Von Peter Hossli
Ein zufälliges Treffen ermöglichte die aufregendste journalistische Geschichte aller Zeiten.
Es war Anfang 1970. An einem frostigen Winterabend musste der 27-jährige Marine-Offizier Bob Woodward ein Paket im Weissen Haus abliefern. Im Wartezimmer begegnete der Soldat einem 30 Jahre älteren Mann. Dessen graues, dichtes Haar fiel ihm auf, der dunkle Anzug, das weisse Hemd, die schmale schwarze Krawatte. Er sei ein Beamter der Bundespolizei FBI, stellte er sich vor: «Mein Name ist Mark Felt.» «Leutnant Bob Woodward», antwortete der Marine-Offizier.
Sie redeten zwei Stunden lang, als seien sie Vater und Sohn. Er wisse nicht, was er nach dem Militär machen soll, klagte Woodward. «Ich helfe Ihnen», sagte Felt. Er gab dem Offizier seine Telefonnummer. «Rufen Sie mich einfach an, wenn Sie was brauchen.»
Zweieinhalb Jahre später, am 17. Juni 1972, brachen in den frühen Morgenstunden fünf Männer in ein Wahlkampfbüro der demokratischen Partei ein. Dieses befand sich im «Watergate», dem Wohn- und Bürokomplex am Potomac River, der durch die amerikanische Hauptstadt Washington fliesst.
Noch in derselben Nacht stellte die Polizei die Einbrecher. Sie waren aus Florida angereist, trugen Anzüge, waren ausgerüstet mit Fotoapparaten und ausgeklügelten Aufnahmegeräten. Klauen wollten sie nichts, ihr Auftrag war es, politische Gegner ausspionieren. «Fünf Männer verhaftet in einem Komplott, um das Büro der Demokraten zu verwanzen», titelte die «Washington Post» am 18. Juni, an einem Sonntag.
Der damalige Marine-Offizier Bob Woodward war mittlerweile 29 Jahre alt und ein Reporter der «Washington Post», der auf seinen Durchbruch wartete. Der «Post»-Chefredaktor Ben Bradlee setzte ihn und Carl Bernstein, damals 28, auf die eigenartige Geschichte um den eigenartigen Einbruch an.
Bei einem der Einbrecher war ein Adressbuch gefunden worden. Darin stand der Name E. Howard Hunt, daneben der Vermerk «White House». Hunt, so viel war bekannt, war ein ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdienstes CIA. Woodward besann sich auf seine Begegnung im Weissen Haus – und rief Mark Felt an, damals die Nummer zwei beim FBI. Denn das FBI ermittelte die Umstände des Einbruchs. «Können Sie mir bei Watergate helfen?», fragte Woodward. – Mark Felt antwortete knapp: «Ja, aber nur Off-the-Record.» So begann eine der spektakulärsten Episoden des investigativen Journalismus. Sie mündete im Rücktritt von US-Präsident Richard Nixon im August 1974. Als «beste Recherche aller Zeiten» pries der einstige stellvertretende Chefredaktor der «New York Times», Gene Roberts, die Zusammenarbeit von Woodward und Bernstein.
Noch heute – 40 Jahre später – gilt Watergate als Synonym für hervorragenden Journalismus. Er steht für eine Generation von Zeitungsmachern, die den Mächtigen auf die Finger schaute, hemmungslos forschte, suchte, grübelte – und fand. Platzt heute ein Skandal, ist stets der Suffix «–gate» zur Hand: Monicagate bei Bill Clintons Affäre mit Monica Lewinsky. Nipplegate bei der Entblössung von Janet Jacksons Brustwarze. Antennagate für Empfangsprobleme beim iPhone 4.
Bei Watergate wiesen Bernstein und Woodward Nixons Involvierung in den Einbruch nach – und enthüllten schwere Verbrechen, orchestriert vom Weissen Haus. Wenige Wochen nach dem Einbruch zeigte das Reporterpaar auf, dass Vertraute von Nixon mit Funkgeräten den Einbruch in einem Hotelzimmer mit Sicht auf Watergate koordiniert hatten.
Woodward und Bernstein benutzten zahlreiche anonyme Quellen. Ihre wichtigste nannten sie «Deep Throat», eine Anlehnung an den gleichnamigen Titel eines pornografischen Films. Hinter «Deep Throat» verbarg sich Mark Felt. Bis 2005, 33 Jahre lang, blieb dessen Identität geheim. Doch noch vor seinem Tod wollte der 92-jährige und leicht demente Felt an die Öffentlichkeit gelangen, was er dann auch tat.
Bis zu diesem Zeitpunkt wussten nur vier Personen – Bernstein, Woodward, Bradlee und Felt –, wer «Deep Throat» wirklich war. Weil der Agent damals auf absolute Diskretion pochte. So durfte Woodward ihn nur zu Beginn der aufwändigen Recherche anrufen. Der einst selbst als Spion tätige Felt fürchtete, das FBI oder das Weisse Hause würde die Telefongespräche abhören.
Die beiden vereinbarten, sich angeheimen Orten zu treffen. Dafür entwickelten sie ein ausgeklügeltes Kommunikationssystem. Liess Woodward die Vorhänge seiner Wohnzimmerfenster offen, wollte er Felt treffen. Spannte der Reporter ein rotes Tuch auf, war es dringend. Dann begegneten sie sich noch in derselben Nacht um 2 Uhr in einem Parkhaus in Arlington. Stets auf Parkfeld 32D, einer dunklen Ecke auf der untersten Etage der Garage.
Höchste Vorsicht bleute Felt dem Reporter ein, schrieb Woodward später in der «Washington Post»: «Wenn du zu einem Treffen kommst, nimm die Treppe, nie den Lift», befahl ihm der FBI-Mann. «Geh durch den Hinterausgang.» – «Benutze nie das eigene Auto.» – «Nimm ein Taxi.» – «Geh ein paar Strassen zu Fuss.» – «Nimm ein zweites Taxi.» – «Lass dich nicht bis zur Garage bringen.» – «Geh die letzten paar Strassen zu Fuss.» – «Wenn du das Gefühl hast, dir folgt einer, geh nicht in die Tiefgarage.» – «Wenn jemand von uns zu spät kommt, betrachten wir das Treffen als geplatzt.» Jeweils gut zwei Stunden war Bob Woodward zum Parkfeld 32D unterwegs.
Warum war der FBI-Mann bereit, seine Informationen an die Medien weiterzugeben? Woodward und Bernstein kümmerten sich damals nicht um Felts Motive. «Bei einer Geschichte, die so spannend und komplex war, die sich ständig änderte, gab es wenig Zeit, die Motive der Quellen zu prüfen. Wichtig war, dass sich ihre Informationen überprüfen liessen, dass sie stimmten», so Woodward später. Als «mehrköpfiges Monstrum» beschrieb er das Komplott. «Dank Felts Position an der Spitze der Behörde, die den Fall untersuchte, hatten seine Worte und Anweisungen immenses, manchmal sogar überwältigendes Gewicht.»
Es werde wohl nie ganz klar sein, warum er auspackte, sagt Carl Bernstein heute. «Felt glaubte wohl, dass der Präsident und die Leute um ihn herum Verbrechen begannen hatte», sagt Bernstein. «Zudem war Felt wütend, dass er nicht Direktor des FBI wurde, vor allem war er empört darüber, dass das FBI unter dem neuen Direktor die offizielle Watergate-Untersuchung behinderte.»
Woodward und Bernstein erhielten für ihre Arbeit den Pulitzerpreis, die höchste Anerkennung für US-Journalisten. Ermöglicht hatte ihre Recherche Verlegerin Katharine Graham. Sie gehörte zum Establishment von Washington und hielt den Reportern den Rücken frei – trotz massivstem Druck des Weissen Hauses. «Katie Grahams Titten werden richtig gehend fertig gemacht, wenn das veröffentlicht wird», drohte beispielsweise der ehemalige Justizminister John Mitchell den Reportern, als sie ihm mitteilten, sie hätte seine geheimen Kassen entdeckt. Die «Washington Post» druckte die Geschichte, mitsamt Drohung. Für seine Rolle im Watergate-Skandal wurde Mitchell 1975 zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.
Schauspieler und Filmproduzent Robert Redford überzeugte Woodward und Bernstein, ein Buch über Watergate zu verfassen. Er kaufte die Filmrechte bevor es geschrieben war.
«All the President’s Men» kam am 9. April 1976 in die Kinos. Redford verkörperte Woodward, Dustin Hoffman spielte Bernstein.
Nach ein paar Meinungsverschiedenheiten sind Bob Woodward und Carl Bernstein heute wieder eng befreundet – und die unangefochtenen Stars ihrer Branche. Woodward, mittlerweile 69, hat über ein Duzend politischer Bücher verfasst, viele davon Bestseller. Bernstein, 68, ging nach Hollywood, schrieb für Magazine, machte Fernsehen, publizierte zahlreiche Bücher.
Fernsehmann Bob Schieffer nennt Woodward «den besten Reporter seiner Generation, vielleicht sogar den besten Reporter aller Zeiten». Und trotzdem: Noch immer steht Woodwards Nummer im gewöhnlichen Telefonbuch – angeblich, weil er will, dass jeder potentielle Informant ihn erreichen kann.