Von Peter Hossli
Schweiz – Argentinien, in São Paulo läuft die 88. Minute. 1,8 Millionen Schweizer Fussball-Fans verfolgen das Spiel auf SRF. Mancher schreibt und liest nebenbei kurze Kommentare auf Twitter. Just dann setzt SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr (51) einen Tweet ab. Um Fussball geht es ihr aber nicht. «Der Brief von Jacqueline Fehr zur Regierungsrats-Kandidatur», schreibt sie, dazu ein Link zu ihrer Website. Darauf erklärt Fehr, warum sie 2015 in den Zürcher Regierungsrat will.
Um Fehr statt Messi und Shaqiri dreht sich auf Twitter kurzzeitig alles. Transparenz sei ihr wichtig, erklärt Kandidatin Fehr ihre ungewöhnliche Ankündigung. «Zudem wollte ich meine Wählerinnen und Wähler vorab informieren.»
Ihr Coup zeigt: Einst verkündeten Politiker ihre Kandidaturen in Presse-Interviews, nun richten sie sich direkt an die Wähler. Am Tag nach dem Tweet erst sprach Fehr mit dem «Landboten» über die Bewerbung. «Heute wird von Politikern erwartet, dass sie ihre News zuerst auf Twitter bekannt geben», sagt Online-Marketing-Experte Daniel Graf. «Nur was neu ist, verbreiten andere weiter.»
Damit behält Fehr die Kontrolle über Inhalt und Zeitpunkt der Botschaft. Zudem spricht sie zuerst jene an, die diese Botschaft lesen wollen. Einziger Fauxpas: Sie liess den Tweet nach 90 Minuten Spielzeit statt nach der Verlängerung los.
Dass Fehr während der WM twittert, ist kein Zufall. Wie die Nationalrätin kommunizieren viele Fussball-Stars von Brasilien direkt mit den Fans, oft zugänglicher als mit der Presse. Das persönlichste Bild der Schweizer Nati-Spieler schoss kein offizieller Fotograf. Es war ein Selbstporträt, das Philippe Senderos (29) zusammen mit Nati-Kollegen am Strand schoss – und twitterte. Gelöst lächeln die Spieler. Sie tragen private T-Shirts statt der stets gleichen roten Trikots.
Fehr lernte von anderen. Altmodisch wie zeitgemäss gab das britische Königshaus im Juli 2013 die Geburt von Thronfolger Prinz George bekannt – per Tweet und auf einer Staffelei vor dem Buckingham Palace. Portugals Fussball-Star Cristiano Ronaldo (29) reichte ein Tweet für die Geburt seines Sohnes. Frankreichs Grande Dame Valérie Trierweiler (49) vertwitterte die Trennung von Präsident François Hollande (59). Und als sich der radikale irakische Geistliche Muktada al-Sadr (40) im Februar aus der Politik zurückzog, tat er es – standesgemäss – mit einem Tweet.