Interview: Peter Hossli Fotos: Peter Mosimann
Sirenen heulen. Feuerwehrmänner eilen in den stattlichen Berner Bau. Hier hat das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) seine Büro. Die Mitarbeiter verlassen das Gebäude. WBF-Chef Johann Schneider-Ammann (61) wird in Sicherheit gebracht. Nach einer halben Stunde die Entwarnung: Fehlalarm. Alle können zurück ins Gebäude. Im fünften Stock empfängt der Bundesrat SonntagsBlick. Er ist angespannt, hustet, schaut in die Weite.
Herr Bundesrat, wie gut schlafen Sie?
Johann Schneider-Ammann: Fast normal. Ich gebe aber gerne zu: Ich habe schon besser geschlafen.
Seit zehn Tagen stehen Sie in der Kritik. Setzt Ihnen das zu?
Ich würde lügen, wenn ich sagte, das gehe spurlos an mir vorbei. Aber ich weiss mit Gegenwind umzugehen. Für mich ist das eine Herausforderung, der ich mich stelle.
Als Chef der Ammann Group haben Sie auf der Kanalinsel Jersey steuergünstig Firmengelder angelegt. Warum?
Es gehört zu den Zielen der Firma, für Beschäftigung zu sorgen. Sie verdiente Geld, versteuerte Geld und sie parkierte Geld als Reserve an einem steuergünstigen Ort.
Wozu dienten die Millionen?
Wir haben die Entwicklung der Firma finanziert – und in Langenthal rund 1300 Arbeitsplätze sichergestellt.
Im Interesse der Steuerbehörden lag das nicht!
Was wir taten, geschah völlig transparent gegenüber den Steuerbehörden und innerhalb des gesetzlichen Rahmens. Das haben die Berner Behörden bestätigt.
Nötig war der Steuertrick nicht.
Aus unternehmerischer Sicht ist es notwendig, nicht nur bei Produktion und Spesen zu optimieren, sondern zusätzlich bei den Steuern. Je grösser die Reserven sind, desto sicherer geht eine Firma durch konjunkturelle Talsohlen.
Wie haben Sie davon profitiert?
Die Familie Ammann nahm aus den Reserven nie einen Franken privat. Mit dem Geld haben wir einzig die industrielle Tätigkeit gesichert. Moralisch ist das etwas Gutes!
Wie hoch waren die Erträge?
Auswendig weiss ich das nicht.
Versuchen wir es anders: Wie viele Steuern sind dem Kanton Bern und dem Bund entgangen?
Keine. Das Haus Ammann hat bezahlt, was der Staat verlangte. Dazu ein Bild: Wir fuhren innerorts 50, weil wir 50 fahren durften. Die legal gesparten Steuern kamen der Gruppe weltweit zugute. Das Geld sicherte Stellen in Langenthal.
Indem Sie Geld auf der Kanalinsel bunkerten, handelten Sie Schweizer Interessen zuwider.
Das ist falsch. Es ging um eine Steueroptimierung im Wissen der Steuerbehörde. Auf diese Optimierung sind Firmen angewiesen, die im internationalen Wettbewerb stehen.
Das heisst, Ihnen waren die Steuern in der Schweiz zu hoch?
In der Schweiz sind die Steuern hoch. In der bevorstehenden Unternehmenssteuerreform 3 wird es darum gehen, unseren Steuerstandort attraktiv zu halten, damit die Firmen hier bleiben.
Als Sie Ihr Konstrukt aufstellten, war die Schweiz nicht attraktiv?
Die Ammann Group verdiente schon damals mehrheitlich international. Die Steueroptimierung in Jersey war attraktiver als in der Schweiz. Deshalb gingen wir dorthin, im Wissen der Behörden.
Dann ist es besser, das Geld in der Firma zu lassen als es dem Staat zu geben?
Für einen Unternehmer ist klar: Mittel in der Firma sind Reserven für strategische Entwicklungen. Ein Unternehmer gibt dem Staat so viel, wie er verlangt. Er ist froh, wenn es möglichst wenig ist, dass das Geld in der Firma bleibt.
Die Chancen zu bestehen sind dann grösser, die Arbeitsplätze sicherer.
Heute arbeiten Sie für den Staat. Ändert das Ihre Sichtweise?
Nein, wir müssen attraktive Steuern für Firmen haben, damit sie bleiben – oder hierherkommen.
Die Schweiz bietet doch hervorragende Bedingungen!
Der Steuerwettbewerb ist gewaltig. Es tobt ein Kampf um die Standorte. Da muss sich die Schweiz bewähren.
Wie lösen Sie den Konflikt zwischen Gewinnmaximierung und Loyalität zum Staat?
Es ging nie um Gewinnmaximierung. Unternehmertum und Loyalität zum Staat sind kein Widerspruch. Der Staat sagt, was er haben muss, um seine Aufgaben zu erfüllen. Unternehmer und Private liefern ab, was das Gesetz verlangt.
Sie haben Schlupflöcher gesucht, um weniger abzuliefern.
Nein, wir haben eine vom Staat erlaubte Möglichkeit genutzt.
Welche anderen Schweizer Konzerne machen das Gleiche?
Es gibt viele Firmen, die ähnliche Optimierungsinstrumente nutzen. Die halbstaatliche Swisscom hat bis 2010 Swisscom Financial Limited in Jersey geführt. Auch um Steuern zu optimieren, auch legal, auch im Wissen der schweizerischen Behörden. Das war gängige Praxis.
Langenthal ist kein optimaler Standort für Industrie. Warum bleibt Ammann trotzdem?
So schlecht ist Langenthal nicht! Über Jahrzehnte hat Ammann dort qualifiziertes Personal aufgebaut. Es gibt diese Kultur, von Langenthal aus im Weltmarkt zu bestehen. Wir haben bewiesen, das zu können.
Es wäre günstiger, im Ausland zu produzieren.
Die Schweiz muss industriell tätig bleiben. Nur so bleibt die Arbeitslosigkeit tief. Es gibt etliche Länder, die ihre Industrie aufgegeben haben. Heute haben sie Arbeitslose. Ammann sorgt dafür, dass dies im Oberaargau nicht passiert.
Wie gelingt das?
Darbte die Wirtschaft, bauten wir nicht ab, sondern suchten neue Märkte. So gingen wir in den Krisenjahren nach China und in andere Länder in Fernost – und konnten die Leute behalten.
Was bewog Sie 2009, das Geld aus Jersey zurückzuholen?
Es war nicht mehr attraktiv, es gab Schweizer Alternativen. Die Steuerbehörde erlaubte uns, in der Schweiz Reserven aufzubauen. Zudem war mir klar: Die Akzeptanz für diese Gesellschaften nahm ab.
Sie holten das Geld 2009 in die Schweiz, ein Jahr vor den Bundesratswahlen. Aus politischem Kalkül?
Das ist, auf Berndeutsch, «dumme Chabis». Bis August 2010 war ich Unternehmer. Dann fragte mich der Parteipräsident der FDP, ob ich als Kandidat zur Verfügung stehe. Ich willigte ein, weil ich Politik und Wirtschaft zusammenführen will.
Wann genau fiel der Entscheid, das Geld abzuziehen?
Zirka 2007. 2009 war er umgesetzt.
Trieb Sie das schlechte Gewissen?
Nein, Herr Hossli! Nie hat mich schlechtes Gewissen geplagt. Umso mehr bin ich jetzt betupft, dass man versucht, mir mit allen Mitteln ein schlechtes Gewissen anzuhängen.
Für viele schummelten Sie.
Die Ammanns haben jederzeit in voller Transparenz den Steuerbehörden gesagt, was sie machen. Nichts war gesetzeswidrig. Sie haben Reserven aufgebaut für industrielle Tätigkeit in schweren Zeiten. Sie haben privat nichts rausgenommen. Und sie haben das Geld freiwillig zurückgeholt. Für all das werde ich ungern abgestraft.
Gesetze haben Sie nicht gebrochen. Haben Sie moralisch korrekt gehandelt?
Sogar moralisch scheint mir das korrekt zu sein. Wir haben zum Unternehmen geschaut, Gesetze eingehalten, die verlangten Steuern abgeliefert. Wer auf der anderen Seite der Grenze billiger einkauft, ist auch nicht unmoralisch. Hätten wir Mittel verprasst, liesse ich den moralischen Vorwurf gelten.
Sie selbst kritisierten 2009, unversteuerte Milliarden im Ausland zu bunkern. Sie verlangen eines, machen das andere.
Ich habe die exzessive Selbstbedienung angemahnt und gesagt: Steuerhinterziehung gibt es nicht. Steuerbetrug ist inakzeptabel. Ich habe mich nicht bereichert. Legal optimieren ist nichts Unmoralisches.
Am letzten WEF predigten Sie Bescheidenheit und warfen der Wirtschaft Profittreiben vor. Was trieb Sie an – ausser Profit?
Es war nie Profit! Das erstaunt offensichtlich. Ich wollte immer eine Firma erfolgreich und wettbewerbsfähig machen. Und ja, ich wollte helfen, Familien zu ernähren. Das tönt jetzt pathetisch, und wahrscheinlich glaubt man mir das nicht. Es ist aber die Wahrheit.
Der Fall untergräbt Ihre Glaubwürdigkeit als Staatsdiener. Woher stammt das geheime Papier, das die «Rundschau» hatte?
Darüber spekuliere ich nicht.
Warum sind Sie im Visier?
Es ist keine Diskussion Ammann oder Schneider-Ammann …
… sondern…?
… es ist eine standortpolitische Auseinandersetzung, ein Kampf zwischen liberalen Kräften und Forderungen wie 1:12 und Mindestlöhne. Damit sollen die guten Schweizer Rahmenbedingungen angegriffen werden.
Warum sind Sie das Ziel?
Weil ich stets für ein liberales Umfeld eingestanden bin und es weiter tun werde. Deshalb will man meinen Ruf zerstören.
Das schadet Ihnen?
Es geht nicht um mich. Eine Attacke, selbst wenn sie wie jetzt politisch motiviert ist, darf den Rechtsstaat nicht in Unsicherheit stürzen.
Bleiben Sie Bundesrat?
Ich habe keine anderen Pläne.
Wie reagierten Sie auf die Korruption im Seco?
Entrüstet. Bei Korruption gilt Nulltoleranz. Wir haben sehr schnell gehandelt und eine administrative Untersuchung eingeleitet. Das Seco erstattete Strafanzeige. Zwar dürfen wir niemanden vorverurteilen, aber alle Missstände müssen offen dargelegt und rasch weggeräumt werden.
Wie kann sich ein Seco-Beamter ungehindert mit krummen Geschäften Vorteile verschaffen?
Antworten liefert die Untersuchung. Es bereitet Mühe, dass dies bei uns vorkommen soll. Korruption ist ein Krebsgeschwür.
Warum verging eine Woche bis zur Anzeige?
Man kann weder dem Seco noch dem WBF den Vorwurf machen, langsam reagiert zu haben.
Es dauerte eine ganze Woche!
Noch vor dem ersten Artikel habe ich eine Administrativuntersuchung angeordnet. Für diese ist ein Experte nötig. Es brauchte einige Tage, ihn zu finden. Das Seco erstattete unverzüglich Anzeige.
Lassen Sie jetzt alle IT-Aufträge in anderen Ämtern überprüfen?
Wir verfolgen zwei Pisten: einerseits Strafverfolgung, anderseits wollen wir mit der Administrativuntersuchung Erkenntnisse gewinnen, die über das Seco hinauswirken.
Soll der Gesamtbundesrat alle Stellen prüfen?
Ich will alle Erkenntnisse so aufarbeiten, damit sie dem WBF und allenfalls anderen Departementen dienen können.
Wie kann ein korruptionsfeindliches Klima einkehren?
Alles muss von oben nach unten absolut transparent und sauber sein. Kontrollen müssen greifen, die Gouvernanz stimmen. Nullrisiko gibt es leider nicht.
Wie wirkt sich die Ammann-Affäre auf Ihre beiden Kinder aus, die jetzt die Gruppe führen?
Für die Familie, insbesondere die Jungen, ist es eine Belastung. Sie gehen ihren Weg, kämpfen für den Erfolg der Firma. Der Vater ist stolz, eine junge Mannschaft zu haben, die für gleiche Werte und Ziele einsteht.
Wie reagiert Ihre Frau?
Meine Frau leidet mit und steht zu 100 Prozent hinter mir. Sie findet die Kampagne unschön und unfair.
Haben Sie Fehler gemacht?
Als Firmenchef habe ich Fehler gemacht, aber nicht im Zusammenhang mit den jetzigen Vorwürfen.
Was lernen Sie daraus?
Es war stets meine Devise, nicht angreifbar zu sein. Das bleibt so.
Seit der Fall publik ist, gingen Sie auf Tauchstation.
Das stimmt nicht, ich habe der «Rundschau» geantwortet und jetzt rede ich mit Ihnen! Der Berner Steuerbehörde wollte ich nicht vorgreifen. Zuerst musste sie ihre Analyse fertigstellen.
Sie sagt, alles sei rechtens gewesen. Ihre Reaktion?
Natürlich bin ich froh. Ich war aber sicher, dass es so sein wird.
Hat der Fall Sie verändert?
Nein. Die Öffentlichkeit kennt mich jetzt besser. Als jemanden, der für seine Überzeugungen kämpft. Der hinsteht und sich nicht demütigen lässt. Ich werde noch mehr tun, damit die Schweiz wettbewerbsfähig bleibt. Dazu gehört steuerliche Wettbewerbsfähigkeit. Letztlich gehts mir um Vollbeschäftigung. l