Für ihn war UBS keine Bank, sondern ein Casino

Der Auftakt zum Adoboli-Prozess verdeutlicht: Gier trieb ­einen kleinen UBS-Angestellten zum Betrug. Das trieb die Bank an den Rand des Kollapses.

Von Peter Hossli

wassWie viel sind 2,3 Milliarden Dollar? Mit dieser Frage trat Sasha Wass (54) am Freitag in London vor die zwölf Geschworenen.

Damit könnten Spitäler die Löhne von 70 000 Krankenschwestern zwei Jahre lang bezahlen, erklärte sie. Fussballvereine könnten zwei moderne Sportarenen errichten.

2,3 Milliarden Dollar – das ist der gigantische Verlust, den der ehemalige UBS-Trader Kweku Adoboli (32) verursacht hat. Es liegt nun an Sasha Wass zu beweisen, dass er dies als «Meisterbetrüger» tat, wie sie ihn vor Gericht nennt.

Wass ist die Anklägerin ihrer Majestät. Sie führt die Klage im Strafprozess gegen Adoboli. Gleich zu beginn ihres Plädoyers umreisst sie die Motive des Ghanaers: «Er wollte seinen Bonus vergrössern, seinen Status anheben, die Karriereaussichten verbessern und dem Ego schmeicheln.»

Sie trägt eine lange schwarze Robe. Um den Hals liegt eine weis­se Krempe. Ihr blondes Haar versteckt sie unter einer weissen Perücke. «Wir tragen die Perücken aus Tradition», erklärt Wass. «Perücken helfen, unsere Anonymität zu wahren.» Der Richter setzt eine auf, ebenso alle Ankläger und Verteidiger. «Niemand soll durch sein Aussehen die Geschworenen beeinflussen, alle sollen vor Gericht neut­ral aussehen.»

Dennoch tritt Wass aggressiv auf. Sie zeichnet Adoboli als Zocker, Betrüger und Falschspieler. Getrieben von Gier. Der die UBS nicht als Bank sah, sondern als Casino.

Er ist noch Student, als er im Sommer 2002 bei der UBS in London sechs Wochen schnuppert. Ein Jahr später, am 1. September 2003, erhält er einen Job bei den rückwärtigen Diensten der Investmentbank. Dort, wo Handelsgeschäfte abgewickelt und überprüft werden. Zwei Jahre lernt Adoboli die Innereien der Bank kennen, eignet sich Wissen an, das ihm später hilft, das System auszutricksen.

Am 28. Dezember 2005 erreicht der Trader sein Ziel. Die UBS befördert ihn in den Trading Floor. Jetzt gehört er der kleinen Klasse von Bankern an, die in Millisekunden Millionen bewegen. Seine Limit beträgt 100 Millionen Dollar.

Was hier zählt, sind Umsätze und Profite. Je höher sie ausfallen, desto höher honoriert die UBS.

adoboli3Davon profitiert Adoboli. Im ersten Jahr verdient er 33 000 Pfund. Sein Bonus beträgt 7500 Pfund. Nur fünf Jahre später – 2010 – trägt er zehnmal mehr nach Hause. Zum Gehalt von 110000 Pfund kommt ein Bonus von 250000 hinzu.

Was die UBS nicht weiss: Sie honoriert nicht eine gute Leistung, sondern einen dreisten Betrug.

Vor einem Jahr, am frühen Morgen des 15. Septembers 2011, wurde Adoboli verhaftet. Umso erstaunlicher, dass sein Prozess bereits läuft. Oft dauert es in England zwei, wenn nicht drei Jahre bis ein solcher Fall vor den Richter kommt. Schnell ging es wegen des hohen Schadens, heisst es in London.

Das Interesse ist gross. Die «New York Times» hat einen Journalisten zum Prozess geschickt, «Le Monde» ist da, die «Financial Times». Der Andrang überfordert das Gericht. Journalisten versperren Gerichtsdienern den Weg zum Saal 3, wo der Prozess läuft. Viele rempeln.

Plötzlich stellt sich Kweku Adoboli in die Reihe. Trägt einen grauen Anzug, zum weissen Hemd eine violette Krawatte. Riecht nach süsslichem Parfum. Dick ist er geworden seit der Verhaftung. Lacht ­einen Freund schallend an. Ist es Galgenhumor? Bei einer Verurteilung drohen ihm 40 Jahre Zuchthaus.

Keiner der Journalisten spricht Adoboli an. Ihm ist es verboten, mit der Presse über den Fall zu reden.

Als UBS-Banker setzt er sich über Verbote hinweg. Jahrelang verletzt Adoboli interne Weisungen, sagt Anklägerin Wass. Oft überschreitet er die ihm auferlegten Limiten.

Manche seiner Geschäfte sichert er nicht ab – ein absolutes Tabu im Investmentbanking. Einmal hat er ungedeckte Positionen in der Höhe von fast zwölf Milliarden Dollar. Falls jemand dagegen wettet, wäre die UBS wohl platt. «Herr Adoboli war eine oder zwei Wetten davon entfernt, die grösste Schweizer Bank zu zerstören», erläutert Wass.

Was er getan hat, ist für Laien schwierig zu verstehen. Wass erläutert es vereinfacht. Banker Adoboli erfindet Käufer und Verkäufer, sagt sie. Trägt fiktive Umsätze in den Computer ein, fälscht Abrechnungsdaten, verheimlicht Gewinne und Verluste. «Hunderte, Tausende seiner Eintragungen waren komplett fiktiv», sagt Wass. Das gelingt ihm aus zwei Gründen: Er kennt das System – und kann es leicht umgehen. Peinlich für die UBS: Er bleibt dabei unentdeckt. «Adoboli merkte, wie einfach es war, die Bank zu betrügen», sagt Wass.

Am Anfang des Betrugs steht ein Verlust. Im Oktober 2008 verspekuliert sich Adoboli. Mit einem einzigen Geschäft verliert er 400 000 Dollar. Statt es den Vorgesetzten zu melden, schweigt er. Versucht, das Loch abermals mit unautorisierten Geschäften zu stopfen.

Über geheime Konten wickelt er sie ab, nennt sie «umbrellas» – Regenschirme – und versteckte da­rauf seine kriminellen Gewinne, um künftige Verluste zu decken.

Adoboli sitzt im Saal neben seinen Anwälten. Dabei blickt er ständig auf den Laptop, ein teures Gerät von Apple. Er tippt kurze Notizen. Auf seinem Bildschirm sind Erde und Mond zu sehen, aufgenommen aus dem Weltall. Über Mittag isst er Früchte und ein Sandwich. Wirkt entspannt. Mit ­einer Plastikgabel nimmt er ein Stück Nektarine. «Was die Anklägerin erzählt, stimmt so nicht», sagt er zu einer Frau neben ihm.

Im Sommer 2011 beginnt Adobolis «Pyramide des Betrugs» zu wanken, sagt Wass. Er kommt aus den Ferien zurück und glaubt, die Börse werde fallen. Setzt darauf. Doch die Börse steigt. Er verliert. Ende Juni ist er eine Milliarde Dollar im Minus. Ein Minus, das er wettmachen muss.

Am 1. Juli investiert er drei Milliarden, dreissigmal mehr als er darf. Er kaschiert das Geschäft. Adoboli glaubt, die Börse steigt. Er investiert fünf Mil­liarden. Es ist August. Und die Börsen fallen. «Er agierte eindeutig in Panik», sagt Wass.

Zumal der UBS nun auffällt: Etwas stimmt nicht. Kontrolleure melden sich bei ihm, fragen nach ungedeckten Positionen. «Alles in Ordnung», wiegelt er ab.

Wass spielt den Geschworenen Auszüge solcher Gespräche vor. Nervös rutscht Adoboli auf dem Stuhl hin und her. Hört, wie er den Chef anlügt. Er sucht Augenkontakt zu seinem Anwalt, als wolle er Hilfe holen.

Wass spielt einen zweiten Anruf vor, der klar zeigt: Adoboli betrog. Er senkt den Kopf auf den Tisch vor ihm, als wolle er nicht hören, wie er überführt wurde.

Am Morgen des 14. Septembers betragen seine ungedeckten Positionen 8148548619 Dollar, das Achtzigfache seiner Limite. Sein System bricht zusammen, «wie wenn ein Auto mit höchster Geschwindigkeit auf eine Wand zurasen würde», sagt Wass.

Adoboli geht nach Hause, setzt sich an den Computer, schickt ein E-Mail an William Steward, seinen Chef. «Hello Will», fängt er an. «Ich schreibe dieses E-Mail unter grossem Druck.» Darin legt er ein umfangreiches Geständnis ab. Gibt zu, Geschäfte fabriziert und Kunden erfunden, Regeln gebrochen, ihn belogen und Kollegen übertölpelt zu haben. Zudem hätte er allein gehandelt.

Bei der UBS bricht eine Welt zusammen. Schockierte Banker holen Adoboli ins Büro, befragen ihn stundenlang. Bis die Londoner Polizei ihn verhaftet. Zwei Tage braucht die UBS, um alle offenen Positionen zu schliessen.

Für die UBS sind die Schilderungen von Wass unangenehm. Sie zeigen eine Kultur der Gier. Und einen Weltkonzern, bei dem einer jahrelang betrügen konnte. Was Fragen aufwirft:

• Liess die UBS ihn gewähren, weil er Profit zwischen 15 und
20 Millionen Dollar erzielte?

• Oder waren die Kontroll­organe einfach sträflich löchrig?

Vom Geständnis ist Adoboli abgerückt. Nun werde sein Verteidiger die Bank zur Mitwisserin stempeln, prophezeit Anklägerin Wass. «Herr Adoboli wird zur Entlastung sagen, dass alle wussten, was er tat», warnt sie die Geschworenen. «Wir werden zeigen, dass dies nicht wahr ist.»

Sie nimmt die UBS in Schutz. «Adoboli wurde letztlich ja überführt, das UBS-System hat ihn erwischt», sagt Wass. Zudem hätte die Bank ihm vertraut. «Er redete täglich mit seinen Kollegen, die hatten keinerlei Anlass zu glauben, dass er die Bank und somit ihre Jobs gefährden würde.»

Der «Meisterbetrüger» hätte ein ausgeklügeltes System entwickelt, um alle Kontrollen auszuschalten. «Einfach war es nicht, den Zocker zu entdecken.»

Etliche ehemalige UBS-Banker sagen in London als Zeugen aus

Am Nachmittag des 14. Septembers 2011 tippte Kweku Adoboli von zu Hause aus ein E-Mail. Er gestand seinen Milliardenbetrug. Das Schreiben ging an William Steward, seinen Chef. Nun tritt Steward erneut ins Rampenlicht. Er ist einer der Hauptzeugen, die ab morgen Montag bis am 16. November im Strafprozess gegen Adoboli aussagen – im fensterlosen Gerichtssaal 3 des Southwark Crown Court, an der Themse gelegen, in London. Ein anderer ist John Hughes. Der kam 2005 zur UBS. Bis zum Betrugsfall galt er in englischen Bankenkreisen als aufstrebender Star. Nachdem Adoboli aufflog, entliess ihn die UBS. Hughes ist nicht der einzige Ex-UBS-Banker, der aussagen muss. Vorgeladen sind zusätzlich Ron Greenidge, einst Managing Director in der Bargeld-Abteilung, sowie John DiBacco, ein Vorgesetzter Adobolis. Für die UBS unangenehm ausfallen könnten die Zeugnisse von Christophe Bertrand und Simon Taylor. Beide arbeiteten Seite an Seite mit Adoboli. Im Kreuzverhör dürften die Verteidiger wissen wollen, warum ihnen nichts auffiel. Warum die UBS nichts ahnte, ist eine zentrale Frage. Oder nichts ahnen wollte? Der französische Mathematiker Bertrand kam 2007 zur UBS nach London. Zwischenzeitlich bankte er in Paris. Im Dezember 2011 musste er die UBS verlassen. Ein weiterer Zeuge ist Ruwan Weerasekera, eine Art Feuerwehrmann der UBS. Kaum war der Betrug aufgeflogen, versuchte er den Schaden in Schach zu halten.

Bekannt wurden die Namen bei der Auswahl der zwölf Geschworenen. Richter Brian Keith wollte wissen, welcher Jury-Kandidat einen oder mehrere Zeugen kennt – und deshalb allenfalls befangen wäre.