Koalitions-Kauderwelsch

Die Grosse Koalition will die Maut, den Mindestlohn und besseres Deutsch. Ihr Vertrag aber ist voller unverständlicher Stilblüten.

Von Peter Hossli

vertragEr soll das Leben der 80 Millionen Deutschen regeln – der Koali­tionsvertrag der künftigen Bundesregierung. Wochenlang feilten Experten. Am Mittwoch unterzeichneten ihn drei Parteichefs: Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD).

Doch haben sie ihn verstanden?

Versteht jemand Sätze wie diesen auf Seite 19? «Das Internet der Dinge hält Einzug in die Fabriken.»

Was ist damit gemeint? «Zudem wollen wir künftig eine Anlaufhemmung bei bestimmten Auslandssachverhalten hinsichtlich der Festsetzungsverjährung einführen, wenn diese nicht korrekt erklärt werden.»

Kluge Köpfe im Land von Goethe und Schiller dichteten so was: «Um kurzfristige Risiken für die Versorgungssicherheit zu vermeiden, werden wir darüber hinaus dafür sorgen, dass die Bundesnetzagentur im Rahmen der anstehenden Untersuchungen auf Grundlage der Reservekraftwerksverordnung die Errichtung neuer regional erforderlicher Kraftwerkskapazitäten zügig prüft und gegebenenfalls sicherstellt.»

Geht es noch schlimmer? Oh ja: «Wir werden die Entwicklung neuer Präventionskonzepte und betrieblicher Gestaltungslösungen bei psychischer Belastung in enger Zusammenarbeit mit den Trägern der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie vorantreiben, den Instrumenteneinsatz besser ausrichten, auf eine verbesserte Kontrolle des Arbeitsschutzes hinwirken und in bestehenden Arbeitsschutzverordnungen, die noch keine Klarstellung zum Schutz der psychischen Gesundheit enthalten, dieses Ziel aufnehmen.» Steht so wortwörtlich auf Seite 70.

m_schiffer_spreng02Nicht einmal ein kluger Polit-Berater weiss, was damit gemeint ist. «Die meisten Sätze verstehe ich nicht», sagt Michael Spreng (65).

Immerhin leitete er 2002 den Kanzler-Wahlkampf von Edmund Stoi­ber. «Das ist unverständliches Politik-Kauderwelsch, inhaltslose Nicht-Sprache.» Sprache, die einiges über die deutsche Politik erzählt: «Es ist offenbar zweitrangig, dass alle Bürger den Vertrag verstehen», erklärt der einstige Journalist Spreng. «Deutschen Politikern ist es viel wichtiger, Fachleute zufriedenzustellen als die Bevölkerung.»

Ein Beleg? Bitte: «Bei den derzeit laufenden Verhandlungen über die Durchsetzungsrichtlinie zur Entsenderichtlinie setzen wir uns für das in Deutschland geltende hohe Niveau mit klaren Haftungsregeln, umfassenden Informationsrechten der Behörden sowie effizienten Kontrollrechten der Mitgliedstaaten ein.»

Der Vertrag verlangt, dass «deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen» – und «die Qualität der pädagogischen Ausbildung» von Fahrlehrern ansteigt. Solche Phrasen stünden da drin, «da jedes Tierchen sein Pläsierchen braucht», sagt Spreng. «Deshalb ist der Vertrag so unerträglich lange und ein krasser Ausdruck deutscher Regelungswut.»

Gelesen werde der Vertrag nur im Streitfall. «Die Helmtragepflicht wird wohl eher vergessen.»

Bevor der Bundestag am 17. Dezember Angela Merkel zur Kanzlerin küren kann, befinden 475000 SPD-Mitglieder über das Regelwerk. «Sie achten auf zentrale Wahlversprechen», so Spreng. «Den Rest liest keiner.» Denn: «Es gibt in diesem Vertrag unzählige Punkte, über die man gar nicht abstimmen kann, die man streichen und an den Absender zurückreichen sollte.»

Spreng erwartet ein Ja der SPD-Basis. «Der Vertrag macht die Bundesrepublik ein Stück sozialdemokratischer. Die SPD hat sich in zentralen Fragen – Mindestlohn, Leiharbeit, Rente mit 63 – durchgesetzt.»

Zudem stimmten die Genossen gleichzeitig über den Vorstand ab. «Mit einem Nein entledigt sich die Partei der gesamten politischen Führung. Es gibt nicht so viele Fundamentalisten in der SPD, die alles gleich in die Luft sprengen wollen.»

Ach ja, etwas steht noch im Vertrag: «Wir werden das frühe Erlernen der deutschen Sprache gezielt weiter fördern.» Bitte, macht das.