Von Peter Hossli
Bruce Springsteen lässt die Gitarre im Schrank. Matt Damon ist öffentlich enttäuscht. Spike Lee fordert vom mächtigsten Mann der Welt, «endlich mal auszuflippen».
Liberal gesinnte US-Stars wenden sich in Scharen vom liberalen US-Präsidenten Barack Obama (51) ab – zumindest wenden sie sich ihm nicht zu. Zum demokratischen Parteitag nach Charlotte im Bundesstaat North Carolina reisen nächste Woche nur wenige.
Vor vier Jahren war das anders. Ganz Hollywood schien live dabei zu sein, als sich Obama in Denver zum Präsidentschaftskandidaten küren liess. Schauspieler Ben Affleck («Good Will Hunting») spielte Poker und legte seine Gewinne in die Wahlkampfkasse von Obama. Nach Charlotte geht er nun nicht.
Das Glamour-Magazin «Vanity Fair» feierte in Denver noch eine rauschende Party mit Susan Sarandon, Anne Hathaway und Jamie Foxx. Dieses Jahr bleiben die Gläser von «Vanity Fair» trocken. «In Hollywood ist es sehr still geworden um Obama», sagt der amerikanische Filmrequisiteur und Drehbuchautor Jonathan Stein. «Es scheint, als ob nur noch George Clooney und Will Smith für Obama Wahlkampf betreiben.» Der Grund: «Viele Stars sind von Obama enttäuscht.»
Rocker Springsteen (62), der 2008 etliche Konzerte für Kandidat Obama gab, hält die Politik des Präsidenten für «viel wirtschaftsfreundlicher, als ich erwartet hatte». In der Regierung seien «Stimmen der Mittel- und der Arbeiterklasse weniger stark vertreten, als ich es hoffte», klagt «The Boss»
Laut Jonathan Stein hat der Auftritt von Clint Eastwood, der Obama am Parteitag der Republikaner offen verhöhnte, trotzdem abschreckend gewirkt. «Kein Star will so käuflich wie Eastwood aussehen, Entertainer wollen unabhängig sein.»
Viele, die Obama 2008 mit seiner «Yes, we can»-Kampagne euphorisierte, haben sich verdrossen vom Präsidenten abgewandt. So der Schauspieler und Produzent Robert Redford (76), das progressive Herz der Kinowelt. Er sei frustriert, dass Obama Erdölbohrungen in Alaska nicht ganz verboten habe, er fürchte ein Umweltdesaster. «Wie viele meiner Freunde frage ich mich, wo dieser Mann steht», sagt Redford, «und wann er sich endlich für unsere Zukunft einsetzt.»
Matt Damon meint, Obama habe «seine Aufgabe falsch verstanden». Der Star von «The Bourne Identity» bedauerte vor einem Jahr auf CNN: «Er hat zu viele Kompromisse gemacht.» Vor einem Monat bekräftigte Damon (41) seinen Missmut. Einem Republikaner werde er seine Stimme dennoch nicht geben. «Ich wähle Obama wieder.»
Am schärfsten verurteilte der Komiker Jon Lovitz («City Slickers») den Präsidenten. «Was für ein Arschloch», nannte er ihn in einem Podcast. Als sich Lovitz (55) später erklären musste, schimpfte er den Präsidenten einen «Heuchler, der Millionäre kritisiert, aber das Geld von Millionären nimmt».
Er nimmt es, weil er es dringend braucht. Aus Hollywood fliesst weit weniger in Obamas Wahlkampfkasse als vor vier Jahren. So hat Herausforderer Mitt Romney (65) in den letzten drei Monaten mehr Spenden eingetrieben als der Präsident, der als ausgezeichneter Geldsammler bekannt ist. Das Verhältnis im Juli: 101,3 Millionen Dollar für den Republikaner, 75 Millionen für den Demokraten.
Vor einer Lücke in Obamas Budget warnte letzte Woche Filmemacher Michael Moore (58). «Romney sammelt mehr Geld als Obama», so der Regisseur. «Das wird Romney den Sieg bringen.» Als wolle er Kollegen in Hollywood animieren, sofort ihr Scheckbuch zu zücken, sagte Moore: «Es ist wohl an der Zeit, dass wir üben, ‹Präsident Romney› zu sagen.» Statt sich unters Volk zu mischen, muss Obama viel Zeit damit verbringen, bei «Dinners with Barack» grosszügige Spender zu ködern.
Nicht das Geld der Stars allein fehlt dem Präsidenten, auch ihre Ausstrahlung. 2008 war es cool, Obama cool zu finden, weil coole Typen wie Springsteen ihn cool fanden. Damals wählten ihn zwei Drittel der Amerikaner zwischen 18 bis 29 Jahren, mehr als je zuvor. Laut Umfragen bleiben dieses Jahr ein Drittel dieser Jungen den Urnen fern – Stimmen, die ihm zum Sieg fehlen könnten.
Für eine Wiederwahl lassen sich stets weniger Menschen begeistern als wenn es darum geht, Geschichte zu schreiben – wie 2008. Vierzig Jahre nach der Ermordung von Martin Luther King, 143 Jahre nach dem Ende der Sklaverei, erhielt ein Schwarzer Wohnrecht im Weissen Haus. Für Amerika war dieser Schritt so epochal wie die Mondlandung.
Doch die Geschichte ist nun geschrieben, Obama kein aufgehender Stern mehr. Er verkörpert das Establishment – und das Establishment ist nie cool. «Einige Stars werden sich noch öffentlich für Obama aussprechen», glaubt Autor Stein. «Aber sie werden nicht mit ihm auf Wahlkampftour gehen.»
Viele Filmer und Musiker sind wütend, weil sich Obama nicht für ein griffiges Gesetz gegen Internetpiraterie stark machte. Stattdessen liess er sich durch Konzerne wie Google und Facebook vom Vorteil offener Netze überzeugen. Das, fürchtet Hollywood, raube Film und Musikindustrie die Existenz. Letztlich seien Stars in Hollywood «Bürger wie alle anderen», sagt Stein. «Sie schauen, was Obama versprach, und sie erkennen: er hat so manches nicht gehalten.»
Rocker und Regisseure sind auch darüber enttäuscht, dass Obama die Gier der Wall Street nicht dämpfen konnte, das Gefangenenlager in Guantánamo noch offen ist, in Afghanistan nach wie vor US-Soldaten stationiert sind – und sterben.
Regisseurin Barbra Streisand warf ihm vor, zu lang mit einem klaren Bekenntnis für schwule und lesbische Ehen gewartet zu haben. Als Obama es im Mai lieferte, war es nur halbherzig. Homo-Ehen werden nicht per Verfassung geregelt. Sondern – nicht besonders mutig – durch einzelne Bundesstaaten.
Die brüchige Infrastruktur werde er erneuern, versprach Obama beim Amtsantritt im Januar 2009. Statt Brücken und Strassen zu flicken, gab er jedoch über 800 Milliarden Dollar Staatshilfe an Banken und Versicherungen: an eine Branche also, die keine neuen Stellen schuf, sondern viele vernichtete.
Die US-Arbeitslosigkeit liegt heute offiziell bei über 8,2 Prozent – statt bei den von Obama angepeilten sechs Prozent. 23 Millionen Amerikaner sind arbeitslos oder unterbeschäftigt. Nur die Hälfte aller US-Bürger zahlen regelmässig Einkommenssteuer. Die anderen verdienen zu wenig, um vom Fiskus belangt zu werden – oder gar nichts. Dabei, so zeigte der Historiker Niall Ferguson unlängst in «Newsweek», hatte der Präsident hochkarätige Ökonomen an seiner Seite, sei aber nicht in der Lage gewesen, richtige Entscheide zu treffen.
Wäre heute Wahltag, würde Obama Romney trotzdem schlagen. Seine Wahlkampfstrategen sind denn auch über die Zurückhaltung der Stars nicht nur unglücklich. So können sie in Charlotte einen leiseren Parteitag abhalten als damals in Denver, nur drei Tage lang statt der üblichen vier. Und nicht Stars stehen im Rampenlicht, nicht George Clooney oder Springsteen.
Sondern Obama. Er weiss: Viele Amerikaner sind arbeitslos, oder haben drei Jobs, um ihre Familien zu ernähren. Da wäre es dekadent, würde er jetzt mit überbezahlten Schauspielern feiern. Zumal er in giftigen republikanischen TV-Spots als «Star-Präsident» verhöhnt wird. Sonor fragt eine Stimme: «Geht es euch nach vier Jahren mit einem Star im Weissen Haus besser?»
Die Antwort auf diese Frage wird die Wahl entscheiden.