Interview: Peter Hossli und Claudia Gnehm Fotos: Daniel Ammann
Herr Zwinggi, wie erklären Sie einem Nicht-Davos-Besucher den famosen Geist des Ortes?
Alois Zwinggi: Mich beeindruckt immer wieder, dass man am Jahrestreffen wirklich mit allen das Gespräch suchen kann – egal, wo man sich begegnet. Das ist einzigartig und macht den Spirit of Davos aus.
Weshalb sollen sich Menschen, die nicht ans WEF gehen, überhaupt dafür interessieren?
Erstens haben wir in den letzten Jahren unsere Social-Media-Präsenz stark ausgebaut. Wer wissen will, was am Forum wirklich läuft, kann das von überallher per You-tube und Twitter erfahren.
Und zweitens?
Am Jahrestreffen starten wir immer wieder Initiativen, die einer breiteren Bevölkerung zugutekommen. So führt eine amerikanische Universität eine vom Forum und verschiedenen Partnern – auch der WHO – lancierte Initiative zu Zivilisationskrankheiten weiter.
Die Euro-Krise scheint ansatzweise gebannt. Die Aussichten für 2013 sind aber nicht rosig. Kann das Forum etwas tun, um die Lage zu entspannen?
Bei uns führen Leute aus allen Bereichen Gespräche, die dann im formellen Rahmen weitergehen. Wir verstehen uns als Thinktank und geben Inputs zur Meinungsbildung. Diese fliessen in den Alltag der Teilnehmer ein. Zudem starten wir jedes Jahr konkrete Initiativen.
Was regen Sie für 2013 an?
Wir starten eine grosse Initiative für Afrika – «Grow Africa» – zum Thema Nahrungsmittel.
Nach der Eurokrise 2012 ist also dieses Jahr Afrika das Thema?
Unser Motto für 2013 lautet «Wachstum und Risiko». In Europa gibt es zwar mehr Klarheit über die Zukunft des Euro. Aber das zu geringe Wachstum ist ein Problem, vor allem wegen der hohen Arbeitslosigkeit. Wir werden in den nächsten zehn Jahren weltweit 600 Millionen Arbeitsplätze schaffen müssen. Die Frage lautet, wo?
Wissen Sie denn die Antwort?
Es ist nicht sicher, ob die Grosskonzerne künftig die nötigen Arbeitsplätze schaffen können. Vielleicht sind es eher KMU oder sozial ausgerichtete Unternehmen.
Was betrachten Sie als grösste Herausforderung der Weltwirtschaft?
Sicher die Arbeitslosigkeit. Zudem hat die Wirtschaftskrise in den letzten Jahren die gerechte Verteilung der Ressourcen überschattet.
Davos platzt beim WEF aus allen Nähten. Die Teilnehmer kritisieren die Infrastruktur, dennoch gibt es kaum neue Hotels.
Falsch. Gleich neben dem Kongresszentrum ist das Hilton Garden Inn eröffnet worden. Wir stehen heute bedeutend besser da als vor zwei oder drei Jahren. Nächstes Jahr kommt das Intercontinental hinzu. Wir brauchen nun mal 2600 Vier- oder Fünfsternebetten, um diesen Anlass durchzuführen.
Teilnehmer klagen, der Service sei schlecht, die Preise zu hoch.
Wenn sie ein rares Gut haben, hat das einen Einfluss auf den Preis.
Das muss ein wirklich rares Gut sein: Hotels erzielen in einer Woche 30 Prozent ihres Umsatzes!
Wir reden offen mit den Davosern über die hohen Preise während des Jahrestreffens und arbeiten mit ihnen daran. Es ist etwas anderes, eine solche Veranstaltung in einem über Jahrzehnte gewachsenen Alpenresort zu veranstalten – oder in neuen Tourismusdestinationen.
Davos soll weiter wachsen – für die Olympischen Spiele 2022. Was unternimmt das WEF dafür?
Wir diskutieren am Open Forum 2013 über sportliche Grossanlässe, mit Gegnern und Befürwortern.
Sie sind also für die Spiele in Davos und St. Moritz?
Olympische Winterspiele würden für Davos, den Kanton Graubünden und die ganze Schweiz wichtige Impulse geben. Wir könnten wieder einmal zeigen, dass wir so etwas Grosses zustande bringen – und zwar ohne die üblichen Übertreibungen solcher Anlässe.
Ihr Vertrag mit Davos läuft bis 2018. Wie sicher kann die Stadt sein, dass Sie hierbleiben?
Stimmt die Infrastruktur, unterstützen uns Graubünden und die Schweiz wie bisher, bleiben wir. Dann ist Davos der ideale Austragungsort über 2018 hinaus.
Das Jahrestreffen beginnt in zwei Wochen. Was fehlt noch?
Das Programm steht. Lastwagen bringen Material. Es wird bereits vieles aufgebaut. Jetzt müssen wir die letzten Detailprobleme lösen.
Letztes Jahr hielt Kanzlerin Angela Merkel die Eröffnungsrede. Wer hält sie dieses Jahr?
Sie finden im Programm keine traditionelle Eröffnungszeremonie. Wir bieten am ersten Tag verschiedene wichtige Reden. Sicher wird Bundespräsident Ueli Maurer die Besucher begrüssen.
Wer kommt ans Jahrestreffen?
Wir rechnen mit 40 Staats- und Regierungschefs. Die Länder der G-8 und der G-20 sind gut vertreten.
Es kommen vermehrt Geschäftsleute und Politiker aus China, Afrika und Südamerika. Warum ist das WEF für Teilnehmer aus Schwellenländern bedeutend?
Es bietet ihnen die Möglichkeit, auf einer neutralen Plattform Leute aus dem Westen zu treffen. Wir wiederum knüpfen Kontakte zu ihnen. Für viele Unternehmen sind Lateinamerika, Afrika und Asien nach wie vor Pioniergebiete. Bei Themen wie «Faires Wachstum» und «Arbeitsplätze» ist es sehr wichtig, diese Länder einzubeziehen.
Höherrangige Amerikaner kommen seltener als früher. Warum?
US-Geschäftsleute und Wissenschaftler besuchen uns rege. Was die Politik betrifft, haben Sie recht. Die letzten Jahre waren die USA stark mit sich selbst beschäftigt.
Der Aufwand wird für Sie grösser, wenn hochrangige US-Politiker nach Davos reisen.
Wir würden uns sehr freuen, wenn einer kommen würde. Was durchaus möglich ist. Bestätigen kann ich es aber noch nicht.
Was bringen Stars wie Bono oder Mick Jagger – abgesehen von der Aufmerksamkeit der Medien?
Wenn Sie die Teilnehmerliste der letzten Jahre anschauen, finden Sie dort keine Stars. Das heisst nicht, dass zu dieser Zeit keine Stars in Davos sind.
Wer lädt sie ein, wenn nicht Sie?
Keine Ahnung. Wir brüsten uns damit nicht. Wir wollen keine Stars am WEF. Es gibt sicher solche, die einen wertvollen Beitrag leisten könnten. Leider lenken sie aber von den wirklichen Diskussionen ab.
Sie selbst spielen mehrere Instrumente. Mit welchem Gast würden Sie gerne musizieren?
Früher war Peter Gabriel hier. Seine Art und seine Musik gefallen mir. Mit ihm würde ich gerne mal Musik machen.
Wie schützt das World Economic Forum die Gäste, ohne dass die Sicherheitsmassnahmen zu aufdringlich wirken?
Zuerst möchte ich der Schweiz für ihre Leistungen bei der Sicherheit danken. Für uns sind Diskretion und Sicherheit zentral. Heute ist Davos keine Festung mehr, die Sicherheit weniger augenfällig.
Weil es in Davos kaum mehr Demos gibt?
Es gibt eine Verlagerung der Demonstrationen, weg von Davos in Städte wie Bern oder Zürich. Viele Organisationen wie Greenpeace, WWF, Amnesty und Oxfam haben zudem eine aktive Rolle bei uns übernommen. Die Debatte hat sich verlagert, von der Strasse ins Kongresszentrum.
Gibt es dieses Jahr Demos?
Wir gehen davon aus, dass es Leute gibt, die andere Meinungen manifestieren. So lange sie das friedlich tun, ist das gut.
Letztes Jahr verzeichnete das WEF mit 2600 Teilnehmern einen Rekord. Wie stark kann es noch wachsen?
Das Maximum ist erreicht.
Wie entscheiden Sie, wer ans WEF darf und wer nicht?
Unsere 1600 Mitglieder haben automatisch Zugang. Die restlichen 1000 wählen wir aufgrund der Themen und Länder aus, die uns interessieren. Die Tabakindustrie passt nicht zu unseren Initiativen.
Welche Begegnung am WEF hat Sie am meisten berührt?
Wenn ich um 6 Uhr morgens ins Kongresszentrum gehe und die Menschen sehe, die alles vorbereiten, habe ich Gänsehaut. Es ist beeindruckend, wie unsere Teammitglieder und die Freiwilligen mit Herzblut den Event ermöglichen. Vor zwei Jahren hatten wir Besuch vom Direktor der Stiftung Life without Limbs. Er hat weder Beine noch Arme – und unterhielt sich auf der Bühne mit IWF-Direktorin Christine Lagarde. Das war ein besonderer Moment.
World-Economic-Forum-Präsident Klaus Schwab ist 74. Existiert das Forum noch, wenn er nicht mehr da ist?
Professor Schwab sagt von sich, er wolle den 50. Geburtstag des Jahrestreffens bestreiten. Das ist in sieben Jahren. Wir haben zudem einen starken Stiftungsrat mit 25 Persönlichkeiten, die sich wirklich aktiv um das World Economic Forum kümmern. Deshalb können Sie sicher sein, dass es uns noch lange geben wird.
Genfer Stiftung
Das World Economic Forum (WEF) beschäftigt 500 Angestellte aus 55 Ländern in Büros im Hauptsitz Cologny GE, in New York und Peking. 60 Prozent sind Frauen, das durchschnittliche Alter beträgt 35 Jahre. Klaus Schwab gründete das WEF 1971. Das Forum versteht sich als Thinktank. Neben dem Jahrestreffen in Davos gibt es Treffen auf anderen Kontinenten. Hinzu kommen Berichte und Initiativen.