Von Peter Hossli (Text) und Sabine Wunderlin (Fotos)
Freitagabend an der noblen Zürcher Bahnhofstrasse 3, im vierten Stock. Moderne Möbel und Kunst schmücken den hellen Raum der deutschen Anwaltskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Auf dem Tisch liegt Schokolade.
Just öffnet sich die Tür. Die Hand zum Gruss reicht ein ruhiger Mann, der jünger wirkt, als er ist. «Eigentlich habe ich keine Zeit für Sie, hier gehts richtig rund», sagt Dieter Bohnert (64), deutscher Steueranwalt und Spezialist für Selbstanzeigen. «Seit dem Fall Hoeness rennen mir die Leute die Bude ein.»
Uli Hoeness (61) zeigte sich im letzten Januar als Steuerhinterzieher an. Bekannt ist das seit einer Woche. Jahrelang verheimlichte der Präsident des FC Bayern München sein Konto bei der Schweizer Bank Vontobel. Nun läuft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren. Steuerfahnder durchsuchten sein Chalet in Bayern. Eine Verhaftung umging er mit einer Kaution von fünf Millionen Euro.
Mancher deutsche Steuersünder ahmt den umtriebigen Fussballmanager nach. «Wegen Hoeness verzeichnen wir eine spürbare Zunahme an Selbstanzeigen», so Bohnert. Fünf neue leitete er allein an diesem Freitag ein, vier sandte er ans Finanzamt. «Das grosse Thema» bei seinen neuen Klienten: der Bayern-Präsident!
Dann brummt das Geschäft also? «Als Geschäft möchte ich es nicht bezeichnen», sagt der clevere Schwabe. Es sei «eine Dienstleistung für Menschen, die ein Problem haben».
Das Problem: Schwarzgeld. Unversteuerte Vermögen und Einkünfte, die hinter dem eisernen Bankgeheimnis auf Schweizer Konten schlummern.
Und das Problem ist riesig. Rund 150000 Deutsche hätten geheime Konten in der Schweiz, sagt der ehemalige Steuerfahnder Bohnert, den die «Wirtschaftswoche» zu einem der besten Deutschen seiner Zunft kürte.
Millionäre und Mittelständler bunkern «fünfstellige Summen oder sogar mehrere Hundert Millionen Euro», sagt er. Wie viel es insgesamt ist, wisse niemand. Bohnert geht von einem «hohen zweistelligen Milliardenbetrag» aus, also von gegen 100 Milliarden Euro deutschem Schwarzgeld.
Seit 2008 ist seine Kanzlei in Zürich. Anfangs hatte sie wenig mit Steuern zu tun. Bis im Februar 2010 eine erste CD mit Kundendaten der Credit Suisse auftauchte. Fortan führte Bohnert täglich acht bis zehn Gespräche mit Steuersündern. «Sie liefen im Stundentakt in mein Büro, seither hat das nicht mehr aufgehört.»
Den Fall Hoeness nennt er «einen Fall wie viele andere». Allerdings: «Weil er prominent ist, hat er eine besondere Wirkung.» Mit Folgen für Bohnerts Alltag. «Jeder, der zu mir kommt, redet über Hoeness», sagt er. «Denn jeder will wissen, ob sein Haus nach der Selbstanzeige ebenfalls durchsucht werden könnte.»
War er denn überrascht, als Hoeness’ Fall publik wurde? «Ach wo!», winkt er ab. «Was glauben Sie denn, wer hier schon am Tisch sass, um mit mir eine Selbstanzeige vorzubereiten?» Namen nennt er nicht. «Es waren deutsche Beamte, Unternehmer, bekannte Künstler und Sportler, einige Prominente, kleine und grosse Handwerker», sagt Bohnert. «Es ist der Querschnitt aller Deutschen.»
Warum aber hinterziehen Prominente wie Hoeness Steuern? Sie verlieren nicht nur Geld, sondern ihr wichtigstes Gut – ihren tadellosen Ruf. «Manchmal frisst die Gier halt den Verstand», versucht Bohnert zu erklären. «Es menschelt auch bei Prominenten.»
Zu ihm kommen Stars und Sternchen, die unversteuertes Geld von den Eltern erbten. Solche, die glaubten, sie zahlten ohnehin genug Steuern – «und noch was zur Seite legen wollten». Oder die nach der Scheidung einen Teil der Abfindung in die Schweiz brachten. Für alle gelte: «Steuern zahlt niemand gerne, viele empfinden sie als ungerecht.» Ein Empfinden, das mit der Steuerlast jeweils zunehme.
Gerade weil der deutsche Staat derart rigoros zulange, umgingen viele den Fiskus. «Zudem hat Deutschland das ungerechteste Steuerrecht der Welt.» Verbreitet sei überdies das Gefühl, der Staat vergeude ihr Geld. «Ohne die Bürger zu fragen, entscheiden Politiker über den Bau eines Hallenbades oder einer Bibliothek.»
Anders in der Schweiz, wo Bohnert seit 2011 mit seiner Frau und zwei Kindern lebt. Im steuergünstigen Küsnacht ZH. «Schweizer kümmern sich um ihr Land und nehmen Einfluss», sagt er. «Deutsche hingegen stellen nur eine Frage: Was gibt mir der Staat?»
Der Jurist fing einst als Steuerfahnder an, ging nach fünf Jahren in die Privatwirtschaft. Weil er sich nicht als Beamter fühlte. Statt Leute zu jagen, hilft er ihnen heute. Etwa wenn «der Betrug zur seelischen Belastung wird, Angst jegliche Lebensqualität abwürgt und beim Klingeln der Gedanke sofort auf die Steuerfahnung fällt.»
Nur wenige seien «kaltblütige Hinterzieher, die glauben, es erwische sie nie», weiss Bohnert. «Für alle anderen ist Selbstanzeige ein Befreiungsschlag.» Seit 2010 wählten 47294 Deutsche diesen Weg, so die «Zeit». Das brachte den Finanzämtern rund 2,05 Milliarden Euro ein.
Oft verstärken äussere Umstände den inneren Druck. Das gescheiterte Steuerabkommen. Eine CD. Hoeness. Eine betrogene Ehefrau, die mit dem Finanzamt droht. Die nächste Wahl, nach welcher Selbstanzeigen teurer werden dürften.
Die Selbstanzeige beginnt mit einem Anruf bei Bohnert. Ohne dass dabei das pikante Wort falle. «Sie sind mir empfohlen worden», heisst es nur. Sofort weiss Bohnert, worum es geht. Schweizer Banken empfehlen ihn ihren Kunden.
Er vereinbart einen Termin, hört zu. «Es ist wie beim Arzt», sagt er. «Wir erstellen ein Krankheitsbild.» Wie viel Geld ist hinterzogen? Wie lange schon? Woher kam es? Warum? Mit welcher Bank? Er erhält die Vollmacht für alle Konten, besorgt Unterlagen, wertet diese aus, erarbeitet eine Selbstanzeige. Schickt sie ans Finanzamt.
Per Brief erfahren die Geständigen, dass ein Verfahren gegen sie eröffnet worden ist, «ein sehr unfreundliches Schreiben», so Bohnert. «Die Deutschen können halt nicht anders.» Geht alles gut, kommt nach ein paar Monaten eine Steuerrechnung. Ist sie bezahlt, sind die Sünder erlöst. Ausser gegenüber den Behörden bleibt die Anonymität per Gesetz gewahrt.
Als «sehr gut» beschreibt er die Zusammenarbeit mit Schweizer Banken. Wobei seine Kunden von den «üblichen Verdächtigen» kämen: von CS, UBS, Julius Bär und Vontobel.
Diese Banken seien alle sehr bemüht, Gelder zu legalisieren – um sie zu behalten. Was meist gelinge. «Viele Deutsche wollen ihr Geld in einem sicheren Land lassen, vor allem, seit der deutsche Staat per Knopfdruck jedes Konto in Deutschland einsehen kann.»
Dennoch sollten Schweizer Banken mit strafrechtlichen Folgen rechnen, sagt Bohnert. Im Dezember zahlte die CS 150 Millionen Euro wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Zuvor lieferte Julius Bär 50 Millionen ab. Bussen für UBS und Vontobel dürften folgen.
Bis auf weiteres zittern Schweizer Banker, welche Deutschen beim Betrug halfen. «Es ist möglich, dass einige an der Grenze abgefischt werden», sagt Bohnert. Daher hätten Banken in der Vergangenheit gezielt Reiseverbote nach Deutschland verhängt. Mittlerweile wurden diese aufgehoben. Eine Entwarnung sei es nicht: «Nach der Schlacht ist vor der Schlacht.»