Text: Peter Hossli Fotos: Siggi Bucher und Joseph Khakshouri
Seine Freunde nennen ihn «Ziggy». Er liebt Amerika, lange Autos, Frauen in kurzen Röcken. Pafft nonstop, tritt vehement für Zigaretten ein. Denn Marcel Zaugg (44) ist in Bundesbern ein einflussreicher Lobbyist, steht dick im Sold der Tabakindustrie, ist auf allen Kanälen zu sehen, zu hören, zu lesen.
Allerdings: Marcel Zaugg ist die Schöpfung eines vifen Werbers. Ein Schauspieler verkörpert ihn.
Daniel Graf (39), einst Mediensprecher bei Amnesty International, hat «Ziggy» Zaugg entwickelt.
Mit der Kunstfigur wagt Graf etwas, was in der Schweiz bisher noch nie so recht funktioniert hat – eine geistreiche politische Kampagne humorvoll zu bestreiten.
Selten vertragen sich hierzulande Witz und Politik. Geht es bei Initiativen um soziale Themen, überwiegt stattdessen die Moral – was Junge oft von den Urnen fernhält.
Deshalb setzt die Lungenliga auf Zaugg. Sie steht hinter der Kampagne der Initiative «Schutz vor Passivrauchen», über die am 23. September abgestimmt wird. Es geht um neue Vorschriften, was niemand gerne vermittelt. «Verbote lösen schnell einen Anti-Reflex aus», weiss Graf. «Es gibt Leute, die der Lungenliga Gesundheits-Talibanismus vorwerfen.» Mit Humor will das Graf kontern. «Die Initianten sind keine Sektenmitglieder.»
Seine Figur ist völlig überdreht, versehen mit rosa Anzug, steifer Perücke, falschem Schnauz. Vor allem verbreitet sie die Argumente der Genussraucher lauter, deutlicher, aggressiver als diese selbst.
«You Are Free», geht Ziggys Slogan – «Du bist frei». Auf dem Ansteckknopf am Revert steht «Be free. Vote for Smoke», – «Fühl dich frei, wähle die Zigarette». Wer sagt, Passivrauchen sei schädlich, der macht gemäss Zaugg «auf Panik». Gegen «Verbots- und Gesetzesbürokraten» stellt er sich. «Gugus» sei es zu sagen, Rauchen mache krank.
Eine Pressekonferenz von Bundesrat Alain Berset hat er besucht – und Kopfschütteln geerntet. Ziggy verehrt die «Raucherfront-Stadt» Basel und ihre 80 Raucherbeizen. Mit Geld ködert er junge Parlamentarier, da sie «sehr empfänglich für unsere grosszügigen Spenden» seien. Die Lungenliga schimpft er «Lügenliga».
Für die Lungenliga ist Ziggy ein Experiment, sagt Sprecherin Barbara Weber. «Unsere Aufgabe ist es, die Bevölkerung für ein Ja zur Initiative ‹Schutz vor Passivrauchen› zu gewinnen.» Allein die Zentralorganisation gibt eine Million Franken aus (siehe Seite 26). Der Grossteil des Geldes geht in traditionelle Werbeträger wie Plakate und Flyer. Ziggy kostet rund 45000 Franken.
Politische Meinungsbildung finde verstärkt im Internet statt, sagt Weber. Deshalb setze man auf einen Zaugg, der oft online auftritt. Und: «Mit der Kunstfigur des umtriebigen Tabaklobbyisten stellen wir die Tabakindustrie – die sonst vor allem im Hintergrund agiert – ins Scheinwerferlicht.» So exportiert die Schweiz jährlich 50 Milliarden Zigaretten. Aufzeigen soll Zaugg letztlich, «wie absurd die Argumente der Gegnerschaft sind».
Werte und Inhalte seien ihm wichtig, sagt Ziggy-Schöpfer Graf. «Ich bedaure es aber, dass helvetische Politik oft staubtrocken ist und kaum Unterhaltungswert bietet.» Ziggy soll beides verbinden.
Ob das funktioniert, ist noch offen. Zumal Schweizer Politiker kaum Witze erzählen, Bundesräte auf Lacher verzichten, da sie oft danebenzielen. Bei der direkten Demokratie liegt die Macht beim Volk. Bisher galt deshalb: Das Volk will bei politischen Prozessen sachlich informiert sein, nicht unterhalten werden.
Politikwissenschaftler Claude Longchamp mag Zaugg. «Die Figur ist schräg, hat Witz, sie macht das Gegenteil von dem, was man erwartet – das gefällt Journalisten.» Aber: «In der Kampagnenkommunikation gilt Ironie als Tabu, wenn man in die Breite wirken will.» Longchamp erwartet ein Nachspiel in der PR-Branche. «Die Kampagne verulkt PR mit Mitteln der PR.»
Dass Events die Politik beleben, hat die SVP am ehesten gemerkt. Lüpfige Musik, ein deftiges Buffet, eine Ziege namens Zottel erheben eine Partei rascher zur Volkspartei als gescheit vorgetragene Reden. Eher griesgrämig schauen Linke und Gemässigte zu, wie die Rechte die Unterhaltung besetzt.
Anderswo tut das die Linke. US-Autor Christopher Buckley persiflierte im Roman «Thank You for Smoking» die Tabaklobbyisten so überdreht wie Zaugg. Als Manager von Ölmulti Shell gaben sich Schauspieler der britischen Truppe Yes Men aus. Die BBC interviewte sie, ohne die Täuschung zu erkennen.
Der englische Komiker Sacha Baron Cohen beschreitet mit Figuren wie Borat, Ali G oder Brüno den schmalen Grad zwischen Realität und Fiktion. Und US-Komiker Stephen Colbert tritt seit 2005 beim TV-Sender Comedy Central als konservativer Nachrichtensprecher Stephen Colbert auf. Mit perfekter Persiflage nimmt ein Liberaler die Konservativen aufs Korn.
So perfekt ist Zaugg nicht. Er wirkt noch krude, nicht ganz ausgereift. Der Ansatz aber funktioniert. Wer ihm begegnet, ist verblüfft. Wer ihn durchschaut, schmunzelt. Graf: «Man soll Ziggy mögen, aber auch eklig finden, was er sagt.»
Dieses Ziel begünstigt sein ständiges Grinsen. Ziggy lacht, egal wie dumm und verachtend er ist. Das gefrorene Lächeln habe er bei SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli abgeschaut, gesteht Graf. «Mörgeli versteht es blendend, vor laufender Kamera die abstrusesten Dinge zu sagen – und dabei zu grinsen.» Das wirke ungemein entwaffnend.
Ziggy Zaugg breitet sich vor allem online aus. Er ist auf Facebook, zeigt Filme auf der Videoplattform Youtube. «Social Media ist die neue Bühne, auf der sich Politiker inszenieren», sagt Graf. «Früher trafen sie während der Session die Bundeshausjournalisten, heute treffen sie online täglich das Volk.»
Abstimmungen wie Wahlen würden vermehrt auf Twitter und Facebook entschieden, so Graf. «In der Schweiz gibt es eine Twitter-Gemeinde, die immer wesentlicher zur Meinungsbildung beiträgt.» Natürlich twittert auch Zaugg.