Das erwartet Amerika von Obama

Am Parteitag der Demokraten muss US-Präsident Barack Obama den amerikanischen Wählern zeigen: es braucht ihn weiterhin.

Von Peter Hossli

obamaHeute Abend beginnt in Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina der Parteitag der Demokraten. First Lady Michelle Obama (48) tritt in der örtlichen Basketball-Arena als erste Hauptrednerin ans Mikrofon. Per Video grüssen wird Ex-Präsident Jimmy Carter (87). Von 5556 Delegierten lässt sich Barack Obama (51) offiziell zum Präsidentschafskandidaten seiner Partei küren.

Weit wichtiger als die Formsache: Obama will in drei Tagen den rund 210 Millionen US-Wählern zeigen, warum ihm eine zweite Amtszeit zusteht.

Die Zeit eilt. Wahltag ist bereits in zwei Monaten. Am Parteitag muss der Präsident daher seine apathisch gewordenen Anhänger neu euphorisieren. Dabei setzt er auf eine leisere und sachlichere Show als vor vier Jahren. Damals schien jeder liberale Star aus Hollywood mit einem «Yes, we can»-Knopf am Revers an den Parteitag nach Denver zu pilgern. Sie alle wollten mit Obama Geschichte schreiben.

Nach Charlotte kommen nur wenige Stars. Es würde sich kaum ziemen, wenn Schöne und Reiche rauschende Feste feiern, während 23 Millionen Amerikaner arbeitslos sind.

Um den Gang der US-Wirtschaft wird sich der Konvent vor allem drehen. Glaubt eine Mehrheit der Amerikaner, es werde ihnen mit Obama besser gehen, kann er vier weitere Jahre im Weissen Haus bleiben. Trauen sie hingegen Mitt Romney (65) eine Wende zum Besseren zu, hat der Republikaner echte Siegeschancen.

Umso wichtiger ist die Rede, die Obama in der Nacht auf Freitag im Bank-of-America-Stadium von Charlotte hält. Sie muss brillant ausfallen, um am Freitag mehr Beachtung zu finden als die neusten Arbeitslosenzahlen. Erwartet werden ernüchternde Daten.

Bekräftigen muss Obama sein altes Versprechen, die USA zu einen. Mit dieser Absicht schaffte er 2008 den Sprung ins Weisse Haus. Sie stand am Anfang seines kometenhaften Aufstiegs. In einer berührenden Rede am Parteitag von 2004 meinte er, es gebe nicht ein republikanisches und ein demokratisches Amerika, nicht ein männliches und weibliches, nicht ein konservatives und liberales Amerika. «Es gibt nur ein Amerika: die Vereinigten Staaten von Amerika.»

Eine Rede, die ihn zum Hoffnungsträger machte. Nach vier Jahren Präsident Obama aber sind die USA ideologisch gespalten wie unter George W. Bush. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, ebenso zwischen Stadt und Land, progressiv und konservativ. Am Parteikonvent wird Obama zumindest die Absicht bekräftigen, die USA zusammenzuführen.

Keine leichte Aufgabe. Denn gleichzeitig muss Obama seine Gegner frontal angreifen. Der republikanische Parteitag von letzter Woche ist geglückt. Diesen Erfolg gilt es in Charlotte zu mindern. Am Schluss soll Romney als gieriger Heuschrecken-Kapitalist dastehen. Als einer, der Einwan­derer ohne Mitleid abschiebt, Frauen das Recht auf Abtreibung nimmt, den Armen die staatlichen Hilfen kürzt, den Reichen die Steuern. Der im Weis­sen Haus all das rückgängig machen würde, was Obama erreicht hat.

Selbst bekleckern muss sich der Präsident in Charlotte dafür kaum. Er schickt am Mittwochabend Ex-Präsident Bill Clinton (66) als Angreifer vor. Wie kein anderer beherrscht es Clinton, bissigste Attacken eloquent vorzutragen.