Wenn einer die Nerven verliert, knallts!

Nordkoreas Diktator erklärt den seit 60 Jahren geltenden Waffenstillstand für nichtig – und droht mit einem Atomkrieg. Die Schweiz soll ihn verhindern.

Von Peter Hossli (Text) und Robert Huber (Fotos)

Die Kanonen sind geladen, Fäuste geballt, Bomber am Himmel, die Worte martialisch: «Jederzeit kann Krieg ausbrechen, da braucht es keinen militärischen Dialog mehr zwischen Nord und Süd.»

Kaum war dieser Satz gefallen, verstummten am Mittwoch vier Telefone an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea. Gekappt war die direkte Leitung, über die Generäle der verfeindeten Bruderstaaten im Ernstfall reden. «Fortan sprechen Waffen, nicht mehr Worte zu Amerika und ihrer südkoreanischen Puppe», verkündete Nordkorea. Seither lassen die USA mit Atombomben bestückte B2-Tarnkappenbomber über der koreanischen Halbinsel kreisen.

Eiszeit herrscht im letzten heissen Fleck des Kalten Kriegs. Die toten Telefone stehen in der entmilitarisierten Zone, einem vier Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze am 38. Breitengrad, geschaffen 1953 von der Uno. Wenn, dann bricht der Dritte Weltkrieg hier aus. Mittendrin harren fünf Schweizer Offiziere – und versuchen genau das zu verhindern.

Seit 60 Jahren beobachten Eidgenossen, wie sich die Supermächte China und Amerika hier in Schach halten. Einst dienten 141 Schweizer Soldaten an der Grenze. Heute kostet der Einsatz fünf verbliebener Offiziere den Bund jährlich eine Million Franken. Kost und Logis zahlen die USA und Südkorea im Rahmen eines Uno-Mandats.

So stumm wie jetzt war es in Korea letztmals im Frühjahr 2011, zum Auftakt grosser Manöver im Süden. Damals kommandierte Jean-Jacques Joss im Rang eines Zweisternegenerals die Schweizer. Hautnah erlebte er, wie lebenswichtig die vier Telefone sind.

Granaten schlugen im November 2010 unweit der Schweizer Baracken in Panmunjom ein. Diese liegen ein paar hundert Meter südlich der Grenze. Es waren südkoreanische Geschosse, versehentlich abgefeuert von nervösen Soldaten. Wären sie 200 Meter weiter geflogen, hätten sie nordkoreanischen Boden getroffen – und womöglich einen Gegenschlag ausgelöst.

Auf beiden Seiten lagen die Nerven blank. Just griffen die Generäle zum Telefon und klärten die Situation. Die Waffen blieben stumm.

Ohne Telefone ist da von den Politikern geht in Korea die grösste Gefahr aus», sagt er. «Man muss aufpassen, dass an der Front jetzt keiner die Nerven verliert.» Zumal beide Seiten scharfe Munition geladen haben. «Eine Eskalation der Situation ist jederzeit möglich.»

Joss, der seinen Posten 2012 abgab, beurteilt die Anspannung als «derzeit hoch». Zumal Nordkorea drei Atomtests hinter sich hat – und den USA einen atomaren Erstschlag auf «alle Feindstellungen auf dem amerikanischen Festland, auf Hawaii und Guam» androhte. Südkorea aber nehme nicht mehr alles hin. «Landen jetzt Granaten aus dem Norden im Süden, oder aus dem Süden im Norden», sagt Joss, «dann schlägt die Gegenpartei mit aller Kraft zurück.»

Total still sei es jedoch nicht, weiss der Ex-General. Beide Seiten besitzen Megafone. «Sie könnten sich damit im Notfall zurufen.»
Neu sei die momentane Situation für die Schweizer Soldaten in Korea nicht, sagt VBS-Sprecher Walter Frik. Er betont allerdings: «Die Kontakte für den Infoaustausch finden intensiver statt und die Wachsamkeit wurde erhöht.»

Die Schweiz könnte eine wichtige Rolle übernehmen, um die Lage zu entspannen, sagt Joss. «Die Schweiz spricht mit dem Norden wie mit dem Süden, auf beiden Seiten schätzt man unsere guten Dienste.» Mehrmals sei es in Genf zuTreffen der sich hassenden Staaten gekommen. Joss glaubt: «Die Schweiz wäre bereit, als Tagungsort zur Verfügung zu stehen – weg vom Brennpunkt, auf neutralem Territorium.»

Das EDA bestätigt. «Wir hatten vergangene Woche Kontakt mit den nordkoreanischen Behörden», sagt Sprecher Pierre-Alain Eltschinger. «Die Schweiz ist bereit, für Entspannung auf der koreanischen Halbinsel zu sorgen und Gespräche mit den interessierten Parteien aufzunehmen – wenn sie das wünschen.»

Derweil rasseln die Säbel. Am Freitag befahl Nordkoreas Diktator Kim Jong Un (30) den Generälen, alle US-Einrichtungen im Süden ins Visier zu nehmen. Gestern rief er den Kriegszustand aus. Obwohl sich die Länder seit 1950 im Krieg befinden. Wie mächtig Un ist, darüber rätseln Korea-Experten. 60- bis 80-jährige Generäle umgeben den Jungspund. «In Korea zählt das Alter viel», sagt Joss. «Fraglich, wie viel Einfluss ein Jüngling wie Un hat.»

Von aussen sei es schwierig zu sagen, «wer in Nordkorea wirklich die Macht hält», erklärt Katharina Zellweger (60). Sie lehrt an der Stanford University in Kalifornien und gilt als exzellente Kennerin des isolierten Landes. Zwischen 1995 und 2006 leitete sie das Nordkorea-Programm der Caritas, bis Herbst 2011 das Deza-Büro in der Hauptstadt Pjöngjang. «Die Herrscherfamilie Kim, die Partei und das Militär suchen ständig nach einem Konsens», sagt Zellweger. «Oft wechselt, welcher Flügel gerade stark ist.»

Fest steht: Un und seine Lakaien kümmert kaum, was die Aussenwelt über sie denkt. Mit bizarren Drohungen und vorlauter Propaganda isolieren sie ihr Land. «Es gibt nicht viele Staaten, die der Weltöffentlichkeit ihren Rhythmus so erfolgreich aufdrücken», schreibt treffend der «Spiegel».

Zumindest im Innern scheint sich einiges zu bewegen. Ein verändertes Land traf Zellweger bei ihrem letzten Besuch im Oktober an. «Die Menschen waren optimistischer, voller Energie», sagt sie – und erklärt es mit mehr wirtschaftlicher Freiheit. Weit über eine Million Mobiltelefone sind in Nordkorea bereits im Umlauf. «Jeder will ein Handy und wickelt damit kleine Geschäfte ab», sagt Zellweger. Die ägyptische Firma Orascom spannte ein modernes Netz übers Land. China liefert die Telefone.

Auf öffentlichen Plätzen sah Zellweger Rollschuhfahrer und junge Frauen in Schuhen mit hohen Absätzen, an den Ohren funkelten Ringe. Modisches Vorbild sei Ri Sol Ju, die Gattin von Diktator Kim Jong Un.

Überrascht hatten Zellweger die vielen Touristen, die sie in Pjöngjang antraf. Ein Hoffnungsschimmer. «Touristen öffnen das Land.» Das reiche aber kaum. Damit sich die Lage entspannt, müssten China und die USA ihr Kräftemessen im Schatten Koreas beenden.

Die USA sehen sich als Weltmacht auf allen Meeren, einschliesslich des westlichen Pazifiks. China sieht diese Region als seinen Einflussbereich. Für US-Autor Robert D. Kaplan ist der Zwist «wahrscheinlich der bestimmende militärische Konflikt des 21. Jahrhunderts: wenn nicht ein grosser Krieg mit China, dann eine Reihe von <Kalter-Krieg>-artiger Auseinandersetzungen, die sich über Jahre und Jahrzehnte hinziehen werden.»

So lange die Supermächte einander misstrauten, sei der Konflikt der beiden Koreas unlösbar, so Zellweger. China sehe in der Diktatur der Kims einen willkommenen Puffer zu Südkorea, den Alliierten der USA. Amerika könne unmöglich in Nordkorea einmarschieren. Das wäre ein Affront an China.

«Letztlich ist Korea ein Spielball zwischen China und Amerika», sagt Zellweger. «Auf Kosten der koreanischen Bevölkerung.»