Die Schweiz hat keine Freunde mehr

Adolf Ogi – seine Abrechnung mit der Politik, den Medien und mit Gott.

Interview: Peter Hossli Fotos: Sabine Wunderlin

adolf_ogi1In diesen Wochen wird einer der grössten Schweizer Politiker 70 Jahre alt: Adolf Ogi. Zum Jubiläum erscheint eine neue Biografie. Sie zeigt ihn als Familienmenschen, Bergler und Bundesrat. Und als Staatsmann von Welt.

Ogis Händedruck ist kräftig, er wirkt vital. Und er flösst Respekt ein. Denn Ogi hat sich die rot-weisse Krawatte umgebunden. Trägt er die – das wussten seine Mitarbeiter –, dann gilt es ernst.

Herr Ogi, Sie sind jetzt 70 …
Adolf Ogi: Halt! 70 werde ich erst in einem Monat.

Haben Sie noch Lampenfieber?
Immer. Ich muss nervös sein, um mein ganzes Charisma und Leistungsvermögen abzurufen.

Sie versuchen nicht, das Lampenfieber abzuschütteln?
Im Gegenteil. Vor jedem Auftritt stelle ich mir vor, es sei der wichtigste meines Lebens. Verfiele ich der Routine, wäre ich langweilig.

Sie können sich mit 70 noch motivieren. Was treibt Sie an?
Ich bin ein Suchender, ein Forschender. Einer, der vorangehen und gestalten will, der Risiken eingeht, der etwas bewegen will.

Warum sind Sie so?
Es war ein bewusster Entscheid. 1964, während der Unteroffiziersschule, fragte ich mich, ob ich ein Zudienender sein möchte oder ein Chef. Ich entschied, Chef zu sein.

70 ist ein Meilenstein. Der Tod ist näher. Fürchten Sie ihn?
Nein, den Tod fürchte ich nicht. Ich habe das Alter akzeptiert – und bin bereit, den Tod zu akzeptieren.

Was ist für Sie der Tod?
Das Ableben und die Hoffnung, dass es in irgendeiner Form besser weitergehen wird.

adolf_ogi2Was bereuen Sie?
Dass ich nicht perfekt Italienisch gelernt habe. Ich will mit den Menschen reden können. Das geht bei mir auf Deutsch, Französisch und Englisch. Tief im Urwald verstehen sie meine Körpersprache. Dass ich mit Tessinern nie richtig gut kommunizieren konnte, ärgert mich.

Schlimmeres haben Sie nicht getan?
Als Jugendlicher habe ich zweimal Seich gemacht. Auf einer Schul­reise habe ich geraucht. Mein Vater massregelte mich – seither rühre ich keine Zigarette mehr an. Mit 16 bin ich von einer Bergtour betrunken heimgekommen. Wieder hat mich mein Vater geschickt getadelt, aber nicht geschlagen. Nachher war ich nie mehr betrunken.

Haben Sie Joints geraucht?
Nein, nie.

Dabei gehören Sie zur Genera­tion der 68er. Die haben geraucht, getrunken, gekifft …
Ich gehörte nicht dazu, weil ich nie an einer Universität war. Ich kenne die 68er-Generation nur vom Hörensagen.

Von 1968 ist bei Ihnen nichts hängengeblieben?
Doch, der Moritz Leuenberger, ein bekennender 68er. Wir sind im Bundesrat gut miteinander ausgekommen. Noch heute schätzt er es, dass ich ihm das Verkehrs- und Energiedepartement überlassen habe und er als Sozi nicht Verteidigungsminister werden musste.

Der Rock ’n’ Roll entfaltete sich während Ihrer Jugend. Hörten Sie Rolling Stones oder Beatles?
Beide. Die Beatles sah ich vor 50 Jahren live in Liverpool. Noch bevor sie Pilzkopf-Frisuren hatten, bevor sie ihre erste Platte veröffentlichten.

adolf_ogi_peter_hossli2Von wem haben Sie am meisten gelernt?
Mein Vater war mein grösster Lehrmeister. Lehrer Rösti in Kandersteg hat mit uns gebetet, gesungen, politisiert. Er erzählte am Donnerstag, was der Bundesrat am Mittwoch beschlossen hatte. Der Pfarrer sprach über die Bibel und zeigte, was Solidarität ist. Was es heisst, andere zu respektieren.

Sie sprechen oft über Ihren Vater. Warum ist er für Sie so wichtig?
Er war nie schlechter Laune, nie müde, hat nie geklagt, immer positiv gedacht. Er hat mich geführt, ein Leben lang. Er wollte, dass ich Offizier werde – und er hat mir vor meiner Wahl in den Bundesrat den Unterschied zwischen Weisheit und Intelligenz aufgezeigt. Hätte er das nicht getan, hätte ich vielleicht sogar meine Kandidatur zurück­gezogen.

Von Staatsleuten haben Sie nichts gelernt?
Ich habe bei allen abgeguckt. Bei Blair, Putin, Mitterrand, Clinton. Bill Clinton war der Begabteste von allen.

Was lernten Sie von ihm?
Dass man rasch entscheiden muss. Er war ein Macher und doch verantwortungsvoll. Den Irak-Krieg hätte Clinton nie losgetreten.

George W. Bush griff Irak 2003 an, ohne Uno-Mandat. Ihr Freund Kofi Annan war damals Uno-Generalsekretär. Wie reagierte er?
Er litt. Ich rief ihn bei Kriegsbeginn aus Malaysia an. Seine Sekretärin nahm ab. «Kann ich mit Kofi reden?», fragte ich. «Er ist beschäftigt», sagte sie. «Ich glaube, er würde mit mir reden.» Kofi war enormem Stress ausgesetzt, aber er ging ran. Wir redeten 15 Minuten lang. Ich sagte ihm, die Mehrheit der Welt sei gegen diesen Krieg. Er hörte zu. Für ihn waren es entspannende Minuten.

adolf_ogi3Heute versucht Annan für die Uno den Syrien-Konflikt zu lösen. Reden Sie mit ihm darüber?
Er rief mich ein paar Mal an, seit er das Syrien-Mandat hat. Wie er vorgeht, darf ich nicht sagen. Er versucht, Iran einzubinden. Die Rus­sen und Chinesen akzeptieren das, die USA nicht. Kofi hofft zudem auf eine Syrien-Konferenz in Genf.

Wie optimistisch ist Annan für eine Lösung in Syrien?
Er ist realistisch optimistisch. Es ist eine schwierige Mission. Für eine Lösung braucht es Einsicht in
Peking, Moskau und Washington.

Was raten Sie ihm?
Raten kann ich ihm nichts. Ich versuche ihm ein bisschen Kraft zu geben – und die Meinung eines Bürgers, der die internationale Mechanik etwas kennt. Ich biedere mich nie an. Heute ruft er mich an, nicht ich ihn.

Annan ruft an, weil Sie unkonventionell sind. Woher nehmen Sie den Mut, anders zu sein?
Ich bin ein Quereinsteiger, der nicht durch die Ochsentour der herkömmlichen Politik abgeschliffen worden ist. Keine Universität hat mich akademisch verformt.

Ihr berühmtes Bonmot «Freude herrscht!» entstand, weil Sie sich weigerten, ein vorformuliertes Statement zu lesen. Sind Sie ein Revoluzzer?
Es war im August 1992. Bundespräsident René Felber lag im Spital. Als Vizepräsident vertrat ich ihn im Verkehrshaus. Der Schweizer Astronaut Claude Nicollier befand sich im All. Als ich ankam, drückten mir die Leute von Nasa und Esa einen Text in die Hand und sagten, das dürfe ich zu Nicollier sagen.

Das lässt sich Ogi nicht bieten?
Ich habe gesagt, ich sei nicht vom Putzkommando, sondern der Chef. In Nicolliers Kapsel sah ich ein Bild vom Matterhorn. Spontan rutschte «Claude Nicollier, Freude herrscht!» heraus. Sofort hiess es, der Ogi könne nur zwei Wörter aneinander hängen ohne Akkusativfehler. Heute ist «Freude herrscht!» Kult.

Dennoch wurden Sie oft verspottet. Der Privatbankier Bénédict Hentsch nannte Sie «l’homme de Kandersteg». Das muss schmerzen.
Mich nicht, aber den Leuten in Kandersteg und in den Bergen hat das wehgetan. Es war eine dumme Bemerkung, für die er sich entschuldigen musste. Es schadete ihm, mich als zweitrangigen Bürger abzukanzeln.

adolf_ogi4Nochmals: Schmerzte es Sie, dass die Intellektuellen Sie belächelt haben?
Dr. Kurt Müller von der NZZ hat vor meiner Wahl in den Bundesrat geschrieben, ich hätte nicht das intellektuelle Format für das Amt. Hätte mir mein Vater nicht das nötige Vertrauen gegeben, hätte ich Zweifel gehabt. Als Bundesrat merkte ich, dass Journalisten mir jeden Akkusativfehler vorwerfen.

Andere Bundesräte nahm die Presse weniger ins Visier?
Rang Moritz mit einer Formulierung, fügte er einen unverständ­lichen Schachtelsatz ein, galt das sofort als intellektuelle Leistung.

Warum wehrten Sie sich nicht?
Ich spielte mit den Journalisten. Einmal habe ich bewusst eine Mitteilung in schlechtem Englisch vorgelesen. Ich wusste, die Journalisten würden am nächsten Tag mein Englisch kommentieren, nicht den Inhalt. Genau so war es.

Letztlich waren Sie erfolgreich, weil man Sie unterschätzte?
Es war das Beste, was mir passieren konnte. Noch heute bin ich Dr. Müller von der NZZ dankbar, dass er geschrieben hatte, ich sei intellektuell unfähig. Mit diesem Vorurteil kannst du nur positiv auffallen. Andere Politiker sind in der Sänfte in den Bundesrat getragen worden – und dann abgestürzt.

Sie sagten, Sie hätten Erfolg, weil Sie Menschen mögen. Was tun Sie, wenn jemand Sie enttäuscht?
Ich vergebe. Das habe ich von Nelson Mandela gelernt. Auf Robben Island habe ich seine Zelle besucht und war zutiefst beeindruckt, wie er sich als Präsident verhalten hat. Statt sich zu rächen, vergab er.

Die Medien zeichnen Sie als volksnah. Hat das Volk nie genug von Ihnen?
Ich bin seit zwölf Jahren weg – und glaube, dass die Zustimmung für mich heute grösser ist als zu meiner Zeit im Bundesrat. Das Volk spürt, dass Ogi versuchte, die Schweiz voranzubringen.

adolf_ogi5Heute hadert die Schweiz. Was brauchen wir, um unser Selbstbewusstsein wieder zu finden?
Wir müssen aussenpolitisch aus der Defensive herausgehen und zu den umliegenden Staaten sowie England und Amerika wieder gute Beziehungen aufbauen.

Die Beziehungen zu diesen Ländern sind nicht mehr gut?
Sie beschäftigen sich mit sich selber und kümmern sich nicht mehr um uns. Wir sind nicht mehr das Land der guten Dienste, das Helmut Kohl und François Mitterrand liebten. Unsere Sandwich-Position – nahe am Fleisch, nahe am Käse – ist weg. Sarkozy kam nie in die Schweiz. Frau Merkel hat kaum Zeit für uns. Obama war nie hier.

Wie können wir das ändern?
Wir müssen den Bundespräsidenten auf drei, wenn möglich vier Jahre wählen. Auf höchster Ebene schafft man die besten Kontakte. Als ich in New York auf Clinton wartete, stand Putin neben mir. Wir redeten lange. Nachher wusste Putin, welche Anliegen die Schweiz hat. Uns sind Freunde abhanden gekommen. Keiner ersetzte Kohl, Mitterrand, Blair und Clinton.

Wer unter den jungen Parlamentariern hat das Format zum Bundesrat?
Es gibt sie. Aber viele Parlamentarier interpretieren ihre Aufgabe falsch. Das Parlament muss den Bundesrat begleiten, ihn kritisieren, Gesetze beschliessen. Führen darf es nicht. Der Bundesrat regiert, nicht die Parlamentarier.

Wie gut ist heute der Bundesrat?
Ich bewerte ihn nicht. Politisieren ist sicher schwieriger geworden, als es in den Neunzigerjahren war, als wir politische Stabilität und wirtschaftliches Wachstum hatten.

Doris Leuthard will eine zweite Autobahnröhre durch den Gotthard bauen. Eine gute Idee?
Ich unterstütze sie. Wir dürfen es den Tessinern nicht zumuten, dass sie bei der Sanierung des Gotthardtunnels fünf Jahre lang per Strasse nicht mehr mit der Deutschschweiz verbunden sind. Es ist staatspolitisch wichtig, das zu verhindern.

Sie sind ein konstruktiver Politiker. Wie geht das mit dem destruktiven Kurs Ihrer Partei zusammen, der SVP?
Die jetzige Politik der SVP bringt uns nicht weiter. Wir gehen seit den Wahlen im Oktober 2011 nur zurück. Es muss dringend die Einsicht reifen, dass die SVP zu neuen Zielen aufbricht und gewisse personelle Korrekturen vornimmt.

adolf_ogi6Sie meinen Christoph Blocher?
Herr Blocher hat viel geleistet für die Partei. Aber es kommt für jeden eine Zeit, in der er seine Ämter schrittweise und geordnet abgibt.

Weil Blocher an der Macht festhält, leidet die Partei?
Die SVP ist derzeit nicht mehr in Hochform. Hätten wir heute Nationalratswahlen, würden wir nur noch zwischen 21 und 24 Prozent der Stimmen holen, nicht 26.

Wie begründen Sie diesen möglichen Wählerschwund?
Mit der besserwisserischen Art der SVP. Nicht auf das zu hören, was andere vorschlagen. Mit dem Schlingerkurs, den Finanztransaktionen innerhalb der Partei. Die Bundesratswahlen waren aus Sicht der SVP unsäglich. Zuletzt ging die Partei auf Schneider-Ammann los und hat ohne Aussicht auf Erfolg die Freisinnigen erbost. Es passiert zu viel. Auch die Diskussion um die Immunität. Dann die undurchsichtige Situation bei der «Basler Zeitung». Die SVP hat den Goodwill verloren, den sie hatte.

Sie provoziert weiter. Toni Brunner fordert die Abschaffung des Krankenkassenobligatoriums.
Ein Parteipräsident muss Schnellschüsse abfeuern, er muss sich aber vorher die Konsequenzen überlegen. Toni Brunner ist ein Talent. Er kann zu jedem Thema der Schweizer Politik zehn bis fünfzehn gescheite Sätze sagen. Sie müssen lange suchen, bis Sie einen finden, der das kann. Aber er ist stark abhängig von Christoph Blocher. Für ihn gilt, was Blocher sagt.

Nationalrätin Natalie Rickli sagte, es gebe zu viele Deutsche im Land. Einverstanden?
Diese Aussage schadet uns. Ich nehme an, Frau Rickli würde das heute wohl nicht mehr so sagen.

Christoph Mörgeli nennt Ex-Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand auf Twitter «Zocker» und «Privatkasinobetreiber».
Das sind ganz schlimme Aussagen. Philipp Hildebrand ist der bestvernetzte Finanzpolitiker des Landes. Er hat ein ungeheures Wissen. Klar, er hat einen Fehler gemacht. Es war richtig, dass Christoph Blocher zu Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey gegangen ist. Dass man aber einen wie Hildebrand einfach so in die Wüste schickt, ist tragisch. Besonders jetzt, wo Weltpolitik weitgehend durch die Finanzen betrieben wird.

adolf_ogi_peter_hossliHildebrand hatte nicht mehr die nötige Glaubwürdigkeit für die Nationalbank.
Es hätte einen anderen Weg gegeben, ihn zu halten. Man hätte ihm die Fehler verzeihen müssen.

Es dreht sich sehr vieles um Blocher. Warum polarisiert er so?
Er ist unüblich stark für die Schweiz. Das Land hat selten solche Leaderfiguren. Dazu kommt der wirtschaftliche Erfolg, der Reichtum, den er mit Bildern auch zeigt. Das führt zu einer Polarisierung – weil es letztlich unschweizerisch ist.

Zu Blocher gehört es, ständig Unruhe zu säen. Kommt die Schweiz erst zur Ruhe, wenn er nicht mehr aktiv ist?
Das kann man nicht ausschliessen. Er vergleicht sich ja mit Adenauer und sagt, er wolle bis 85 weitermachen. Ich wünsche ihm, dass er dereinst den richtigen Ausgang finden wird.

Sie traten 2000 als Bundesrat zurück mit dem Ziel, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) zu werden.
Präsident? Zuerst einmal wollte ich IOK-Mitglied werden.

Es hiess immer, Sie wollten Präsident werden …
Und weil man das munkelte, waren alle Schweizer im IOK gegen mich, mit Ausnahme von Denis Oswald.

Deshalb klappte es nicht?
Weitgehend, ja. Sepp Blatter – den ich als Fifa-Präsident lancierte – sagte, meine Kandidatur sei «antikonstitutionell». Gian-Franco Kasper gab an, Ogi begnüge sich nicht mit der Mitgliedschaft, er wolle in die Exekutive. René Fasel meinte, es hätte genug Schweizer im IOK. All das war Gift für meine Kandidatur. Heute bin ich froh, nicht dabei zu sein. Der Erste, der mich damals anrief, war Kofi Annan. Er sagte: «Nicht du hast verloren, das IOK hat verloren.»

Sie gaben Blatter die Schuld. Was denken Sie heute über ihn?
Ich habe Blatter nicht beschuldigt – es sind Tatsachen. Blatter ist einer der weltweit besten Diplomaten. Er kann sich aus jeder Situation rauswinden. Dafür hat er meinen Respekt, nicht aber immer meine Anerkennung. Ich habe ihn im «Tages-Anzeiger» als Fifa-Präsidenten lanciert. IOK-Präsident Samaranch wollte Lennart Johansson als Fifa-Präsidenten. Später hat mir Samaranch die Kutteln geputzt, weil ich Blatter half.

adolf_ogi7Warum half Blatter Ihnen nicht?
Das müssen Sie ihn fragen. Er kommt aus Visp, ich aus Kandersteg. Vielleicht sind ihm die 45 Kilometer Luftlinie zwischen den beiden Gemeinden einfach zu kurz.

Kaum hatten Sie Ihr Uno-Amt angetreten, schlug Ihnen in der Schweiz Missgunst entgegen. Warum?
Es gehört zu unserer Eigenart, Leute nicht zu mögen, die den Kopf ausstrecken. Man will keine überragenden Bundesräte. Einer darf nicht besser sein als die anderen sechs.

Die Schweiz hatte nie einen überragenden Bundesrat?
Kurt Furgler war brillant und wurde deshalb kritisch betrachtet. Ich konnte es gut mit ihm, ging oft mit ihm Ski fahren. Das war die einzige Disziplin, in der ich besser war. Seine Brillanz war unschweizerisch.

War Ihr Uno-Amt ebenfalls unschweizerisch?
Sie können es so sehen. Aber man kann auch sagen, ich sei der Türöffner gewesen.

Joseph Deiss wurde Ihretwegen Präsident der Uno-Generalversammlung?
Das sage ich nicht. Aber die Schweiz konnte dank meiner Sporttätigkeit im Uno-Gebäude in New York viel Goodwill schaffen.

Sie galten als «Ringier-Bundesrat». Verdanken Sie Ihre Karriere dem Boulevard?
Viele Ringier-Journalisten kannten mich von meiner Tätigkeit beim Skiverband. Frank A. Meyer hatte Sympathien für mich, weil ich wie er aus bescheidenen Verhältnissen komme. Für BLICK und SonntagsBlick war ich interessant, da ich anders war. Ein Quereinsteiger mit Erfolgen im Sport. Folglich war mein Ansehen bei NZZ und «Tages-Anzeiger» weniger gut. Heute steuere ich das mehr. Es darf nicht sein, dass ich nur in der farbigen Presse erscheine.

Sie distanzieren sich von Ringier?
Gar nicht. Als ich in den Bundesrat kam, hat mir niemand zugetraut, dass ich das kann. Bald gab es ein «Aha, der Ogi kann was». Der BLICK hat das aufgenommen. Darüber war und bin ich froh.

Wie wichtig war Frank A. Meyer für Ihre Karriere?
Er war wichtig, als er noch in der Schweiz war. Er hat grosse Fähigkeiten. Mit Frank A. Meyer darf man einfach keinen Krach haben. Namen nenne ich nicht, aber es gab viele Bundes-, National- und Ständeräte, die ihm sehr nahestanden, die das aber nie zugeben würden. Bei mir wusste man, dass ich mit ihm rede. Meyer hat mich aber nie in eine Richtung gedrängt. Er hat mir seine Meinung gesagt, aber ich tat, was ich wollte. Distanzieren würde ich mich von ihm nie.

Früher riefen Journalisten bei Bundesräten direkt an. Heute arbeiten beim Bund Heere von Kommunikationsprofis.
Das ist eine gefährliche Entwicklung. Es gibt deshalb immer wieder Indiskretionen. Heute gehört es zu den wichtigsten Führungsaufgaben von Bundesräten, ihre Kommunikationsleute zu führen.

Als Vater kann man sich nichts Schlimmeres vorstellen, als das eigene Kind zu beerdigen. Sie haben 2009 Ihren Sohn an den Krebs verloren. Wie leben Sie damit?
Leben kann ich damit nicht, ich kann das nicht akzeptieren. Ich bin suchend, aber nie findend. Ich kann nicht begreifen, dass der Rhythmus des Lebens gestört worden ist, dass Mathias vor mir als Vater und meiner Frau als Mutter sterben musste. Zumal er bewusst lebte, nicht rauchte, nicht trank, Sport trieb. Plötzlich ist dieser 35 Jahre junge Mensch krank. Muss sterben. Das ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Die fundamentalste Erschütterung für einen Vater. Man kann sie nicht akzeptieren.

Sie haben immer wieder über Ihren Glauben gesprochen.
Wir Kinder hatten Angst um den Vater, der als Bergführer unterwegs war. Ich habe gebetet, dass ihn Gott behüten möge. Später betete ich, dass Gott meine Kinder behüte. Plötzlich geht Mathias, ohne eine Adresse zu hinterlassen, wo man ihn treffen kann. Keine Telefonnummer, wo man ihn anrufen kann.

Hat es den Glauben erschüttert?
Ich bin ein gläubiger Protestant. Heute habe ich Fragen an den Herrgott, die unbeantwortet sind.