilemma für uns. Es ist möglich, freundschaftliche Beziehungen zu Russland zu haben und EU-Mitglied zu sein. Die EU weiss sehr wohl, dass sie davon profitieren kann.
Ein Problem bleibt Kosovo. Gibt es einen Weg für dessen Unabhängigkeit?
Das würde ich so nicht sagen. Am 9. Februar gehen die Gespräche weiter. Es gibt viele Probleme, die wir lösen können. Aber die Kosovaren wollen Unabhängigkeit, und wir wollen etwas anderes. Die Atmosphäre aber ist viel besser geworden.
Was heisst «etwas anderes»?
Einem unabhängigen Kosovo können wir derzeit nicht zustimmen. Aber es ist möglich, dass Serben und Albaner nicht nur nebeneinander, sondern auch zusammenleben können.
Sie waren der Propaganda-Minister von Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic. Wie haben Sie es geschafft, zum positiven Gesicht Serbiens zu werden?
Es fällt mir nicht schwer, Fehler einzugestehen. Eitelkeit ist nicht meine Schwäche. Damals in den Neunzigerjahren sah ich die Welt anders, und ich lag falsch. Ich habe gesündigt, wie andere Menschen auch.