Deutsche sind zu 100 Prozent schuld

Theo Waigel gilt als Vater des Euro, und er ist noch immer stolz auf sein Kind. Auf seine deutschen Landsleute aber immer weniger.

Interview: Peter Hossli und Claudia Gnehm

Herr Waigel, Sie treten an einem Anlass der Neuen Aargauer Bank auf. Das kommt in Deutschland kaum gut an.
Theo Waigel: Darum kümmere ich mich nicht. Das entscheide ich allein.

Die Schweiz und ihre Banken stehen in Deutschland in der Kritik.
Wenn ich die Deutschen an die Emigranten erinnere, welche die Schweiz in der Zeit des Zweiten Weltkriegs aufnahm, verstummt diese Kritik rasch. Nie vergesse ich der Schweiz, dass sie 1950 am Buss- und Bettag als erstes Land nach dem Krieg gegen uns zum Fussball-Länderspiel antrat und sogar 0:1 verlor.

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel bezeichnet die Schweizer Banken als mafiöse Organisationen.
Das ist dummes Geschwätz. Der jetzt eingeschlagene Weg mit der Abgeltungssteuer ist der richtige. Wir hätten das schon vor fünf oder zehn Jahren machen sollen. Die Schweiz hätte sich manchen Ärger erspart.

Dennoch ist das Steuerabkommen gescheitert. Warum?
Es war in Deutschland ein Wahlkampfthema. Nach den Wahlen im Herbst wird die Diskussion wieder sachgerechter sein.

UBS-Chef Sergio Ermotti sagt, die Schuld am Scheitern trügen «zu 120 Prozent die Deutschen».
120 Prozent müssen es nicht sein, 100 Prozent genügen. Ich habe Wolfgang Schäuble immer unterstützt. Für mich ist das Steuerabkommen ein kleiner Geniestreich.

Gibt es jetzt weitere CD-Käufe?
Irgendwann wird sich das erschöpfen. Zumal es in manchen CDs kaum wichtige Infos hat.

Haben Sie ein Schweizer Konto?
Nein, aber wenn ich eines hätte, würde ich es Ihnen nicht sagen.

Sie gelten als Vater des Euro …
… ich bin eher der Klon-Vater, denn es fehlt ja die Mutter.

Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen wegen der Turbulenzen, die Ihr Kind anstellt?
Das schlechte Gewissen sollen sich andere anziehen. Ich schlafe gut, habe ein ruhiges Gewissen. Nach der Einführung des Euro sind Fehler gemacht worden: Man hätte Griechenland nicht aufnehmen, den Stabilitätspakt nicht aufweichen sollen. Hinzu kommt die Finanzkrise, die grösste seit 1929. Die hat nicht der Euro verursacht. Sie kam von Amerika herüber.

Ist die Euro-Krise vorbei?
Die Krisenbewältigung zeigt Erfolge. Das Vertrauen ist zurückgekehrt. Aber es ist noch nicht alles in trockenen Tüchern. Griechenland hat noch eine lange Wegstrecke vor sich. Die anderen Länder müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, die Staatsschulden abbauen. Es liegt noch ein Jahrzehnt vor uns. Die Probleme in Europa sind aber eher kleiner als in den USA.

Wie beurteilen Sie die Aussichten der Euro-Zone?
Sie sind nicht schlecht. Mit einer Ausnahme: Griechenland. Zwar sind gewaltige Anstrengungen erfolgt, aber sie reichen nicht aus. Griechenland hätte nie in die Euro-Zone gehört, und ich lege grossen Wert darauf, dass das nach meiner Zeit erfolgt ist. Ich habe dem griechischen Finanzminister 1997 klar gesagt, er könne nicht dabei sein. Bei der Aufnahme Griechenlands hat die gesamte politische Klasse Europas versagt.

Was ist mit den Griechen zu tun?
Gemäss Stammtisch ist Griechenland ein blinder Passagier auf einem Ozean-Dampfer. Viele wollen ihn über Bord werfen. Fromme gäben ihm zumindest noch eine Schwimmweste mit.

Dann sollen die Griechen raus aus dem Euro-Boot?
Nein. Wir müssen alles unternehmen, damit der Patient wieder zu Kräften kommt. Er braucht Hilfe zur Selbsthilfe. Ein Rauswurf wäre für alle sehr teuer. In Griechenland käme es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Die Schweiz kann seit September 2011 den Mindestkurs von 1.20 Franken zum Euro halten. Warum?
Die anderen Länder können mit diesem Kurs leben. Er entspricht dem langfristigen Durchschnitt. Jeder hat Verständnis, dass die Schweiz dem Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit nicht einfach so zusehen kann.

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück steht arg in der Kritik. Was macht er falsch?
Er ist ein erwachsener Mann und braucht meinen Rat nicht. Persönlich verstehe ich mich ganz gut mit ihm. Ich wurde kürzlich gefragt, ob er Kanzler sein kann.

Und, kann er es?
Er kann es, aber es wird nicht gut gehen.

Wie stehen seine Wahlchancen?
Es wird Menschen geben, die ihn wählen. Bei einer Direktwahl hätte er gegen Frau Merkel keine Chance. Aber wir haben die Parteienwahl, da stehen SPD und Grüne nicht schlechter da als CDU/CSU und FDP, zumal die FDP in der Krise steckt.

Wer wird im Herbst die deutsche Regierung bilden?
CDU/CSU wird die stärkste Partei, aber sie braucht einen Koalitionspartner. Welche Konstellation es gibt, lässt sich heute schwer sagen, weil niemand weiss, wie die Piraten und die Linksparteien abschneiden.

Ihre Prognose?
Ich gehe davon aus, dass die CDU/CSU so stark sein wird, dass ohne oder gegen sie nicht regiert werden kann.