Syrien fällt auseinander

Der amerikanische Kriegsheld Stanley McChrystal sprach in Zürich über den Nahen Osten. Der Ex-General zeichnet ein düsteres Bild.

Von Peter Hossli

Mit einem Witz brach der General das Eis. «Auch ich habe Probleme mit der US-Regierung wegen meiner Steuern», sagte Stanley McChrystal (58). Die Bank Notenstein hatte den Feldherrn a. D. am Freitag ins Zürcher Hotel Dolder geladen. Eine Bank, die nur wegen des Steuerstreits mit den USA entstanden ist. McChrystal sprach über den Nahen Osten und die islamische Welt von Nordafrika bis zum Hindukusch – eine Region, die er bestens kennt.

Von 2003 bis 2010 kommandierte er US-Soldaten im Irak und in Afghanistan. Er fasste den irakischen Diktator Saddam Hussein und den Terrorchef der Al Kaida in Irak.

Jetzt zeichnet McChrystal ein pessimistisches Bild, trotz des Arabischen Frühlings. «Die nächsten zehn bis 15 Jahre werden weit unruhiger sein als die letzten zehn.» Wobei ihm der Bürgerkrieg in Sy­rien derzeit am meisten Sorgen bereite. «Syrien dürfte in fünf bis sechs Fraktionen zerfledern, die alle gegeneinander im Krieg stehen.»

Heutige Grenzen würden sich auflösen – höchst unangenehm für Israel. «Israel wäre gefährdet, wenn Syrien und Libanon sich aufspalten, Jordanien zerfällt», sagt McCrystal. «Nicht mehr Staaten umzingeln dann Israel, sondern allesamt feindlich gesinnte Einheiten.»

Wann greifen die USA ein? «Amerika wartet ab», sagt McChrystal zu SonntagsBlick. «Amerikaner haben momentan wenig Appetit auf einen neuen Krieg im Nahen Osten», so der General, der zwei zähe Kriege in der islamischen Welt führte. «US-Bürger haben verstanden, warum wir in Afghanistan einmarschierten, sogar im Irak – aber ein Einmarsch in Syrien wäre kaum zu vermitteln.» Selbst, um das Morden zu stoppen. «Humanitäre Bedenken reichen vielen Amerikanern derzeit nicht als Kriegsgrund.» Sicher, so McChrystal, «der Einsatz chemischer Waffen durch syrische Truppen erhöht die Chancen eines US-Luftangriffs».

Ohnehin schwinde das Interesse Amerikas an der Region. «Die USA sind daran, unabhängig zu werden von Erdöl-Importen», sagt McChrystal. «Sobald wir kein ausländisches Öl mehr brauchen, schicken wir keine Soldaten mehr in fremde Länder, um für Energie zu kämpfen, die wir nicht brauchen.» Das Nachsehen hätten China und Europa – beide weiterhin abhängig von arabischem Öl.

Nicht nur Syrien gefährde die Region, betont McChrystal. Sondern die wirtschaftliche Lage – «und der persische Nationalismus». Iran strebe nach Hegemonie, am ehesten mit nuk­learen Waffen. «Hat Iran die Atombombe, wollen Länder wie Saudi-Arabien sie auch.»

Positiv beschreibt er Afghanistan, wo McChrystal zuletzt Soldaten befehligte. «Noch ist das Land nicht ganz sicher, aber die Fortschritte seit 2001 sind immens», sagt er. «Heute gehen neun Millionen Kinder zur Schule, die Hälfte davon sind Mädchen, damals waren es 400000 – fast nur Knaben.»

McChrystal absolvierte die knüppelharte US-Offiziersschule West Point, war 34 Jahre lang Berufssoldat – und stolperte über ein Interview.

Gegenüber dem US-Magazin «Rolling Stone» kritisierte er die zivile Aufsicht der US-Armee, insbesondere Vizepräsident Joe Biden. Noch bevor der Artikel erschien, zitierte ihn Präsident Barack Obama von Afghanistan ins Weisse Haus. Am Tag des Treffens, am 23. Juni 2010, trat McChrystal zurück. «Der Wechsel ins Zivilleben fiel mir leichter, als ich gedacht hatte», sagt er heute. «Ich bin gerne Zivilist.»

Er unterrichtet an der Yale University, betreibt eine eigene Beratungsfirma und lässt sich für Vorträge wie jenen in Zürich gut bezahlen – laut US-Medien jeweils 60000 Dollar plus Flug und Hotel für zwei.

Er sei vorsichtiger geworden, was er öffentlich sage. Im Dolder redet McChrystal offen. Das Gefangenenlager in der Guantanamo Bay auf Kuba habe «seinen Zweck erfüllt», sagt der General. «Wir müssen Guantánamo schliessen.»

Angesprochen auf die Lage auf der koreanischen Halbinsel, schloss er wie er begann –witzig. «Nordkorea ist weniger gefährlich als die Nordkoreaner hofften, sie wären es.»