Europa rückt nach rechts

Die Europawahl interessiert vor allem die Gegner der EU. Sie dürften einen historischen Sieg einfahren.

Von Peter Hossli

farage_euroHeute wählt Europa. Rund 412 Millionen Menschen aus 28 Ländern bestellen die 751 Mitglieder des Europaparlaments. Nach Indien ist es die zweitgrösste Wahl der Welt.

Bei fast allen EU-Entscheiden bestimmt das Parlament mit: bei Freihandelsabkommen oder der Schaffung der Bankenunion. Die EU-Kommission, die Exekutive der EU, wählen die Regierungen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten.

Prognosen zufolge entsenden die Bürger vieler Länder mehr EU-kritische Politiker nach Strassburg als je zuvor. Unmut regt sich gegen die wachsende europäische Integration, die hohe Arbeitslosigkeit und die fehlende Demokratie. Erwartet wird eine geringe Wahlbeteiligung, was die Rechten stärkt.

Mehr als 20 Prozent, rund 150 Sitze, könnten euroskeptische Politiker erhalten, so die Prognosen. Bis zu 55 Prozent der französischen Studenten wollen den Front National von Marine Le Pen (45) wählen. Die UKIP von Nigel Farage (50, Bild oben) dürfte stärkste britische Partei im Europaparlament werden. Sein Programm: «Für die EU bin ich ein Albtraum, eine Plage von biblischem Ausmass», sagte er 2013 zu SonntagsBlick. Er möchte Grossbritan­nien als erste Nation aus der EU führen. «Gehen die Briten, geht ganz Skandinavien. Dann zerfällt die EU. Was extrem aufregend ist.»

Ein Erstarken der EU-Gegner hätte Folgen. So befürchtet UBS-Präsident Axel Weber (57) eine «europäische Tea Party», eine Protestbewegung gegen Brüssel, die sich an die Tea Party in den USA anlehnt. Euroskeptiker könnten die ökonomische Erholung Europas drosseln. «Sie machen die Prozesse in der EU komplizierter, was das Regieren auf dem ganzen Kontinent erschwert.»

Schweizer EU-Gegner hoffen, ein gelähmtes Europa werde bei Verhandlungen mit Bern zahmer vorgehen. EU-Befürworter hingegen sagen, eine innerlich geschwächte EU müsse gegen aussen – etwa gegenüber der Schweiz – Stärke beweisen. «Die EU-Wahlen haben kaum direkte Folgen für die Schweiz», beruhigt Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann von der Universität Zürich. «Wichtig ist, welche Auswirkungen die Wahlen auf die Innenpolitik der einzelnen Länder haben.»

Sollten Frankreichs und Britanniens Rechte wirklich triumphieren, müssten die alten Parteien ihr Verhältnis zu Europa überdenken. Straumann: «Bis dies aber Wirkung zeigt, dauert es Jahre.»

Das Parlament der Vielflieger
Das jährliche Budget des Europaparlaments beträgt 1,75 Mil­liarden Euro – mehr als das britische, deutsche und französische Parlament zusammen kosten. Jedes Geschäft muss in 24 Sprachen übersetzt werden. Das Parlament hat drei Standorte: Es tagt in Strassburg, Sitzungen der Kommissionen finden in Brüssel statt, in Luxemburg hat es Personalbüros. Die nötige Reiserei stösst jährlich 19000 Tonnen CO2 in die Luft.