«Väter ergriffen die Flucht»

«Lüthi & Blanc»-Schauspielerin Esther Gemsch über die Beziehung zu ihren drei erwachsenen Töchtern.

Interview: Peter Hossli

gemschWie gerne sind Sie Mutter?
Esther Gemsch: Leidenschaftlich gern. Ich habe immer gewusst, dass ich Mutter sein will – und zwar von vielen Kindern.

Sie haben drei Töchter. Sind das nicht viele Kinder?
Nein – weder für mich noch für meine Kinder. Wenn ich sehe, wie gut sie es zusammen haben, würden schon noch zwei oder drei mehr dazu passen.

Warum haben es Ihre Kinder gut?
Sie lassen einander Raum, stützen und fördern sich gegenseitig.

Es sind drei Mädchen. Wie sehr fehlt Ihnen ein Sohn?
Gar nicht. Ich habe mich immer davor gefürchtet, einen Sohn zu bekommen. Einen Knaben zu erziehen, hätte mein Können als Mutter überfordert.

Warum?
Ich wuchs in einem Matriarchat auf, hatte eine Übermutter und eine Übergrossmutter. Weder der Vater noch der Grossvater spielten eine Rolle. Für mich sind Männer ein Buch mit sieben sehr grossen Siegeln.

Ihre eigene Familie ist ebenfalls sehr weiblich?
Ich bin zweimal geschieden. Vermutlich, weil mich das Mutterwerden verändert hat – und weil die Männer mit dieser Veränderung nicht umgehen konnten.

Eine enge Mutter-Tochter-Beziehung überfordert Väter?
Eine Frau verändert sich nach der Geburt eines Kindes. Oft  ist das für Männer tatsächlich eine massive Überforderung. Vielleicht habe ich durch meine neu gewonnene Kraft und Stärke die Väter meiner Töchter in die Flucht geschlagen.

Warum ist die Beziehung Mutter-Tochter so kompliziert?
Meine Beziehungen zu Männern sind viel schwieriger als zu meinen Töchtern. Sprache meiner Töchter verstehe ich. Da gibt es eine Form von Verbundenheit, die ich mit niemandem sonst haben kann.

Und das ist unproblematisch?
Natürlich projiziere ich unerfüllte eigene Wünsche in meine Töchter.

Welche Wünsche denn?
Bildung. Bildung. Bildung. Ich habe keine Matura, was ich noch heute bereue. Deshalb habe ich darauf geschaut, dass jede meiner Tochter die Matura macht. Auch mit Druck.

Wie reagieren die Töchter?
Mit Gegendruck. Dann reden wir.

Wie eng ist die Beziehung zu Ihren Töchtern?
Sehr eng!

Zu eng?
Es gab bei jeder Tochter Phasen, in denen die Bindung zu eng war. Da musste ich mir sagen: jetzt ist fertig, jetzt muss ich loslassen.

Wie lösten Sie sich?
Anna sagte mit 16 von selbst, sie sei jetzt weg und nahm sich eine eigene Wohnung. Nora machte es in homöopathischen Dosen. Sie sagte heute «tschüss» – und stand am nächsten Tag wieder mit offenen Armen da. Die Jüngste wollte sich lange nicht lösen. Sie musste ich regelrecht wegstossen. Bis der Tag kam, an dem sie als anhängliches Mädchen zu Bett ging und als emanzipierte Frau aufwachte.

Wie haben Sie die Pubertät der Töchter erlebt?
Mit allen Mädchen habe ich die erste Menstruation gefeiert. Zwei fanden es cool, eine sagte, das muss nun wirklich nicht sein.

Was passierte mit Ihnen, als die Töchter sexuell erwachten?
Wenn man wie ich eine erfüllte Sexualität erlebt, ist das sicher leichter. Wäre ich selbst sexuell nicht erfüllt, wären meine Töchter vielleicht zu Rivalinnen geworden. Das war bei uns überhaupt nicht der Fall. Ich bin heute 58, ihnen gehört die Jugend.

Es gibt keine Konkurrenz?
Da mache ich ja nur zweite! Meine Töchter sind schöner und gescheiter als ich – halt einfach jünger. Wer das nicht akzeptieren kann, braucht keine Kinder zu haben.

Was sind Ihre Töchter für Sie?
Sicher nicht Freundinnen. Freunde kann man auswechseln. Töchter nicht.

Wie unterscheiden sich die Beziehungen zu Ihren Männern von jenen zu Ihren Töchtern?
Männer kommen und gehen. Kinder bleiben. Meine Töchter bleiben. Es gibt die Blutsbande. Diese geht vom Nabel aus, und zwar von der Mutter auf das Kind, nicht vom Vater.

Wie sehen Sie sich heute?
Als überglückliche Mutter von drei Töchtern. Dafür bin ich unglaublich dankbar und stolz.

Lesen Sie Mutter-Tochter-Beziehung – Zwischen Liebe und Zorn