Bröckelnde Supermacht

Supersturm Sandy zeigt, wie verletzlich Amerika geworden ist – und dass die Infrastruktur dringend verbessert werden muss.

Von Peter Hossli

Sicher, Sandy ist ein Monster. Ein Sturm, so mächtig, wie ihn die US-Ostküste seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat. Ein Naturereignis, gegen das sich der Mensch unmöglich stemmen kann.

Gleichwohl offenbart der Supersturm eine verwundbare Supermacht. Zeigt, wie marode die Infrastruktur im mächtigsten Land der Welt heute ist.

Sieben Millionen Mensche sitzen ohne Strom im Dunkeln. Die New Yorker Börse, die wichtigste der Welt, schliesst. Busse und Züge stehen tagelang still. Die Flughäfen in New York sperren alle Pisten. Wind und Wasser zwingen die USA in die Knie.

Wer dort lebt – ich war fast zwölf Jahre USA-Korrespondent –, den kann das nicht überraschen. Manchenorts erinnert Amerika an ein Entwicklungsland. Brücken bröckeln. Dämme bersten. Strassen sind löchrig, Schulen baufällig. Das Stromnetz an der Ostküste wurde seit 65 Jahren kaum erneuert.

Im Alltag verblasst das Image einer Hightech-Nation. Dann ist Amerika ein Bund von Pfuschern. Es wird gewurstelt und liederlich gewerkelt. Millionen Amerikaner haben keine richtige Berufsausbildung: Flatterhafte Dienstleister und Handwerker, säumige Beamte und vorgestrige Technik machen das Leben schwer.

Auf Runways herrscht Stau. Fast kein Flugzeug startet oder landet in New York pünktlich. Veraltete Lotsentechnologie und verstopfte Lufträume führen wiederholt zu Beinahe-Crashs.

Billionen von Dollars würde es kosten, die amerikanische Infrastruktur flottzumachen. Geld, das die hoch verschuldete Supermacht nicht hat. Und das Poli­tiker nicht ausgeben wollen.

Seit Ronald Reagan in den 80er-Jahren die Staatsquote radikal geschrumpft hat, redet jeder US-Präsident davon, das Problem anzugehen. Es blieb bis heute bei Schaumschlägerei.

Im Wahlkampf vor vier Jahren sagte Barack Obama, er werde Amerika ins 21. Jahrhundert führen. Doch statt Brücken und Strassen zu flicken, pumpte er Geld in die Wall Street, rettete die Banken. Aus ökonomischer Sicht ein Fehler. Heute wären weniger Amerikaner arbeitslos, hätten sie ihre brüchigen Gebäude verbessert.

Ob Obama dafür einen politischen Preis zahlt, wird sich am Dienstag zeigen.