Von Peter Hossli (Text) und Daniel Rihs (Fotos)
Nous parlons français ou allemand? Deutsch oder Französisch? Oder doch lieber Englisch?
So starten viele Gespräche zwischen Welschen und Deutschschweizern. «Fangen wir mit Deutsch an», sagt der Genfer Staatsrat Pierre Maudet. Er sitzt in einem neonbeleuchteten Saal in Bern. «Komme ich nicht weiter, wechsle ich, d’accord?» Einverstanden. Wie der junge Kennedy sieht Maudet (35) aus – und gilt als welscher Politiker mit der grössten Wut.
«Schwer enttäuscht» ist der Wirtschaftsminister des Kantons Genf über die Annahme der SVP-Initiative. «Sie zwängt unsere Wirtschaft in ein enges Korsett.» Das entspreche nicht der Welt, die sich rege austausche. «Wir dürfen nicht wie Albanien der Sechzigerjahre sein. Die Schweiz ist nicht autark.»
Weil sein Kanton eine regelrechte Boomphase erlebe, weibelte er vor der Abstimmung gegen die Initiative. Von 80000 auf 100000 Franken sei die wirtschaftliche Leistung jedes Genfers in den letzten zwölf Jahren gestiegen. «So stark wie nirgends sonst in der Schweiz», sagt Maudet. Ein wichtiger Grund: «Die Personenfreizügigkeit.» Genfer wüssten das. Trotz hohem Ausländeranteil legten 61 Prozent ein Nein in die Urne.
Maudet wechselt ins Französische. «Die Region um den Genfersee hat am meisten Arbeitsplätze geschaffen. Und jetzt wirft die SVP der Romandie Sand ins Getriebe. Wir haben enorm viel beigetragen zum wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz – jetzt bremst man uns.»
Über einen Röstigraben will er nicht klagen, auch nicht über das Verhältnis zwischen Stadt und Land. «Wir haben einen Finanzausgleichs-Graben», sagt Maudet. Tatsächlich haben die grossen Nettozahler-Kantone beim Finanzausgleich – Basel Stadt, Genf, Zürich, Waadt – Nein gestimmt, viele Empfänger aber Ja. Genf zahle 258 Millionen Franken in den Finanzausgleich, sagt Maudet. «Jetzt nehmen uns ausgerechnet jene Kantone die Möglichkeit, Geld zu verdienen, denen wir es grosszügig geben.» Und: «Wir müssen den Urnern und Bernern deutlich sagen, dass wir das Geld erwirtschaften, das sie erhalten», sagt Maudet.
Klar, es sei möglich, dass künftig weniger Geld fliesse. «Der Bundesrat muss für uns gute Bedingungen schaffen, sonst droht die interkantonale Solidarität zu verschwinden.»
Verbündete sucht Maudet auf der anderen Seite der Saane. «Wir schmieden Allianzen mit Zürich, Zug und Basel Stadt.»
Vereint mit den drei Deutschschweizer Nein-Kantonen will er sich dafür einsetzen, dass alle Nein-Sager-Kantone bei den Kontingenten bevorteilt werden. «Wir brauchen ausländische Arbeitskräfte. Jene, die sie nicht wollen, müssen sie uns überlassen.»
Hohe Kontingente können ein Zeichen sein gegen die «riesige Unsicherheit in der Romandie», sagt der FDP-Politiker. «Am Montag riefen mich bereits viele Unternehmer an. Sie konnten es nicht fassen. Am Dienstag hatten sie den Koller, am Mittwoch forderten sie möglichst hohe Kontingente von mir.»
Zumal die Romandie die Zuwanderer benötige. Im Genfer Unispital seien 52 Prozent der Angestellten Zuwanderer. Die Hälfte der Schreiner in Genf käme aus Frankreich. «Schreinereien fragen sich nun, wie sie künftig ihre Handwerker kriegen.» Zudem beherbergen Waadt und Genf etliche internationale Organisationen. «Das Weltwirtschaftsforum ist in Genf, die Uefa in Nyon.Beide haben eine internationale Belegschaft. Sie überlegen, ob sie in der Schweiz bleiben können.» Tatsächlich ist man bei WEF und Uefa nervös. «Wir warten ab, wie sich das entwickelt», lassen sie ausrichten.
Ein Bekenntnis zur Romandie ist das nicht. «Organisationen wie das WEF brauchen ein dynamisches Umfeld», sagt Maudet. Personen aus 60 Ländern arbeiten für die Denkfabrik. Einige bleiben kurz, andere länger, was den Arbeitsmarkt belebt. Das zeigt auch der Blick auf die Statistik: 2013 wanderten 27000 Personen nach Genf ein und 23000 Personen wieder aus. «Das Ja nimmt dieser Dynamik den Schwung», sagt der Vater von drei Kindern.
Umso mehr ärgere es ihn, wie alt Bundesrat Christoph Blocher (73) gegen die Romandie giftelt, den Romands mangelnden Patriotismus unterstellt. «Die Welschen hatten immer ein schwächeres Bewusstsein für die Schweiz», sagte der Zürcher in einem Interview. «Das ist ein Skandal», sagt Maudet auf Französisch. «Blocher und seine Truppe spalten die Schweiz und sie schüren bei den Firmen vor allem grosse Unsicherheit.»
Als «Vorzeige-Patrioten» beschreibt er die Welschen. «Wir stärken die Schweiz, schaffen so viele Arbeitsplätze wie keine andere Region.» Zudem widerlegten die Geschichtsbücher den Volkstribun. Das Rote Kreuz sei in Genf daheim, ein Genfer Ingenieur hätte den Gotthardtunnel erstellt, ein Genfer General den Sonderbundskrieg gewonnen. «Ist Patriotismus definiert als Hass gegen Nachbarn, will ich damit nichts zu tun haben.»
Maudet setzt auf Nachbarn. So bekämpfen Genfer und französische Polizisten zusammen grenzüberschreitend die Kriminalität. Viel zu spät hätte die Politik auf die Stimmung in der Bevölkerung reagiert, übt Maudet Selbstkritik, seine Partei eingeschlossen. «Die Schweiz darf nicht wirtschaftsfeindlich werden», mahnt er. Möglichst rasch müsse die Unternehmenssteuerreform verabschiedet werden. «Wir dürfen jetzt ruhig ein bisschen pessimistisch sein, denn dies entspricht der Realität. Unsere Wünsche aber sind von Optimismus getrieben», sagt er. Maudet ist sich sicher: «Die Schweiz geht weiterhin ihren Weg, obwohl Christoph Blocher uns jetzt schwere Hindernisse hingelegt hat.»