Von Peter Hossli
Der Chef der liberalen Denkfabrik weiss, was zu einer Demokratie gehört. «Fragen Sie mich, was Sie wollen», grüsst Alois Zwinggi im Davoser Alpen-Hotel. Er ist Direktor des Weltwirtschaftsforums, das sich alljährlich im Landwassertal trifft. «Wir haben nichts zu verbergen.» Das Interview verläuft gut, ist ein anregendes und offenes Ping-Pong aus frechen Fragen und kurzen, klaren Antworten.
Bis die Pressesprecherin des Direktors einschreitet: «Wann schicken Sie uns den Text? Wir wollen das Gut zum Druck geben.»
Genau. Pressesprecher verlangen, Interviews abzusegnen bevor sie in den Druck gehen.
Häufig ist das Teil der Vereinbarung zwischen Interviewer und Interviewtem. Eine Art Vertrag, der meist noch weiter geht. So sichern sich hochbezahlte Pressesprecher das Recht, ganze gesagte Passagen zu streichen, sie umzuschreiben oder neue hinzuzufügen. Nur unter diesen Bedingungen gewähren sie Interviews mit ihren Chefs. Ihr Ziel: Die absolute Kontrolle über das, was publiziert wird.
Schreibt der Journalist ein Porträt mit Zitaten, genügt es oft nicht mehr, das Gesagte zur Autorisierung vorzulegen. Pressesprecher verlangen den ganzen Text, damit sie zusätzlich Einfluss auf den Kontext ausüben können.
Verträge sind natürlich zweiseitig. Will heissen: Journalisten lassen sich auf solche Bedingungen ein. Sie glauben, sonst keine Interviews zu erhalten. Der abtretende Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger verlangte im Oktober 2010, ein Abschiedsgespräch mit ihm müsse im vorderen Teil der Zeitung erscheinen, nicht im Magazin. Die Journalisten gehorchten – der Medienminister konnte also bestimmen, auf welcher Zeitungsseite das Interview erscheint. «Uns ist die Beziehung zum Pressesprecher wichtig», rechtfertigte sich einer der beteiligten Journalisten.
Für den Medienanwalt des Hauses Ringier, Matthias Schwaibold, hat sich die «Unkultur des Gegenlesens zur Hochkultur erhoben». Schuld seien nicht zuletzt die Journalistinnen und Journalisten. Zu oft überlassen sie Pressesprechern die Hoheit über ihre Texte. «Es schleicht sich ein Rechtsanspruch aufs Gegenlesen ein», sagt Schwaibold. Einen solchen aber gibt es juristisch nicht.
Das Interview mit WEF-Direktor Zwinggi war längst gelayoutet, die Schlagzeile gesetzt, als die revidierte Fassung zurückkommt. Prompt hat die Pressesprecherin die kernigste Aussage gestrichen: «Wir wollen keine Stars am WEF.»
Es folgte eine Verhandlung, der sich Journalisten selten stellen. «Herr Zwinggi war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er das wirklich in der Zeitung lesen möchte», erklärte die Pressesprecherin die Streichung. Er sagte es so, erwidere ich. «Ja, das stimmt», sagt sie. Wir drucken, was er gesagt hat. Die Pressesprecherin schluckt leer. «Ich melde mich.» Fünf Minuten später ruft sie zurück, lässt das Zitat stehen. Offenbar besann sich Zwinggi auf sein Grusswort – «Sie können fragen, was Sie wollen» – und setzte sich über die Pressesprecherin hinweg.
An einem Morgen am WEF in Davos, mitten im Kongresszentrum. Ein Ort, wo oft spontane Interviews entstehen. Mitten im Raum steht leger der VR-Präsident der Credit Suisse, Urs Rohner. «Guten Tag, wir sind Journalisten der Blick-Gruppe, würden Sie gerne befragen», stellen eine Kollegin und ich uns vor, halten je ein Aufnahmegerät hin. «Legen Sie los, ich habe wenig Zeit», sagt Rohner. Eine erste, eine zweite, eine dritte Fragen. Die sechste ist kritisch. «Wann ist der Steuerstreit mit den USA gelöst?» Der CS-Präsident beantwortet sie nicht, verabschiedet sich, steht ein paar Sekunden später aber wieder vor den Mikrofonen: «Letztlich kann man jedes Problem lösen.» Das Interview ist im Kasten. Am nächsten Tag steht es in der Zeitung, wie das Band es wiedergibt.
Drei Wochen später meldet sich der Kommunikations-Chef der Bank. «Es geht nicht, dass Sie Urs Rohner so überfallen.» – «Das war kein Überfall, sondern ein Interview am WEF, wir haben das deklariert, alles ist auf Band.» – «Konnte er das Gespräch gegenlesen?» – «Er hat nicht danach gefragt.» – «Das ist eine Schelmenausrede.»
Nicht aus Sicht von Medienanwälten. Wer nicht ausdrücklich fragt, hat kein Recht aufs Gegenlesen.
Eine andere Begegnung am WEF zeigt eine andere Kultur. Zufällig geht der US-Milliardär und Computer-Fabrikant Michael Dell über die Strasse. «Guten Tag, Mister Dell, haben Sie Zeit für ein kurzes Interview?» – «Natürlich, leider habe ich meinen Mantel drinnen gelassen, allzu lange halte ich es in dieser Kälte sicher nicht aus.» Er gibt Auskunft, verabschiedet sich. Das Interview erscheint am nächsten Tag. Niemand regt sich auf.
Zwölf Jahre lang war ich Korrespondent in den USA. Nie musste ich ein Interview zur Autorisierung vorlegen, nie hat sich jemand beschwert über ein Gespräch. Es gilt das gesprochene Wort. Journalisten schreiben, was sie hören. Interviewte stehen zu dem, was sie sagen. Es braucht keinen Vertrag. Alle verhalten sich wie Profis – und wehren sich, wenn das nicht mehr stimmt.
Unter US-Präsident Barack Obama jedoch hat sich das Absegnen von Zitaten eingeschlichen. So geben Mitglieder seines Kabinetts kaum Interviews ohne sie gegenlesen zu dürfen.
Dagegen wehrt sich die weltweit wichtigste Zeitung. Die «New York Times» verbietet ihren Journalisten seit September 2012 partout, Zitate vor der Publikation von Gesprächspartnern gegenlesen und verändern zu lassen – weil die Praxis «zu viel Kontrolle über den journalistischen Inhalt in die falschen Hände» lege, begründete die «New York Times»-Chefredaktorin Jill Abramson die neuen Richtlinien. Es bestehe das Risiko, «dass unsere Leser den falschen Eindruck haben, wir gäben die Kontrolle über eine Geschichte unseren Informanten ab.»
Reporter der «New York Times» müssen Interviews ablehnen, wenn Pressesprecher das Gut zum Druck geben wollen. Sie nehme in Kauf, «Interviews nicht zu erhalten», sagte Abramson. Es sei denn, es handle sich um wirklich wichtige Informationen zur Sicherheit des Landes.
Die Kontrolle der Berichterstattung müsse bei den Journalisten liegen, sagt Abramson. «Reporter dürfen nicht zu Bittstellern werden.»
Dieser Text erschien ursprünglich im Ringier-Mitarbeiter Magazin DOMO
Das Problem liegt leider bei einer journalistischen Un-Kultur, die heute noch schlimmer ist als früher: Da wird eine kernige Aussage rausgesucht, die zur beabsichtigten Tendenz eines Artikels passt, und entsprechend werden dann die Aussagen zu zusammengestückelt, dass sie das gewünschte Bild ergeben – ob der Interviewte es nun so gesagt oder gemeint hat, interessiert den gemeinen Interviewer oder Redaktor nicht. Ob der Interviewte, dessen Aussagen womöglich sinnverfälscht wiedergegeben worden sind, sich dann unter den Seinigen dafür rechtfertigen muss und welche Folgen das noch hat, interessiert den Journalisten nicht – er hat seine Message, und wenn der Interviewte ins Karriereloch fällt, sucht sich der Interviewer ein anderes Ziel.
In Zeiten zunehmender Boulevardisierung ist da also nur umso verständlicher, wenn der Pressesprecher eines Interviewten nochmal drüberguckt und die Passagen entschärft, die in boshafter Absicht verfälscht wiedergegeben werden könnten. Das ist dann auch das Pech des Journalisten, wenn sich der Pressesprecher das Recht rausnimmt, ein ganzes Interview komplett umzuschreiben.
Normalerweise würde ich es für etwas unredlich halten, wenn ein Hund einen Haufen macht und sich dann beschwert, wenn es stinkt. Aber der Text ist ja in einem Ringier-Magazin erschienen.
Liebe Journalisten, Ihr habt das Bett gemacht – nun liegt auch darin!
Ich glaube fast, da sind auch Reporter von Zeitungen auf Bild-Niveau mitschuldig.
Die zitieren ja oft Experten so sinnentstellend, dass die eine Gegendarstellung veröffentlichen müssen, um nicht als die letzten Deppen da zu stehen.
Unter solchen Umständen kann ich glatt verstehen, dass man gegenlesen möchte. Und auf der anderen Seite verderben solche Schreiberlinge noch weiter den Ruf der Journalisten.
Ich bin davon überzeugt, dass es ganz grauenhafte Eingriffe von Interviewten in Gespräche gibt. Und dass Pressesprecher und PR-Leute noch einmal ganz anders denken als Journalisten, womöglich auch als der Interviewte, steht ebenfalls außer Frage. Autorisierungen sind ein Problem.
Allerdings habe ich persönlich noch nie schlechte Erfahrungen mit Interviewpartnern gemacht, die gegenlesen wollten. Das liegt vielleicht an meinem Ressort: Als Kulturjournalist habe ich es nur selten mit zwischengeschalteten Pressesprechern zu tun, ich führe ein Interview mit (in der Regel) Künstlern, die bekommen hinterher die Zitate zugeschickt, und meist kommt ein paar Stunden später ein halb ironisches “Interessant, dass ich so etwas Kluges gesagt, habe das passt gar nicht zu mir … Können Sie drucken”. Das Ganze hat einen positiven Nebeneffekt: Die Interviewpartner sprechen nicht mit Schere im Kopf, weil sie wissen, dass sie noch einmal drüber scahuen können. Gerade bei mit der Interviewsituation unerfahrenen Künstlern (was bei mir recht häufig vorkommt) ist das nicht unbedeutend.
Dass ein Politiker oder ein Wirtschaftsführer sich schon im Gespräch sicher sein sollte, was er sagt, sollte hingegen selbstverständlich sein. Vielleicht wäre eine Abmachung hilfreich: Man lässt gegenlesen, aber ausschließlich vom Interviewpartner, nicht von einem Anwalt, nicht von einem Pressesprecher?
Die Konzerne haben schon Blut gerochen: Der Journalismus ist schwer angeschlagen. Also können sie jetzt auch den Journalisten ihre Sprechblasen aufzwingen. Sollen sie sonst sehen, was sie schreiben. Der Journalist vom Konkurrenz-Blatt nimmt die Story sonst mit Kusshand. Sie spielen Reise-nach-Jerusalem mit kritischen Journalisten und die Leser haben am Ende den Schaden, lesen nur noch Werbung, PR und weichgespültes Geblubber.
Ich habe noch nie ein Interview gesehen welches nicht völlig vom Sinn enstellt wurde. Das sind leider die Fakten hier in Deutschland bezüglich der Presse
Danke für dieses Posting. Der Vergleich mit den USA finde ich sehr wertvoll. Es war mir nicht bewusst, dass dort die Kultur des Gegenlesens, wie ich sie nenne, keine Tradition hat.
Die andere Perspektive: Es gibt viele schludrig verarbeitete Interviews, die Fehler widergeben, Fakten verdrehen usw. usf. Zum Teil hat das verheerende Folgen für Unternehmungen oder Interviewte.
Der Anspruch “alle verhalten sich wie Profis” wird von vielen Medienschaffenden nicht eingelöst. Konsequenz: Das Misstrauen wächst, Schlüsselfiguren schotten sich ab – wahrlich keine gute Entwicklung.
Da bin ich ganz der Meinung der Journalisten. Die Medien sind ein Kontrollorgan – die Pressefreiheit muss gewährleistet bleiben!!!!!
Jeder hat seine eigene Wahrnehmung. Journalisten sind Profis im Stellen von suggestiven – oder Fangfragen und sie brauchen eine Sensation als Aufhänger. Sie haben eine Meinung und eine Lebenshaltung und dementsprechend möchten sie oft ihre persönliche Farbe beimischen, oder die ihres Chefs, denn sie sind ja nicht immer unabhängig.
Es ist auch nicht jedermann gleichzeitig z. B. genialer Geschäftsmann oder sonstwas und gleichzeitig Kommunikationsgenie. Es ist völlig legitim, seine eigenen spontanen Aussagen selbst zu überprüfen oder einen Pressesprecher bzw. Berater zuzuziehen und auch zu kontrollieren, ob das Gesagte beim Gegenüber so angekommen ist, wie es gemeint war. Missverständnisse sind immer möglich, die Welt ist voll davon, und sie werden selten rechtzeitig erkannt. Darum, – keinen Zeitdruck schaffen. Es ist auch legitim, seine Meinung auf Grund von mehr Überdenkzeit zu ändern. Wenn ich morgens etwas gesagt habe, und mittags eine Erleuchtung habe, sage ich am Nachmittag meine neue Sicht der Dinge. Wer mich dann als unglaubwürdig erklärt, weil ich meine Meinung verändere, muss das Problem bei sich selbst suchen.
Wenn das Gegenlesen von Interviews der Qualitätssicherung dient, ist dies im Interesse des Journalisten, der PR-Leute und nicht zuletzt des Publikums. Knackige Aussagen zu streichen, obwohl sie so gemacht wurden, gehört meiner Meinung nach nicht dazu. Richtigstellungen bei falscher Wiedergabe oder unsensibler Rekontextualisierung hingegen schon. Im Einzelfall muss eben auch mal ein Kompromiss gesucht werden, der für beide Seiten stimmt.