Von Peter Hossli (Text) und Katarina Premfors (Fotos)
Auf dem alten Markt von Doha gibt es den goldenen WM-Pokal in drei Grössen. Das zeugt von der Vorfreude, hier in Katar die Fussball-WM 2022 auszurichten.
Dabei gäbe es gute Gründe, dem Emirat am Persischen Golf das Turnier zu entziehen. Der steinreiche Zwergstaat hat zum schönen Spiel wenig Bezug. Im Sommer, wenn der WM-Ball rollt, ist es in Doha 45 Grad warm – zu heiss, um draussen zu kicken, unerträglich für Fans auf der Tribüne. Mies bezahlte und entrechtete Migranten bauen Stadien und Hotels. Gegen 4000 Fremdarbeiter dürften an prekären Bedingungen sterben.
Zudem geht es um Bestechung.Der Öl- und Erdgas-Staat, so der schlimme Verdacht, soll vor der Vergabe die Stimmen einzelner Fifa-Delegierten gekauft haben. Ob das wahr ist, klärt der einstige US-Staatsanwalt Michael Garcia ab. Nach der WM in Brasilien soll er seinen Bericht vorlegen. Bereits reden Politiker und sogar Sponsoren darüber, Katar die WM zu entziehen.
Doch ist das überhaupt möglich?
Und welche Folgen hätte es?
Bisher galt: Wer den Zuschlag erhält, führt die WM durch. Einzig Mexiko sprang 1986 kurzfristig ein, weil das vom Bürgerkrieg geschundene Kolumbien vom Worldcup überfordert gewesen wäre.
WM-Entzug möglich
Die WM gehört der Fifa. Sie kann sie dem Gastgeber also wegnehmen. Das sieht der Vertrag vor, den die Fifa mit der Qatar Football Association (QFA) abgeschlossen hat, weiss ein Zürcher Sportjurist. «Eine Organisation ohne solche Klausel im Vertrag macht einen schlechten Job», ergänzt der Zuger Regierungsrat Heinz Tännler, von 2004 bis 2007 Direktor der Fifa-Rechtsabteilung. Um das Weltturnier neu zu vergeben, bräuchte es aber «triftige Gründe», sagt der Zürcher Anwalt.
Triftige Gründe? Das wäre Korruption. «Kann Bestechung durch das Organisationskomitee bewiesen werden, könnte die Fifa den Vertrag auflösen», sagt ein Schweizer Rechtsprofessor. «Der Betrug müsste klar der QFA zugeordnet werden können», dem Fussballverband Katars. Liegt widerrechtliches Verhalten durch Dritte vor, fehlten die besagten triftigen Gründe. «Die Fifa könnte die WM dann einfach entziehen, wenn der QFA bestochen hat.»
Zieht die Fifa die WM aus der Wüste ab, dürften die Scheichs klagen – beim Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne. Dort klärt die Fifa jeweils ihre juristischen Streitigkeiten.
Hätte diese Klage eine Chance? «Wenn die Fifa beweisen kann, dass Katar die Stimmen einzelner Mitglieder ihres Exekutivkomitees gekauft hat, wäre eine Klage chancenlos», so der Zürcher Sportjurist.
Die Fifa würde dann ein Disziplinarverfahren gegen ihre korrumpierten Mitglieder eröffnen – und sie wohl lebenslänglich sperren.
Belegen Anwälte die Unschuld des Emirats, müsste die Fifa bei einem Entzug für den Schaden aufkommen. Dieser bemisst sich aus bereits getätigten und vertraglich zugesicherten Ausgaben. Was beträchtlich wäre. So sollen bis 2022 in Katar Bauten für 225 Milliarden Franken entstehen: Stadien, Schienen, Strassen, Shopping-Malls und Wolkenkratzer. Ein kluger Anwalt kann noch Genugtuung geltend machen für Imageverlust sowie womöglich entgangene volkswirtschaftliche Gewinne.
Hunderte Milliarden Dollar dürfte das kosten. Die Fifa ginge wohl bankrott. Der beklagte Schweizer Verein haftet mit dem Vereinsvermögen. Ende 2013 betrugen die ausgewiesenen Reserven der Fifa 1,432 Milliarden Dollar.
Bestechung ist ein Verbrechen. Müsste die Zürcher Staatsanwaltschaft jetzt aktiv werden? Nein, sagt der Sportjurist. Falls Fifa-Stimmen gekauft worden seien, handelte es sich juristisch um «passive Bestechung privater Amtsträger» – nach Schweizer Recht ein Antragsdelikt, kein Offizialdelikt. Der Staatsanwalt schaltet sich erst ein, wenn jemand Anzeige erstattet hat. Derzeit ist eine Gesetzesänderung hängig, die diese Form der Korruption als Offizialdelikt betrachten würde.
Teure Winter-WM
Zieht die Fifa die WM aus Arabien ab, wäre das billiger als eine Winter-WM im Wüstensand auszurichten. Denn: «Die meisten Verträge erlauben keine zeitliche Verlegung», sagt Regierungsrat Tännler. «Eine Winter-WM wäre ein grober Vertragsbruch.» Klagen dürften Sponsoren, etwa Coca-Cola und die Brauerei Anheuser-Busch. Sie verkaufen weniger Getränke, wenn es frostig ist, die Fans Tee statt Bier trinken. Die Fifa müsste Sponsoren Rabatte gewähren.
Und den TV-Stationen, welche die Spiele übertragen. Sie haben die Rechte für ein Sommer-Ereignis erworben. Da die Fifa bei einer WM im Januar den Vertrag bräche, müsste sie die Preise senken – und allenfalls Schadenersatz zahlen.
Klagen könnten bei einer Winter-WM nationale Fussball-Ligen, da sie ihre Spielpläne umstellen müssten. Insbesondere für die englische Premier League ist der Winter lukrativ. Zwängt die Fifa ihr Turnier etwa zwischen Spengler-Cup und Lauberhorn, dürften zahlreiche Sportverbände prozessieren. «Eine Verschiebung wäre wohl ein Minenfeld», sagt Tännler.
Fazit: Liegt Bestechung vor, kann Fifa-Präsident Sepp Blatter (78) Katar die WM getrost entziehen – was billiger wäre als das Turnier im Winter abzuhalten. Bereits geht der Präsident auf Distanz zum Emirat. Er, Blatter, habe nicht für Katar gestimmt. Vor allem Deutschland und Frankreich seien schuld, dass der Ball in der Wüste rollen soll.