Von Peter Hossli
Drei Zahlen liessen Ende Juni ganz Kanada aufhorchen. Research in Motion (RIM) verzeichnete einen Quartalsverlust von einer halben Milliarde Dollar. Um ein Drittel schrumpfte der Umsatz des kanadischen Technologiekonzerns. Über 5000 Angestellte sollen alsbald ihre Stelle verlieren.
RIM fabriziert in der Nähe von Toronto das Blackberry – ein kluges Telefon mit E-Mail und Internetauffahrt. Lange war es das unvergleichliche Statussymbol für Macht, Einfluss und Wohlstand.
Das ist nun passé. Ein «Sargnagel für Blackberry» sei der jüngste Verlust. «Entweder RIM wird verkauft, aufgeteilt, oder die Firma geht unter», sagt Analyst Matt Thornton.
Der Absturz ist jäh. Vor dreieinhalb Jahren noch unternahm der frisch gewählte US-Präsident Barack Obama alles, damit er seine «Brombeere» im Weissen Haus benutzen durfte. Bis der Secret Service das Gerät als sicher befand.
Süchtig waren Obama und Tausende von Bankern, Anwälten und Ärzten nach dem Winzling aus ovalem Telefon und Tastatur. Sie legten das Gerät neben ihr Bett, berührten es abends zuletzt und morgens zuerst. Selbstkasteiend huldigten es viele «Crackberry», in Anlehnung an das süchtigmachende Kokain-Backpulver-Gemisch Crack.
Lanciert hatte RIM das Black-berry 1999. Marketingleute fanden den eigensinnigen Namen nach strikter Vorgabe: Er sollte das Produkt in keiner Weise beschreiben, positiv tönen und auch ausserhalb Nordamerikas Anklang finden.
Rasch schlug das Blackberry ein. Von einst vier stieg der Personalbestand der Firma mit Sitz in Waterloo, Ontario, auf zuletzt 16500. Der Aktienkurs stieg von einem Dollar auf das Allzeithoch von
119 Dollar.
Hinter dem Erfolg stand ein eigenwilliges Gespann: die Ko-Chefs James Balsillie und Michael Lazaridis. Lazaridis galt als «technisches Genie», Balsillie als «genialer Verkäufer». Die beiden würden hervorragend harmonieren, erklärte 2005 der damalige UBS-Analyst Michael Urlocker den Erfolg. «Sie sind sehr smart», sagte er. Und lobte: «Es gibt niemanden, der das Geschäft der mobilen Datenübertragung besser versteht.»
Wie er sich irrte! In den vergangenen drei Jahren sank der Anteil des Blackberry am Smartphone-Markt von 44 auf unter zehn Prozent. Mittlerweile geben Telefonanbieter das einst so begehrte Gerät günstiger ab als eine iPhone-Hülle.
Die beiden Chefs mussten im Januar auf Geheiss der Aktionäre ihre Sessel räumen. Verständlich. Die Aktie ist weit entfernt von 119 Dollar. Sie sank dieses Jahr von 18 auf unter acht Dollar. Gerade noch 3,9 Milliarden Dollar ist die Firma wert, einst waren es 80 Milliarden.
Die Gesellschaft hat sich gewandelt, das Blackberry aber blieb stehen.
Ihm widerfuhr, was einst dem Telex widerfahren war, der Schreibmaschine, dem Personal Computer. Es war für die Eliten gedacht, für Eliten entwickelt, den Eliten angepriesen. Plötzlich wollten aber alle ein Smartphone. RIM konnte keine angemessenen Blackberrys für Konsumenten produzieren. Statt RIM rückten Apple mit dem iPhone und Google mit Android das Smartphone ins Zentrum elektronischer Kommunikation.
RIM hinkt seit der Einführung des iPhones 2007 hinterher, hatte lange Mühe, einen Touchscreen zu entwickeln. Eben erst hat der Konzern die Lancierung des neuen Models und der neusten Software auf 2013 verschoben. Widerstandslos überlassen die Kanadier das Weihnachtsgeschäft dem im Herbst erwarteten iPhone 5.
Ein Gerät der tristen Bürowelt bleibt das Blackberry. Derweil mischen sich Arbeit und Freizeit. Das Zuhause ist für viele das Büro. Es gibt Firmen, die ihre Angestellten auf eigenen Computern arbeiten lassen. Auf dem iPhone haben sie private und geschäftliche E-Mail-Konten eingerichtet. Chefs verlangen nicht mehr, dass ihre Leute im Büro sitzen – solange sie diese per Smartphone erreichen können.
Wer aber am digitalen Gängelband hängt, will das mit einem schönen Apparat tun, für das es Apps und Spiele gibt. Da trumpfen iPhone und Android auf. Zwar gelten Blackberrys als sicherer als iPhones. Doch wer will schon Sicherheit, wenn er Spass haben kann?