Von Peter Hossli
Spektakulär trifft Mario Götze (22) zum 1:0 gegen Argenti-nien. Deutschland wird in Rio de Janeiro Weltmeister. Auf der Tribüne klatscht der russische Präsident Wladimir Putin (61). Neben ihm sitzt Fifa-Präsident Sepp Blatter (78). Die beiden plaudern über die nächste Fussball-WM, die 2018 in Russland stattfindet.
Am selben Tag beobachten amerikanische Satelliten, wie 11400 Kilometer von Rio entfernt eine mobile Raketenabschussanlage die russisch-ukrainische Grenze passiert. Vier Tage darauf trifft eine Rakete eine Boeing 777 der Malaysia Airlines. An Bord von Flug MH17 sterben 298 Menschen. «Sollte es wirklich ein russischer Abschuss gewesen sein, hat die Fifa ein ganz grosses Problem», sagt alt Bundesrat Adolf Ogi. Jahrelang war er Uno-Sonderberater für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden.
Ogi (72) sagt laut, was viele still denken. «Die Fifa muss dann in Erwägung ziehen, die WM nötigenfalls Russland zu entziehen.» Das wäre schwierig, weiss Ogi zwar. «Aber jetzt sollte die Fifa einen Alternativplan vorbereiten. Denn der Druck wird massiv. Putin muss das Spiel mit dem Feuer beenden.»
Seit bald einem Jahr versucht Putin, die Ukraine zu destabilisieren, damit sie nicht der EU beitritt. Er annektierte die Krim. Er zettelte einen Krieg in der Ostukraine an. Er finanziert und unterstützt ihn mit russischen Waffen. Durch den Abschuss von MH17 ist aus dem regionalen ein globaler Konflikt geworden – Menschen aus zehn Ländern starben auf dem malaysischen Jet.
Wer das Töten beenden kann, ist für Ogi klar: «Am ehesten kann Sepp Blatter Putin stoppen», sagt der einstige Sportminister. «Der Fifa-Präsident könnte im jetzigen Moment sogar mehr bewirken als säbelrasselnde Amerikaner und EU-Politiker», so Ogi. Denn: «Russland die WM zu entziehen oder sie zu boykottieren, wäre eine weitaus stärkere Waffe als wirtschaftliche Sanktionen.» Warum? «Kein Anlass der Welt hat mehr Aufmerksamkeit und höhere Einschaltquoten als die Fussball-WM.»
Ogi versteht, dass holländische Ex-Internationale wie Johan van ’t Schip (50) vom niederländischen Fussballverband den Rückzug von der WM 2018 verlangen. An Bord von Flug MH17 befanden sich 193 Holländer. Damit hat Holland proportional zur Einwohnerzahl mehr Menschen verloren als die USA am 11. September 2001. «Wer die Bilder der ankommenden Särge in Eindhoven sieht, kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen», sagt Ogi.
Muss man Sport und Politik nicht getrennt betrachten? «Nein», sagt Ogi. «Ohne Politik gibt es keinen Sport, die Politik muss dem Sport den Teppich auslegen, ohne Verankerung beim Volk ist es nicht möglich, sportliche Grossanlässe wie eine WM oder Olympische Spiele durchzuführen.» Beispielhaft sei der jüngste Widerstand in Graubünden, München, Stockholm und Wien gegen Olympische Spiele.
Ogi warnt: «Die Fifa und das IOK müssen aufpassen, dass nicht mehr nur Diktatoren und Despoten ihre Grossanlässe durchführen. Sonst machen die Verbände die Rechnung ohne den Wirt – also das Volk.»
Ogi ist nicht der Einzige, der über den Entzug der WM 2018 spricht. Der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im deutschen Bundestag, Michael Fuchs, teilt die Haltung. Aber Ogi ist bei weitem der Prominenteste – ein ehemaliger Präsident der Schweiz, jenem Land, das der Fifa wie dem IOK Gastrecht gibt.
Die Fifa nehme «ihre Verantwortung als Fussball-Weltverband sehr ernst und unterstützt jegliche friedliche und demokratische Debatte», sagt ein Fifa-Sprecher. Die Geschichte zeige, «dass ein Boykott von Sportveranstaltungen oder eine Politik der Isolation oder Konfrontation nicht zu den effektivsten Methoden der Problemlösung gehören». Eine WM könne eine Lage positiv verändern. «Die Fifa ist überzeugt, dass dies auch bei der Fifa-Fussball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland der Fall sein wird.»
Demnach gilt: Blatter muss jetzt seine einzigartige Macht geschickt nutzen – und damit Putin die Vernunft aufzwingen.
Russlands Wirschaft serbelt
Die wirtschaftlichen Sanktionen der USA und der EU gegen Russland zeigen Wirkung. So sind die Exporte aus der EU nach Russland im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent gesunken, aus der Schweiz sogar um 17 Prozent. Schuld ist unter anderem der stark gefallene
Rubel. Deshalb erhöhte die russische Zentralbank am Freitag den Leitzins von 7,5 auf 8 Prozent. Das stützt zwar die russische Währung – macht aber neue Investitionen im Land umso teuerer. Wegen der neuen Sanktionen und der hohen Zinsen erwarten Ökonomen von Schweizer Banken und der Internationale Währungsfonds einhellig ein stark abgeschwächtes Wirtschaftswachstum für Russland.
Neue Waffen für Rebellen
Russlands Präsident Wladimir Putin trotzt westlicher Kritik – und rüstet die prorussischen Rebellen in der Ukraine weiter auf. So sollen sie eben zusätzliche russische Waffensysteme erhalten haben, meldet das US-Verteidigungsministerium. Zudem verlegt Putin 15000 Soldaten an die ukrainische Grenze. Gleichzeitig droht Russland, die Anti-Terror-Kooperation mit der EU zu beenden. Die Nachrichtenagentur AP zitiert prorussische Rebellen, die sagen, sie hätten ein ukrainisches Militärflugzeug abschiessen wollen – und aus Versehen den Passagierjet der Malaysia Airlines getroffen. An der Absturzstelle der MH17 haben Ermittler weitere Wrackteile und sterbliche Überreste gefunden.