Das Glück liegt in den Genen

Ereignisse bestimmen die Gemütslage, dazu eigene Werte – und das Erbgut. Diese Formel des Glücks bringt hingegen keine Klarheit, ob mehr Geld uns wirklich zufriedener macht.

Von Peter Hossli

twinsSind Sie zufrieden? Oder sogar glücklich? Wenn ja, wissen Sie weshalb? Oder warum nicht?

Es sind Fragen, die in den Tagen zwischen den Jahren beschäftigen. Für Antworten knien wir in der Kirche auf hartes Holz, legen uns aufs weiche Sofa beim Psychologen, lesen in esoterischen Büchern.

Rotwein verhilft dem einen zum Glück, andere essen viel, einige betäuben sich mit Verbotenem. Der Anfang einer Ehe hebt die Gemütslage, ebenso die Geburt der Tochter, eine Reise ans Ende der Welt.

Für Amerikaner ist Streben nach Glückseligkeit sogar ein seit 1776 festgeschriebenes Recht und so etwas wie gesellschaftliche Pflicht.

Doch was genau macht das Glück aus? Warum ist sie ein Glückspilz? Er ein Pechvogel? Weshalb fühlen wir uns erst gut, dann schlecht?

Weltweit versuchen Soziologen und Ökonomen, Biologen und Neurologen dies zu erklären. «Das Glück ist ein Schmetterling», schrieb der oft zitierte indische Jesuit Anthony de Mello (1931–1987). «Jage ihm nach und er entweicht dir, setz dich hin, und er lässt sich auf deiner Schulter nieder.»

Nun halten Glücksforscher den Falter in der Hand. Sie wissen: Glück ist zu 48 Prozent durch das Erbgut bestimmt. Ob wir zufrieden oder griesgrämig durchs Leben ziehen, hängt weiter zu 40 Prozent von Ereignissen ab, sei es ein tragischer Unfall oder der Sieg der Schweizer Fussballer, ein sinnliches Konzert oder ein Feuerwerk am 1. August. Der Rest des Wohlseins – zwölf Prozent – machen Werte aus, die wir beeinflussen.

Die Glücksformel
Ob wir uns gut oder schlecht fühlen, bestimmen zwei Botenstoffe: Serotonin oder Dopamin. Bekannt ist, welches Gen für die Ausschüttung der «Glückshormone» im Hirn zuständig ist. Bei wem es besser funktioniert, hängt von den biologischen Eltern ab, zeigten Forscher der University of Minnesota. Sie studierten 75 eineiige Zwillingspaare, die zwischen 1935 und 1950 zur Welt kamen und getrennt aufwuchsen. Obwohl ihre Lebensumstände unterschiedlich waren, wiesen die Geschwister stets das gleiche Glücksniveau auf. Die Wissenschaftler folgerten: Knapp die Hälfte unseres emotionalen Wohlbefindens können wir nicht beeinflussen – es liegt in unseren Genen.

Wirkung auf die Gemütslage haben überdies Ereignisse, die uns widerfahren. Es sind kleine wie die ersten Schritte der Tochter. Grosse wie der Kauf eines Hauses, die Auswanderung nach Amerika.

Zuweilen jagen wir den Ereignissen hinterher, verlangen mehr Lohn, hoffen, im Lotto zu gewinnen. Dabei macht uns dies auf Dauer nicht glücklicher. Positive Ereignisse, haben Forscher herausgefunden, lassen Serotonin und Dopamin zwar fliessen. Der Strom aber versiegt rasch – wie ein Feuerwerk, das verglüht, sobald die letzte Rakete verpufft. Nur sechs Monate zusätzliche Zufriedenheit bringt die Lohnerhöhung.

Bekannt ist dies seit 1978. Damals zeigten Forscher, wie Querschnittgelähmte ein halbes Jahr nach dem Unfall wieder so glücklich waren, wie als sie noch gehen konnten. Das Glück von Lottomillionären sinkt nach dem Gewinn in sechs Monaten unter das Niveau vor dem Geldsegen.

Oft ist das Streben nach Ereignissen erfüllender als das Ereignis selbst. Die Jagd nach der Wildsau bringt mehr als das Filetieren der Beute. Die Suche nach dem richtigen Paar Schuhe ist glückseliger, als es dann zu tragen. Viele Politiker sind zufriedener im Wahlkampf als im Amt.

Bleiben zwölf Prozent für Werte. Dazu gehören Familie und Liebe, der Glaube, Freundschaften – und die Arbeit, der wir nachgehen. Zwar scheint dieser Anteil gering. Aber, sagt Ökonom Arthur Brooks (49), «es ist der Bereich, auf den wir wirklichen Einfluss haben».

Gene sind uns gegeben. Ereignisse passieren. Menschen aber, mit denen wir durchs Leben gehen, wählen wir selbst aus. Frei bestimmen wir den Glauben, legen fest, ob wir uns in der Gemeinde engagieren, uns für Eltern und Kinder Zeit nehmen. Versuchen, sinnvoller Arbeit nachzugehen, die gefällt und fordert. Nicht der Lohn bestimmt das Glück, sondern die Erfüllung.

Forscher untersuchten jeweils zwei Männer, die denselben Job hatten und gleich erfolgreich waren. Einer erhielt weit mehr Lohn als der andere. Das Resultat: Beide waren gleich glücklich. «Sie zogen das Glück aus der erledigten Arbeit, nicht aus dem Gehalt», sagt Brooks. Treffend fasste es einst US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882–1945) zusammen: «Das Glück liegt nicht im blossen Geldbesitz; es liegt im Stolz auf die erreichte Leistung und in der Freude an der schöpferischen Arbeit.»

Mehr Geld, mehr Glück?
Gleichwohl zanken sich Ökonomen seit Jahren, ob Geld uns doch glücklich macht. Seien die Grundbedürfnisse einmal gedeckt, schrieb 1974 Richard Easterlin, macht mehr Geld nicht glücklicher. Seither ist sein Easterlin-Paradox Grundlage ökonomischer Glücksforschung. Kommt ein Mensch in der Mittelklasse an, so Nobelpreisträger Daniel Kahneman, sei Glückgewinn durch Geld höchst gering. «Wer sein Einkommen verdoppelt, verdoppelt nicht das Glück», sagt Politologe Ronald Inglehart (79), der seit 35 Jahren Menschen weltweit nach ihrem Glück befragt. «Bill Gates hat zehntausendmal mehr Geld als ich, aber er ist höchstens zehn Prozent glücklicher.» Deshalb seien Gates und andere Reiche philanthropisch tätig, sagt Inglehart. «Sie sind reich, ihre Arbeit hat die Welt verändert, jetzt versuchen sie, in neuen Feldern etwas zu bewirken, was sie glücklich macht.»

Wo das Glück daheim ist
Letzten April zerpflückten Forscher der Brookings Institution das Easterlin-Paradox. Sie zeigten, dass mehr Geld zumindest die Reichen glücklicher macht als die Armen. Erhält jemand eine Lohnerhöhung von zehn Prozent auf einen guten Lohn, macht ihn das glücklicher als jemand, der zehn Prozent mehr auf einen tiefen Lohn erhält.

Der US-Psychologe Edward Diener untersuchte die Antworten zu Glück und Geld von 806526 Personen in 135 Ländern. Sein Schluss: Mehr Geld macht glücklicher, wenn Personen mit Geld ihre Ziele und Wünsche verwirklichen. Steigen Bedürfnisse schneller als das Einkommen, bringt mehr Geld wenig Glück. Das wusste schon der britische Philosoph Bertrand Russell (1872–1970): «Bettler beneiden nicht Mil­lionäre, sie beneiden Bettler, die erfolgreicher sind als sie.»

Zwar sind Menschen in reichen Ländern oft glücklicher als in armen, jedoch nicht immer. Lateinamerika ist ein Mysterium für den Werte- und Glücksforscher Inglehart. «Alle lateinamerikanischen und insbesondere die karibischen Länder sind glücklicher als es ihre Vermögen erahnen lassen.» Das Wetter sei sicher ein Faktor. Wer warm hat, klagt weniger. Wichtiger: «Die Menschen ­haben weit mehr Freunde und sie verbringen mehr Zeit mit ihnen.»

Neben Lateinamerika leben die glücklichsten Menschen in Skandinavien. Mit der geringen Korruption in Schweden und Norwegen erklärt Inglehart diesen Befund, und mit den funktionierenden Institutionen. Höher als irgendwo sonst sei in Skandinavien die Toleranz, ebenso die Verantwortung gegenüber anderen Menschen.

Zwar gibt es eine Beziehung zwischen Glück und Demokratie, sagt Inglehart. «Demokratie führt aber nicht automatisch zu Glück.» Der Umkehrschluss treffe viel eher zu. «Wer glücklich ist, wird offener für demokratische Werte.»

Restlos zufrieden aber, wunschlos glücklich, werden Menschen nie sein. Das verhindert die Evolution. Wir würden sonst stagnieren – und bald aussterben.