Die verlogenen Staaten von Amerika

Amerika spielt Weltpolizist – und foltert wie die Regimes, die es anprangert. Ein Kommentar.

Von Peter Hossli (Text) und Igor Kravarik (Illustration)

UncleSamLuegeLang ist die Liste der Vorwürfe, deftig die amerikanische Kritik: Staatliche Folterknechte in Sri Lanka und Tunesien würden ihre Gefangenen scheinertränken, schimpft das US-Aussenministerium. Tagelang aufrecht stehen müssten Häftlinge in Jordanien und Iran. Nackt träten muslimische Männer im Knast in Ägypten vor ihre Schinder. In Saudi Arabien wie der Türkei, in Indonesien wie in Libyen dürften Menschen bis zu einer Woche nie schlafen.

In aller Schärfe verurteilt die US-Regierung Jahr für Jahr solche Gräuel der anderen. Wie jüngst in der Ukraine. Bei jeder Gelegenheit preisen US-Präsidenten ihr Land als Schutzmacht der Menschenrechte an.

Das ist verlogen, ja ein Hohn.

US-Präsidenten ordnen Folter an. Schlafentzug? Amerikaner tun es. Waterboarding? Amerikaner tun es. Ebenso Psycho-Stress, Zwangsernährung über den After, splitternackte Befragungen. Top-Terrorist Khalid Scheich Mohammed wurde 183 Mal fast ertränkt, zeigt der US-Senatsbericht zur CIA-Folter.

Es ist ein trister Abgesang auf den Rechtsstaat, auf das, was wir an Amerika so sehr bewundern, wofür dieses Land steht: Als Ort des Rechts und der Legalität. Wo selbst schlimmste Verbrecher ihren Tag im Gerichtssaal erhalten. Wo niemand ohne Anklage einsitzt. Wo alle vor dem Gesetz gleich sein müssten.

Dieses Bild ist nun erschüttert. Foltern ist illegal, selbst in Kriegszeiten. Und Amerika tat es, grausam und in grossem Stil.

Heuchler Obama
Das Verhalten lässt sich nicht entschuldigen – aber erklären.

Der 11. September war der schönste Tag des Jahres 2001. Der Himmel über New York klar, die Luft frisch. Bis islamische Terroristen zwei Ziviljets ins World Trade Center flogen – und 3000 Menschen ermordeten.

Die Welt trauerte mit Amerika. Die Regierung von Präsident George W. Bush aber roch Blut – und begann unamerikanisch zu handeln. Ohne Uno-Mandat griff sie den Irak an. Ein Land, das mit 9/11 nichts zu tun hatte. Ein klarer Verstoss gegen das Völkerrecht. Auf Kuba in Guantánamo Bay richtete sie unter stechender Sonne ein Gefangenenlager ein. Hunderte harrten jahrelang ohne Anklage und unwürdig hinter Stacheldraht.

Ein Heuchler ist Präsident Barack Obama. Zwar stoppte er die Folterknechte. Partout aber weigert er sich, die Peiniger vor Gericht zu ziehen. Was verheerend ist. Obama schafft so einen Präzedenzfall. Seine Nachfolger im Weissen Haus dürften ungesühnt erneut Menschen quälen.

Rachefeldzug
Das Verhalten nach 9/11 entspreche der historischen Norm, sagt US-Historiker Walter Mead. «Wird Amerika auf eigenem Boden getroffen, schlägt es rücksichtslos zurück.» Um weitere Katastrophen zu verhindern.

Seit 9/11 ist Amerika daher auf Rachefeldzug, seit das US-Festland erstmals angegriffen wurde. Am 7. Dezember 1941 attackierten japanische Bomber den US-Marinestützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii. Sie töteten 2403 Amerikaner und zerstörten 188 Flugzeuge. Daraufhin rüsteten die USA auf, kämpften im Zweiten Weltkrieg. Und erlösten Europa vor den Nazis.

Aber als bisher einziges Land setzten sie auch die schlimmste Waffe ein. Mit Atombomben töteten sie 1945 fast eine Viertelmillion Japaner. Aus blinder Vergeltung für Pearl Harbor.